"Wir brauchen mehr Realitätsnähe"

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Sigurd Höllinger will das von Finanznöten und personellen Turbulenzen geplagte Institut für Höhere Studien auf neue Beine stellen. Seine Ziele sind fachübergreifendes Arbeiten und mehr gesellschaftliche Relevanz. Das soll dem IHS neue Chancen und Märkte eröffnen.

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Sigurd Höllinger will das von Finanznöten und personellen Turbulenzen geplagte Institut für Höhere Studien auf neue Beine stellen. Seine Ziele sind fachübergreifendes Arbeiten und mehr gesellschaftliche Relevanz. Das soll dem IHS neue Chancen und Märkte eröffnen.

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Traditionell unabhängige Forschungsinstitute sehen sich immer schärferer Konkurrenz durch politisch gesteuerte Thinktanks ausgesetzt. Wie kann dieser Trend geändert werden? Das IHS versucht einen ganz neuen Weg. Sigurd Höllinger, interimistischer IHS-Chef, erklärt, wie.

Die Furche: Das IHS hat unter Ihrer interimistischen Führung eine beträchtliche Umstellung und Neuausrichtung vollzogen. Warum war das notwendig, abseits von finanziellen Engpässen?

Sigurd höllinger: Die Universitäten sind in den vergangenen Jahren beträchtlich vergrößert worden. Sie sind wesentlich breiter aufgestellt als das IHS. Damit hat das IHS in diesem Bereich seine Innovationsfunktion eingebüßt - etwa im Bereich der Spieltheorie. Das hat ein Viertel unseres jährlichen Basis-Budgets gekostet. Und das für ein sehr schmales Segment der Ökonomie. Wir brauchen mehr Nähe zur Realität und zur Praxis.

Die Furche: Haben die Forschungen nicht auch in Fachkreisen viel an Reputation gebracht? Einer der Gründer des IHS, Oskar Morgenstern, ist auch einer der Erfinder der Spieltheorie.

höllinger: Ja, aber diese Reputation ist nur für einzelne Universitäten relevant. Der ehemalige Direktor des IHS, Bernhard Felderer, hat diesen Bereich sehr gepflegt, und das hat auch seiner Reputation gedient. Aber eigentlich sind dafür Universitäten zuständig. Die können auch ohne IHS Doktoratsstudien betreiben. Es geht uns nicht um Erkenntnisse um der Erkenntnis willen, sondern um Perspektiven, die Lösungen schaffen, die in der Realität bestehen können. Die Furche: Welche Bereiche wären das?

höllinger: Da gibt es viele. Etwa die Probleme in der Finanzierung und Ausrichtung des Gesundheitsbereichs. Dieses Problem muss nicht nur von Ökonomen, sondern auch von den Sozialwissenschaften behandelt werden. Denn wirtschaftspolitische Maßnahmen oder ihre Unterlassung haben ja auch Effekte, welche die Sozialpolitik behandeln muss.

Die Furche: Das klingt logisch. Aber warum ist das nicht schon bisher geschehen?

höllinger: Die Sozialwissenschaften wurden von einzelnen Direktoren geduldet, aber nicht gefördert. Die Neuausrichtung ändert das, was nicht heißt, dass wir unsere Kompetenz in der Ökonomie aufgeben.

Die Furche: Aber die Ausrichtung wird damit dann auch eine noch mehr an Gewinn und Umsatz orientierte?

höllinger: Meine Idee wäre, dass nicht nur die Auftragsforschung für die Geldgeber im Zentrum stehen soll, sondern auch das IHS selbst Fragestellungen für den Auftraggeber formuliert. Der Wissenschafter hat ja einen etwas anderen Blick und ist unabhängig von den Sachzwängen etwa eines Ministeriums, das die Aufträge erteilt.

Die Furche: Aber in der Vergangenheit wurde das Institut auch ideologisch als neoliberal oder neoklassisch eingestuft. Ist es mit dieser Ausrichtung nun auch vorbei?

höllinger: Es ist immer schlecht, wenn man über Vorgänger spricht. Aber Direktor Felderer war sehr erfolgreich, wenn es darum ging, neue Projekte und Geld ins Haus zu bringen. Das Institut ist durch die neoliberale Betonung, die sein Nachfolger Christian Keuschnigg dem Institut verpasst hat, bei einem Teil der politischen Akteure in Ungnade gefallen.

Die Furche: Und inwiefern kann sich ein Institut wie das IHS unabhängig entfalten?

höllinger: Das ist eine ganz zentrale Frage der Politik des Hauses hier. Natürlich ist die Verlockung groß, dass die Ministerien als Auftraggeber das bestellen, was ihnen passt. Da muss man das Vertrauen in die Unabhängigkeit so stark machen, dass das auch für die Kunden akzeptabel wird. Ein Institut, das immer fromm seinem Auftraggeber entspricht, verliert seinen Wert binnen kürzester Zeit. Auch für den Auftraggeber.

Die Furche: Aber haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie da gegen einen übermächtigen Strom schwimmen? In den USA werden die besten Wissenschafter von Konzernen eingekauft und in Thinktanks gesteckt, um reine Interessenspolitik zu machen. Ganz stark zu sehen ist das in der Klimadebatte. Wird Europa diesem Trend nicht folgen, ganz einfach aufgrund der Konzentration des Kapitals in privaten Händen und der mangelnden Dotierung der Universitäten?

höllinger: Dieses Problem gibt es natürlich. Keine Frage. Aber das ist auch die Chance des Instituts -nämlich wissenschaftlich unabhängig zu sein und etwas Nützliches als Forschungsarbeit zu erzeugen, was in der politischen Debatte nicht übersehen werden kann. Man darf nie in den Verdacht geraten, dass man Gefälligkeiten macht.

Die Furche: Bedeutet aber in Österreich nicht gerade die Punzierung finanzielle Sicherheit? Etwa dass manche Ministerien einen "linken" und einen "rechten" Gutachter brauchen, wenn es etwa um die Konjunkturprognose geht, die das IHS immer im Gleichschritt mit dem WIFO angestellt hat?

höllinger: Ja, aber da kann es ja auch Probleme geben. Es kommt schon vor, dass in der Wahrnehmung einiger Geldgeber ein Institut z. B. nach links gerutscht sei und deswegen Teile seiner Finanzierung verliert.

Die Furche: Aber geht eine solche politisch punzierte Forschung vollkommen an der Realität vorbei, wenn der Auftraggeber über die Basisfinanzierung auf Studien Einfluss nimmt? Und ganz generell: Was nützen denn Unternehmern oder Industriellen, die brav ihre Mitgliedsbeiträge an Kammern und Vereinigungen abführen, politisch gefärbte Studien?

höllinger: Eine kluge Interessensvertretung lässt die Realität immer so betrachten, wie sie wirklich ist, und zieht dann eigene Schlussfolgerungen. Da kann es natürlich in sehr seltenen Fällen auch den Druck geben, dass etwas nicht veröffentlicht wird. Aber grundsätzlich passiert Forschung im öffentlichen Interesse, das ist unser Kerngeschäft.

Die Furche: Aber wie steht es mit dem Einfluss einzelner Ministerien auf Studien?

höllinger: Ministerien gehören nicht den Parteien. In den Köpfen der jeweiligen Minister und Kabinette vielleicht, aber nicht in der Realität. Übrigens sind die Kabinette teilweise radikaler als die Minister. Die Minister und Präsidenten sind die Souveräneren, und die Kabinette sind die "scharfen Hunde", die man einsetzt. Aber grundsätzlich gilt, dass die öffentlichen Mittel ausgegeben werden können, wenn die Forschung im öffentlichen Interesse liegt. Und das wird auch so gehandhabt.

Die Furche: Aber wer beurteilt, was in öffentlichem Interesse liegt?

höllinger: Letztlich die Öffentlichkeit. Das IHS kann nur versuchen, sich zu bewähren, vor allem was die Außenwirkung betrifft, dass das IHS nicht übersehen wird. Hier sind Verbesserungen zu machen.

Die Furche: Wie soll das fächerübergreifende Arbeiten funktionieren und wie kann man Wissenschafter davon überzeugen, dass gemeinsame Forschung wichtiger ist als ihr Fachgebiet allein?

höllinger: Es wird demnächst vier Cluster geben, in denen die MitarbeiterInnen auch interdisziplinär zusammenarbeiten werden. Es gibt also den Cluster "Europäische Integration" - noch im Aufbau begriffen. Ein zweiter Cluster beschäftigt sich mit der Zukunft des Wohlfahrtsstaates, der dritte mit wirtschaftlicher Dynamik und Nachhaltigkeit. Der vierte widmet sich dem Fortschritt durch Wissenschaft, Bildung und Technologie. Die Arbeit wird sich dadurch stark verändern. Ökonomische Phänomene werden in Zukunft nicht mehr nur den Ökonomen überlassen, sondern auch von Soziologen und Politologen erforscht. Nur so kann man solche Vorgänge von politischer und gesellschaftlicher Relevanz tatsächlich analysieren.

Die Furche: Aber gibt es da nicht auch das Problem, dass die wissenschaftliche Welt schon derart spezialisiert ist, dass die Beteiligung an so weitgespannten Projekten für den einzelnen Wissenschafter gar keine Reputation bringt und damit kaum persönliche Anreize -so wichtig die Sache gesellschaftlich auch sein mag?

höllinger: Das ist richtig, und das ist ein Problem. Natürlich denken die Mitarbeiter jetzt an ihre fünf oder zehn wissenschaftlichen Fachjournale, in denen sie publizieren wollen. Die Wissenschafter werden aber nicht mehr Artikel in dieser Frequenz produzieren können. Es ist auf jeden Fall eine intrinsische Motivation wichtig. Aber dazu muss man sagen: Unsere Wissenschafter haben zum Teil schon Karriere gemacht und sind angesehene Leute. Die können jetzt beispielsweise dazu beitragen, unser Prognosemodell zu verbessern durch neue Modelle und durch die Bewältigung größerer Datenmengen. Je weniger Annahmen man treffen muss, umso sicherer wird die Prognose.

Die Furche: Es könnte also in Zukunft eine IHS-Prognose geben, die wesentlich besser ist als die anderer Institute.

höllinger: Ja, das ist eine Idee, aber dazu müssen sich eben die Wissenschafter erst finden, und das ist sicher eine Sache der kulturellen Veränderungen, die da vor sich gehen muss.

Die Furche: Wenn wir ein aktuelles Thema nehmen: die starken Veränderungen in der Arbeitswelt, die durch die Möglichkeiten der Computerisierung entstehen und dramatische Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben werden, wie etwa die Löschung oder Einschränkung zahlreicher Industrien und Dienstleistungsbereiche. Was wäre da ein Beitrag des neuen IHS?

höllinger: Wir haben dazu schon einige Vorschläge im Bereich "Industrie 4.0". Außerdem geht es da auch stark um Bildungsfragen, also: Was sind die neuen Anforderungen an die Arbeitswelt und wie werden entsprechend Qualifizierungen oder Nachqualifizierungen erreicht? Was wir nicht behandeln könnten, wären die psychologischen Auswirkungen dieser Entwicklung, aber dazu könnte man sich geeignete Partnerschaften suchen.

Die Furche: Ist die neue Kultur des fachübergreifenden Arbeitens in der Welt der Auftraggeber eigentlich schon angekommen?

höllinger: Ich denke schon, bewähren muss es sich natürlich noch. Ich habe aber rundherum vorsichtigen Zuspruch erfahren.

´Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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