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Das freie Mandat

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Während die Öffentlichkeit eine Reform des Wahlrechtes erwartet, hat der Bundesminister des Innern dem Nationalrat zwei Gesetzentwürfe auf den Tisch gelegt, nach denen — alles beim alten bleiben soll. Nur eine ganz kleine Bestimmung soll, man ist versucht zu sagen, in unser Staatsrecht eingeführt werden. In Hinkunft sollen Abgeordnete, wenn sie aus ihrer Partei ausscheiden, schon dadurch ihr Mandat verlieren.

Ein solches Ausscheiden aus der Partei erfolgt in der Regel, wenn ein Abgeordneter zu seiner Partei aus einem ernsten Grunde in einen unlösbaren Gegensatz gerät. Die Ursache kann eine ihn moralisch oder politisch belastende sein; aber sie muß es nicht sein; e ist der Fall denkbar, daß ein oder mehrere Abgeordnete an einem bestimmten Beschluß ihres parlamentarischen Klubs sachlichen Anstoß nehmen, darin eine schwere Verletzung ihrer persönlichen Überzeugung, der Grundsätze der Partei oder der Interessen des von ihnen vertretenen Volksteiles oder Bundeslandes sehen; nicht imstande, ihre Meinung in einer solchen wichtig erscheinenden Sache durchzusetzen, treten sie aus ihrer Partei aus oder werden durch Klubbeschluß ausgeschieden. Und deshalb sollen sie mit dem Verlust ihres Mandat belegt werden?

Bisher waren häufig in den Formeln, mit denen der einzelne Abgeordnete sich bei der Mandatsübernahme seiner Partei verband, Bestimmungen enthalten, in denen er sich im Falle der Trennung von der Partei zur Mandatsniederlegung verpflichtete. Schon ein solches Abkommen widersprach dem Sinne der Verfassung, aber e konnte als eine gewissermaßen freiwillig übernommene Bindung toleriert werden. Jetzt aber — nach dem Wortlaut der neuen Regierungsvorlage — wird aus der Freiwilligkeit ein gesetzlicher Zwang, das heißt das Gesetz würde zur Durchsetzung der Klubdisziplin, der unbedingten Unterordnung des einzelnen Abgeordneten unter die Mehrheit eines großen oder kleinen Parteiklubs herangezogen.

Die Konsequenzen einer solchen gesetzlichen Bestimmung sind weitreichend und M ist deshalb zu untersuchen, ob sie überhaupt im Einklang mit der Varfassung stehen.

Nach Artikel 56 der Bundesverfassung sind die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden, eine Bestimmung, die noch aus dem alten österreichischen Verfassungsrechte stammt. Der Abgeordnete kann auf Grund des Prinzips des „freien Mandats” nicht einmal von seinen Wählern an einen Auftrag gebunden werden. Denn die Mitglieder dieser gesetzgebenden Körperschaften sind nicht Vertreter einzelner Wählergruppen (Parteien) oder der Wahlkreise, die sie entsenden, sondern jeder ein-, zelne von ihnen ist nach dem Willen der Verfassung bei Ausübung seines Mandats Vertreter des gesamten Bundesvolkes.

Würde nun der Abgeordnete bei Mandatsverlust gesetzlich dazu verhalten, einem bestimmten Beschluß eines Klubs sich unterzuordnen, so hat er im konkreten Falle einem Auftrag zu folgen, also im Widerspruch mit der Verfas- sungsbestimmung zu handeln. Die geplante Gesetzesvorschrift steht so sehr zum ganzen Geist unseres Verfassungs- Idbens in Gegensatz, daß sie auch dann sinnwidrig und unannehmbar wäre, wenn man sie als „Verfassungsbestim- mung” unangreifbar machen wollte. Österreich ist ein Volksstaat. Die Einführung einer derartigen Bestimmung wäre der erste Schritt zum omnipotenten Parteistaat, der nicht viel besser ist als die Diktatur.

Es ist notwendig, sich den Fall des Falles vorzustellen. Jener Paragraph, der jeden Volksvertreter seines Mandats und seiner Immunität entkleidet, kann in ernsten Krisen zur Erdrosselung jeder freien Meinungsäußerung werden und dem Volke unter Umständen die einzige Tribüne nehmen, auf der noch die Wahrheit, die Freiheit und die höchsten Lebensinteressen der Demokratie verteidigt werden können. Im Grunde ist die Zerstörung des freien Mandats die Zerstörung der freien Volksvertretung und des Wesenskerni des Parlamentarismus.

Das Parteiwesen erfreut ich heute — ob mft Recht oder Unrecht, sei hier nicht untersucht —, zumal in der jüngeren Generation, geringer Zuneigung. Man kann nur braten, der Interesselosigkeit und Kritik am öffentlichen Leben dadurch neue Nahrung ztt geben, daß man die Abgeordneten als Marionetten verdächtig macht, deren Bewegungen nicht von ihrem freien Willen, sondern’ von unkontrollierbaren Instanzen bestimmt werden.

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