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Fragen an Maleta

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FURCHE: Herr Präsident, eine Wochenzeitung trägt eine Schlagzeile „Maleta reklamiert Enzyklika für ÖAAB“. Entspricht das den Tatsachen?

Maleta: Ich reklamiere natürlich nicht die Enzyklika für den ÖAAB, sondern ich habe eine — wie soll ich mich ausdrücken? — Fehlinterpretation der Enzyklika durch die Sozialisten korrigiert und kommentiert. Das ist ein entscheidender Unterschied.

FURCHE: Wo sehen Sie die Fehlinterpretation der Sozialisten, Herr Präsident?

MALETA: Die liegt darin, daß aus den Formulierungen der Enzyklika eine gewisse Automatik zwischen Christentum und Sozialismus herausgelesen wird.

FURCHE: Ich glaube, diese Interpretation ist von einigen Sozialisten, zum Beispiel vom Vorsitzenden der SPÖ, Dr. Kreisky, durchaus nicht geteilt worden. Kreisky hat sie eher nur als einen Durchbruch zum Pluralismus erklärt.

MALETA: In der Praxis haben die Sozialisten immer wieder Gespräche und Diskussionen eingeleitet, aus denen hervorgeht, daß durch die Neuorientierung der Kirche für den Katholiken der Weg in die Sozialistische Partei frei ist, und zwar in einer solchen einseitigen Überbetonung, daß man daraus nicht die Freiwilligkeit herauslesen kann, sondern eine Automatik. Wer ein guter Katholik ist, wer sozialfortschrittlich ist, wer eine ethische Verantwortung trägt, müsse geradezu zum Sozialismus stoßen. Das ist eine Fehlinterpretation, das bestreite ich.

FURCHE: Herr Präsident, haben Sie diese Korrektur der Interpretation als Parteipolitiker vorgenommen oder als Katholik und Gesellschaftstheoretiker?

MALETA: Als Parteimann und Gesellschaftstheoretiker. Ich maße mir nicht an, eine päpstliche Enzyklika hier als Katholik zu interpretieren. Ich kann mir meine privaten Gedanken darüber machen, wie das ja jedem zusteht, aber bitte, das ist ja nicht meine Aufgabe, ich bin ja nicht in einer Diskussion zwischen Christen und Marxisten oder unter Christen und Atheisten oder in einer interkonfessionellen Diskussion. Dazu habe ich von niemandem den Auftrag.

FURCHE: Sie bejahen aber doch diese pluralistische Auffaltung der Demokratie: das heißt also, daß auch die Sozialisten sich bemühen, Katholiken zu gewinnen und sich bemühen, für Katholiken wählbar zu werden.

MALETA: Alle Argumente, die man gegen meine Äußerungen vorbrachte, habe ich selber schon vor Jahren und Jahrzehnten als These aufgestellt. Ich war der erste ÖVP-Politiker, der vor mehr als 15 Jahren schon davon gesprochen hat, daß die ÖVP keinen Monopolanspruch hat. Ich war der erste ÖVP-Politiker, der kritisiert wurde, weil ich mich gegen die These stellte, die ÖVP solle sich zu einer christlich-sozialen Partei zurückentwickeln. Auch gerade die Auseinandersetzung mit dem von mir persönlich so hochgeschätzten Gründer der „Furche“, Friedrich Funder, im Jahre 1949, ist doch ein Beweis dafür.

FURCHE: Ja, genau das ist ja der falsche Eindruck bei den Diskussionen um die Enzyklika gewesen, daß sich die Volkspartei gegenüber der Kirche in der Lage des daheimgebliebenen Sohnes fühlt und schmollt, weil dem „verlorenen Sohn“, der heimkehrt, ein kleines Zicklein geschlachtet wird — ein großer, fetter Ochse ist es sowieso nicht.

MALETA: Sicher nicht. Ich habe eine gewisse Verwirrung, welche in unseren Reihen zu tragen versucht wurde, einmal zu beseitigen versucht. Ich war auch wieder derjenige, der als Politiker — erinnern Sie sich an meine Festrede zum zehnten Jubiläum des Kummer-Instituts — von den faszinierenden Perspektiven Johannes' XXIII. gesprochen hat. Das müssen ja alle erst einmal nachlesen und früher aufstehen, nicht? Selbstverständlich ist es, daß sich die Kirche in einer neuen Welt neuer Methoden bedienen muß, daß sie aus ihrer religiösen Sendung heraus, aus ihrem Auftrag heraus Wege, die das erschweren, verlassen und neue Wege suchen muß. Das habe ich als Politiker hundertmal gesagt.

FURCHE: Also keine „Einheit vom Beichtstuhl bis zum Wahllokal?“

MALETA: Also das hat mich ja ehrlich aufgeregt. Ich habe doch in meiner Grazer Rede betont, daß wir gar keinen Anspruch auf dieses Monopol haben. Dennoch bleibt der gesellschaftspolitische Unterschied entscheidend. Wenn der Sozialismus seinen antireligiösen Affekt verliert oder, sagen wir, gewissermaßen verdünnt und neutralisiert, ist dies vom Standpunkt der Kirche sicher erfreulich. Daß wir das als Christen begrüßen, habe ich sogar in meiner Rede gesagt. Aber damit hat er doch noch nicht seine kollektivistische Gesellschaftsauffassung preisgegeben. Und geigen die kämpfe ich im politischen Raum aus innerster Überzeugung.

FURCHE: Ist es aber nicht doch so, daß das, was Sie hier so in den Mittelpunkt stellen, die Verteidigung der Freiheit, auch im Raum des demokratischen Sozialismus sozusagen neuentdeckt wird. Wie würden Sie- sich diann gegen einen solchen, geänderten Sozialismus abgrenzen?

MALETA: Ich behaupte, daß nicht nur die Sozialisten in einer Entwicklung begriffen sind, sondern alle Parteien. Als Politiker habe ich aber nicht die Aufgabe, zu warten bis ein sozialistischer Entwicklungsprozeß abgeschlossen ist, sondern ich habe dafür zu sorgen, daß in der Zwischenzeit, bevor die tiefen Erkenntnisse durchgedrungen sind, nichts passiert.

FURCHE: Was sagen Sie aber als Gesellschaftstheortiker zu diesen Tendenzen, Herr Präsident? Sehen Sie nicht durch die Entwicklung, die sich im Sozialismus zögernd erst, dann auch stärker anbahnt, in einem Punkt X in der Zukunft eine Kooperation ermöglicht? Eine Kooperation zwischen christlichem Sozialismus als der Doktrin, unter deren Fahne doch die Väter des ÖAAB angetreten sind, und demokratischem Sozialismus, wie dies heute schon über Parteischranken hinweg auf der Gewerkschaftsebene der Fall ist?

MALETA: Solche Entwicklungen sind . sicher denkbar und möglich. Aber ich habe ja heute in der Tagespolitik nicht die Aufgabe, einen Punkt X für das Jahr 1990 zu suchen. Das mache ich in meinen beiden Büchern, da setze ich mich mit der Problematik auseinander. Man muß das doch scharf auseinanderhalten. Ich habe doch in meiner Rede einmal und auch anderen Reden nuanciert und variiert davon gesprochen, daß ich die große West-Ost-Ausednandersetzung mit den Religionskriegen vergleiche. Wer hätte sich zur Zeit der Reformation und Gegenreformation ein ökumenisches Gespräch vorstellen können? Aber das ändert doch nichts daran, daß eine Entwicklung, die vielleicht in hundert Jahren Früchte trägt, uns heute verpflichtet, dafür zu sorgen, daß eben im freien Gesellschaftsraum nichts passiert. Als Gesellschaftstheoretiker kann ich Entwicklungen voraussehen, aber ich kann ja doch daraus nicht Schlußfolgerungen ziehen, daß sich Entwicklungen, die fünfzig oder hundert Jahre dauern, im Schnellzugstempo in vierzehn Tagen vollziehen.

FURCHE: Passiert Ihnen aber nicht schon heute als Praktiker in der tagespolitischen Auseinandersetzung eine Annäherung, ja manchmal sogar eine Identität der politischen Ziele des ÖAAB mit denen der SPÖ?

MALETA: Das ergibt sich aus der Tatsache, daß wir uns als eine echte Interessenvertretung auffassen.

Natürlich gibt es da gewisse Analogien und gewisse Gleichklänge, wenn ich mich so ausdrücken darf. Ich bin absolut nicht der Meinung, daß das heutige Parteiensystem für ewige Zeiten sein wird.

FURCHE: Herr Präsident, Sie haben gerade in Graz ein Wort in den Vordergrund gestellt, das uns allen einmal sehr teuer war, nämlich das der christlichen Demokratie. Ist die christliche Demokratie, wenn wir das jetzt ernstlich über die Politik des Tages hinaus prüfen, nicht eine Idee der Nachkriegszeit, des Aufbruches, gewesen? Kann man heute wirklich noch von der „christlichen Demokratie“ als politisch wirksamer Kraft sprechen? Genauer: ist die Volkspartei in ihrer heutigen Konstellation noch eine christlich-demokratische Partei?

MALETA: Die christliche Demokratie ist in einem tiefen Strukturwandel begriffen, und zwar seit ihrem Bestand. Man kann eigentlich sagen, daß sie aus den konfessionellen Parteien herausgewachsen ist, daß sie hier Entwicklungsphasen durchgemacht hat und daß diese Entwicklungsphasen uns heute in ein Stadium gebracht haben, wo man die Frage stellen muß: „Hat sie eine Existenzberechtigung oder äst eine Existenznotwendigkeit vorhanden?“

FURCHE: Konkret gesprochen: Ist nicht die Volkspartei heute eine konservativ-liberale Partei mit christlich-demokratischen Einsprengseln?

MALETA: Ich möchte das nicht so sagen. Das kommt auf die Perspektive der Betrachtung an. In mancher Beziehung kann der Eindruck entstehen, daß die ÖVP eine konservativ-liberale Partei mit christlichen Einsprengseln ist. Aus einer anderen Perspektive kann ich sagen, gerade was die gesellschaftspolitischen Leitbilder betrifft, daß sie eine sehr starke traditionsverbundene Basis mit der ursprünglichen christlichen Demokratie hat.

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