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Ordnungspolitik

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Es ist kein Zufall, daß gerade in jüngerer Zeit eine Reihe namhafter Wirtschaftswissenschafter sehr nachdrücklich darauf hingewiesen hat, daß Wirtschaftsordnung, Sozialordnung und politische Ordnung eine untrennbare Einheit darstellen.

Es ist also festzuhalten: Erstens die Tatsache, daß infolge der engen wechselseitigen Abhängigkeit aller wirtschaftlichen Zustände und Geschehnisse Wirtschaftspolitik nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie bewußt auch Ordnungspolitik ist, das heißt, wenn ihre einzelnen Maßnahmen nicht nur einander gegenseitig entsprechen und ergänzen, sondern auf ein bestimmtes Gesamtbild der erstrebten Wirtschaftsordnung abgestimmt sind. Zweitens: weil die einzelnen Teilbereiche der gesellschaftlichen Ordnung — wie Rechtsordnung, Wirtschaftsordnung, sittliche Ordnung und andere — im Grunde genommen eben nur Teile einer bestimmten Gesamtordnung sind, müssen diese Teilbereiche, wenn überhaupt Ordnung verwirklicht werden soll, im Hinblick auf die Gesamtordnung in gegenseitiger Entsprechung und Ergänzung gehalten werden. Drittens muß betont werden, daß soziale Gerechtigkeit keineswegs etwa nur durch Aneinanderreihung einzelner sozialpolitischer Akte, sondern nur durch die Schaffung einer funktionsfähigen, ausgewogenen und gerechten Gesamtordnung verwirklicht werden kann. So wäre es zum Beispiel durchaus denkbar, daß jemand auf den Gedanken käme, möglichste Nivellierung der Verbrauchseinkommen als eine Forderung sozialer Gerechtigkeit aufzustellen. Das wäre „punktuell“ gesehen: denn eine solche Nivellierung würde den in jeder Gemeinschaft gegebenen großen Unterschieden in der funktionellen Verantwortung und den individuellen Leistungen nicht Rechnung tragen, zu einer Minderung der Leistung und der Freiheit führen und somit die Verwirklichung eines sozial erträglichen Zustandes weit mehr stören als fördern. Auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik muß an die Stelle des Denkens in quantitativ - mechanistischer „Gerechtigkeit“ qualitativ - funktionelles Ordnungsdenken treten. Gerechtigkeit ist ein ordnungspolitisches Problem. Einige kurze Beispiele: Es ist in sich widerspruchsvoll, in einer Marktlage des Verkäufermarktes, das ist, wenn den Verkäufern die Waren aus der Hand gerissen werden, reichlichere Versorgung der Konsumenten mit bestimmten Gütern anzustreben und gleichzeitig die Preise dieser Güter zwangsweise niedrig, möglicherweise sogar unter dem Kostenniveau zu halten. Es ist umgekehrt ebenso widerspruchsvoll, bei Vorherrschen eines Käufermarktes Ausweitung des Absatzes ohne Senkung der Preise zu suchen. Es ist deshalb wirtschaftspolitisch widersinnig und verfehlt, in einer Zeit, in der im Außenhandel Käufermarkt herrscht, der nach Preissenkungen ruft, im Inland durch inflationistische Einkommenspolitik eine Situation des Verkäufermarktes zu schaffen, der die Preise hinauftreibt.

Wirtschaftliche und politische Macht sind weitgehend identisch. Die Zentralisierung wirtschaftlicher Macht in einigen staatlichen Büros hebt die politische Freiheit weitgehend auf. Man kann deshalb nicht diese Zentralisierung wirtschaftlicher Macht und politische Freiheit gleichzeitig wollen. Wer dies tut, hat das Problem nicht durchgedacht oder ist unehrlich. Ein anderes Beispiel: Persönliche sittliche Verantwortung und Freiheit einerseits, Zwang andererseits sind reziproke Größen. Je mehr persönliche Verantwortung, desto größer die Möglichkeit der Freiheit und desto geringer die Notwendigkeit zu Zwang. Umgekehrt: Je mehr Zwang, desto geringer der mögliche Rahmen persönlicher Verantwortung. Es ist deshalb in sich widerspruchsvoll, ein Höchstmaß an Freiheit anzustreben und gleichzeitig die Grundlagen sittlicher persönlicher Verantwortlichkeit zu untergraben . oder, ein Zwangsregime einzuführen und gleichzeitig eine Zunahme der persönlichen Verantwortlichkeit zu erwarten, In der Außenpolitik: Zentralverwaltungswirtschaft setzt Zentralisierung der politischen Macht voraus. Alle Versuche, Europa um einen Machtkern zu einen, sind an der hartnäckigen Abneigung der europäischen Völker gegen die Vorherrschaft einer Macht gescheitert. Es wird deshalb die politische Einigung Europas auch in Zukunft nur in einem echten, gleichgewichtigen Föderalismus möglich sein. Föderalismus bedeutet aber Dezen tralisierung der politischen Macht. Es ist deshalb widersinnig, die Einigung Europas und Zentralverwaltungswirtschaft anzustreben.

Allmähliche Gewöhnung an ordnungspolitisches Denken, das heißt an ein Denken in Ordnungszusammenhängen, ist eine der notwendigen Voraussetzungen für eine dauerhafte Stärkung und Gesundung auch . unseres Landes. Uns scheint dies in eben diesen Monaten, da wir uns einem Wahlkampf und der mit einer Wahl verbundenen Neukonstituierung der innenpolitischen Gegebenheiten nähern, von besonderer Wichtigkeit. Das Erfahrungsmaterial der letzten 50 Jahre ist so umfassend und eindrücklich, daß es den staatsbejahenden politischen Gruppen in Österreich an sich durchaus möglich sein müßte, in den wesentlichen Fragen der Gesamtordnung eine weitgehende Übereinstimmung ihrer Meinungen und Standpunkte zu finden. Daß dies bisher nicht gelang, hat seine Ursache hauptsächlich in dem Umstand, daß diese Standpunkte noch zu einer Zeit gewählt wurden, in denen diese Erfahrungen und die Ergebnisse zahlreicher wirtschafts-, sozial- und staatspolitischer Experimente noch nicht Vorlagen. Zweitens wirkt aus der Vergangenheit ein gewisses, noch nicht ganz abgetragenes Maß an gegenseitigem Mißtrauen und gegenseitiger Bitternis nach. Drittens — auch dies darf nicht-übersehen werden — hat sich die politische Auseinandersetzung teilweise von der Ebene gegensätzlicher oder von einander abweichender Überzeugung auf die Ebene des reinen Machtkampfes ver-

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