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Digital In Arbeit

Weder konservativ noch liberal

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Der von unserem Blatt angekündigte christlich-soziale 'Arbeitnehmerkongreß 1960 fand vor einiger Zeit statt. In Köln, vor 1100 Delegierten sowohl katholischer wie evangelischei Organisationen, die im allgemeinen politisch auf der Linie der CDU stehen. Das erstemal nahm an einem Kongreß christlicher Arbeitnehmer auch das Staatsoberhaupt teil. Da offiziell weder Partei- noch Gewerkschaftsvertreter anwesend waren, konnten reine Interessenfragen zumindest aus den Prinzipienerklärungen ausgeschlossen werden. Auf diese Weise war Gelegenheit geboten, sich mehr als bei Kundgebungen ähnlicher Art dem Grundsätzlichen zuzuwenden.

In der Deutschen Bundesrepublik hat die Partei Adenauers viel von ihrer christlichen und sozialreformerischen Substanz verloren. Die CDU ist heute weithin eine liberale und christliche Partei geworden. Die Schwäche der FDP ist ein Beweis für diese Tatsache. Die Masse der Liberalen hat in der CDU eine Zwischenheimat gefunden und weiß ihre Interessen, zumindest die wirtschaftlichen, unter christlich-demokratischer Etikette besser gewahrt als in einer Partei, die sich nicht geniert, das Liberale zum Glaubenssatz zu erheben.

Auf der anderen Seite stehen die deutschen Sozialisten, die sich im Godesberger Programm, wie Dr. Dittmar auf dem Kongreß sagte, „unverbindlich“ geben, keinesfalls aber mehr Glaubensersatz bieten wollen. Die SPD ist heute, so will sie jedenfalls verstanden werden, vor allem eine Interessentenpartei. Wie die CDU.

Zwischen faktisch Christlich-Liberalen und formell Liberal-Sozialisten steht heute die christliche Arbeitnehrnerschaft. Beider Konfessionen.

Ebenso aber stehen die christlichen Arbeitnehmer zwischen den Blöcken der kartellisierten oder in Verbänden integrierten Unternehmerschaft und des DGB. Die Unternehmer können mit Recht auf die Höhe des deutschen Brutto-nationalproduktes hinweisen, das sie mitschaffen geholfen haben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund dagegen kann feststellen, daß vor allem er es war, der den Dienstnehmern ihren angemessenen Anteil an dem Zuwachs zu verschaffen wußte.

In dieser Situation — und wir können auch sagen angesichts dieses Dilemmas — fand der erste christlich-soziale Arbeitnehmerkongreß statt.

Es würde den Rahmen sprengen, wollte man auch nur einen Teil der Reden des Staatsoberhauptes, des Arbeitsministers und der Repräsentanten der verschiedenen Verbände wiedergeben. Zu welchem Resultat der Kongreß kam, zeigt die Proklamation, deren wichtigste Thesen im Auszug wiedergegeben seien. Sie verdienen über die Grenzen der Deutschen Bundesrepublik hinaus Beachtung.

UNSERE FORDERUNGEN

Familie

Der Familie ist die ihr zustehende Vorrangstellung einzuräumen. Sie bedarf des besonderen Schutzes vor den Auswüchsen der Erwerbswirtschaft und vor dem Geltungsanspruch übermächtiger Gesellschaftsgebilde.

Ihr Streben nach materieller und sozialer Sicherheit muß wirksame Unterstützung finden.

Ein verstärkter Familienlastenausgleich muß eine soziale Deklassierung der Familie verhindern.

Wirtschaft

Die Wirtschaft als Teilbereich der Gesellschaft besitzt keine autonome Eigengesetzlichkeit, sondern findet ihren Maßstab in der Gemeinwohlgerechtigkeit.

Zur Verringerung der Spannungen zwischen „Arbeit und Kapital“ wird der Ausbau der überbetrieblichen Mitbestimmung (zum Beispiel Bundeswirtschaftsrat) gefordert.

Der schuldrechtliche Charakter des Arbeitsvertrages ist zu beseitigen. An seine Stelle muß die personenrechtliche Begründung des Arbeitsvertrages treten.

Jede Konzentration der Wirtschaft ist eine Gefahr. Das Ausmaß der bisherigen Konzentration ist nicht zu verantworten. Die Verwirklichung des machtverteilenden Prinzips ist unabdingbar. Es sind Maßnahmen zu treffen, die die Umwandlung wirtschaftlicher Macht in politische Macht verhindern (Parteiengesetz).

Währungsstabilität betrachten wir als eines der dringenden Sozialerfordernisse. Wir verlangen deshalb Währungsstabilität und eine dazu notwendige Unterstützung aller darauf abzielenden Maßnahmen, auch durch die Unternehmer. Eigentum

Eigentum ist ein unentbehrliches Element der Gesellschaftsordnung. Seine Ordnungsfunktion erfüllt es aber nur in breiter Streuung und unter Wahrung seiner Sozialverpflichtung.

Über den Weg des Sparens allein ist eine breite Eigentumsstreuung nicht zu erreichen. Die Arbeitnehmerschaft muß am volkswirtschaftlichen Vermögen gerecht beteiligt werden.

Eine wertvolle Form der persönlichen Eigentum sbildung ist der Bau von Familienheimen und Eigentumswohnungen. Dazu ist die Schaffung eines sozialorientierten Bodenrechts unerläßlich.

Arbeits- und Sozialrecht

Für das Arbeits- und Sozialrecht wird gefordert: Unter Berücksichtigung der beruflichen Besonderheiten ist die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten anzustreben. Dies gilt insbesondere für die Neuordnung der Sozialen Krankenversicherung.

Sonntagsheiligung

Die christlich-soziale Arbeitnehmerschaft beobachtet mit großer Sorge die zunehmende Entheiligung des Sonntags. Der Sonntag ist eine unabdingbare Grundlage christlicher Lebensordnung. Darum ist die Sonntagsarbeit auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Rücksichtnahmen auf Rentabilität, Produktivität oder auf Sonntagszuschlag rechtfertigen keine Sonntagsarbeit. Staat

Die christlich-soziale Arbeitnehmerschaft bekennt sich zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Sie ist bereit, sich mit ihrer ganzen Kraft für die Erhaltung und Festigung dieses Staates einzusetzen.'

INTERNATIONALE SOLIDARITÄT

Die christlich-soziale Arbeitnehmerschaft bekennt sich zum Gedanken der europäischen Zusammenarbeit und der' internationalen Völkerverständigung. Der Kongreß bekräftigt die Bereitschaft aller beteiligten Organisationen der Christlich-Sozialen Bewegung, auch in der Zukunft die Bestrebungen zur Zusammenarbeit und zur Hilfeleistung für die entwicklungsfähigen Länder mit allen zu Gebote stehenden Kräften zu fördern und zu unterstützen.

Die Größe dieser Aufgabe fordert die Solidarität und die Zusammenarbeit aller Organisationen und Verbände der Christlich-Sozialen Bewegung. Darum hat der Kongreß beschlossen, einen „Ständigen Ausschuß der Christlichsozialen Arbeitnehmerkongresse“ zu schaffen.

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