"Raus aus dem Elfenbeinturm!"

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Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen, zählt zu den Hauptanliegen von Barbara Schober. Die FURCHE traf die Bildungsund Transferforscherin anlässlich der 11. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie in Wien zum Gespräch.

DIE FURCHE: Warum ist die bildungspsychologische Transferforschung wichtig?

Barbara Schober: Die aktuell häufige "Bereitstellungslogik" wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Praxis funktioniert nicht. Im Wissenschaftsbetrieb werden Studien gemacht, die idealerweise in hochrangigen Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Dafür erhält man derzeit wissenschaftliche Meriten, darauf baut man seine Karriere. Es gibt aber noch kaum greifbare Anreize dafür, Wissen auch zu transferieren. Und es gibt noch keine expliziten Förderschienen für Transferforschung, die sich damit beschäftigt, wie es gelingen kann, neue Erkenntnisse in die gesellschaftlichen Systeme hineinzubringen. In den USA etwa wird in diese Art der Forschung bereits sehr viel investiert. Wir brauchen solche Schnittstellen zwischen Forschung und Praxis, und wir brauchen Anreize für Wissenschafter, um die wissenschaftliche Logik mit anderen gesellschaftlichen Logiken, insbesondere der politischen, zu verbinden.

DIE FURCHE: Inwiefern klaffen die politische und die wissenschaftliche Logik auseinander?

Schober: Das Bildungssystem ist extrem träge und bedarf einer langfristigen Perspektive: Wie lange muss man den Maßnahmen Zeit geben, damit sie wirken? Die politische Logik hingegen funktioniert viel schneller. Die Politik denkt in Legislaturperioden und neigt dazu, auf aktuelle Probleme mit Maßnahmen zu reagieren, die nicht langfristig genug vorbereitet wurden und denen dann überdies nicht die Zeit gelassen wird, zu wirken. Dabei werden Reformen oft ohne ausreichende wissenschaftliche Evidenz im Hintergrund gesetzt -wie in Deutschland zum Beispiel die Verkürzung der Gymnasialzeit. Diese Maßnahme hat in der Umsetzung viele Probleme mit sich gebracht; und eine Rückkehr zur alten Variante wird jetzt ernsthaft diskutiert. Derzeit werden leider viele solche Bildungsexperimente ohne theoretischen Hintergrund durchgeführt, wobei ganze Generationen von den Kosten betroffen sein können. Es wäre daher klug und verantwortungsvoll, darüber nachzudenken, inwiefern man Bildungsreformen - ganz im Sinne der Nachhaltigkeit -nicht einmal im Zeichen des konsensualen Moratoriums aus den Wahlkampfthemen ausklammern kann.

DIE FURCHE: Welche Empfehlungen wären aus Sicht der Wissenschaft für die aktuelle Bildungspolitik abzuleiten?

Schober: Eine zentrale Botschaft ist, die wissenschaftliche Evidenz der Bildungsforschung langfristig einzubeziehen, damit es nicht zu einem hohen Maß an individuellen und gesellschaftlichen Verlusten kommt. Viele Studien zeigen, dass Bildungserfolg mit psychischer Gesundheit, Jobzufriedenheit und subjektivem Lebenserfolg korreliert und Wirtschaftswachstum klar mit einem gut funktionierenden Bildungssystem zusammenhängt. Wenn man den tragischen Fehler macht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren, kostet das Österreich langfristig vermutlich sehr viel Geld.

DIE FURCHE: Vor welchen Problemen stehen die Bildungsforscher?

Schober: Wissenschafter müssen es besser schaffen, als Problemlöser wahrgenommen zu werden. Derzeit ist das nicht wirklich der Fall. Das hat natürlich damit zu tun, dass der Bildungsbereich massiv ideologisch geprägt ist. Wir brauchen aber auch mehr Forschung, die sich nicht an Einzelteilen aufhängt, sondern den Mut zur Ganzheitlichkeit hat. Wissenschaft hat auch die Aufgabe, zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Dieser Auftrag ist vielerorts verankert. Das heißt aber auch, dass Wissenschafter mehr als bisher aktiv den Elfenbeinturm verlassen und sich in gesellschaftspolitische Diskussionsprozesse einbringen sollten.

DIE FURCHE: Motivation gilt als zentraler Faktor für den Lernerfolg. Welche Bedingungen sind erforderlich, um die Motivation bei Schülern bestmöglich zu fördern?

Schober: Wichtig ist das Empfinden von Selbstwirksamkeit, das heißt die Schüler müssen das Gefühl haben, Erfolg haben zu können. Man muss ihnen Strategien vermitteln, wie sie ihre Ziele erreichen können. Es ist für die Motivation nicht förderlich, wenn alle stets das Gleiche machen. Davon profitieren oft nur die Besseren, und es wird den individuellen Stärken und Schwächen nicht gerecht. Es geht auch um eine bestimmte Art von Lob und eine Fehlerkultur. Wichtig ist zudem, Wahlmöglichkeiten zu schaffen: Dadurch wird das Gefühl vermittelt, dass sich jeder Schüler irgendwie einbringen kann. Möglichst frühzeitig sollte das Gefühl der Verantwortung für das eigene Handeln vermittelt werden. Nicht zuletzt darf das System nicht den Selbstwert der Schüler bedrohen. Denn wenn der Selbstwert bedroht wird, gerade in der Phase der Pubertät und ihren häufigen Identitätskrisen, dann steigt das Risiko des Ausstiegs. Man kündigt dann innerlich und sucht sich ein Feld, wo der Selbstwert nicht mehr bedroht ist.

DIE FURCHE: Was sagen Sie zur Diskussion um die Bewertung des schulischen Erfolgs?

Auch individuelle Bezugsnormen, das heißt das Erfassen des Lernfortschritts ohne Fokus auf den Vergleich zu anderen, sind wichtig. Noten per se über individuelle Bezugsnormen zu vergeben, funktioniert jedoch in unserem System nicht. Aber individuelle Bezugsnormen für das Feedback mit kriteriellen und transparenten Normen zu kombinieren, ist machbar - und hat einen positiven Effekt auf die Motivation.

DIE FURCHE: Welche Rolle spielt aus wissenschaftlicher Sicht die Klassengröße in den Schulen?

Schober: Eine geringere Klassengröße führt nicht per se dazu, dass die Leistungsergebnisse der Schüler besser werden. Die Klassengröße ist nur eine vermittelnde Variable, das heißt zum Beispiel, wenn weniger Schüler in einer Klasse sind, fühlen sich die Lehrkräfte entspannter, und wenn sie dann auch noch interaktiv unterrichten, gibt es Effekte für bestimmte Bereiche wie etwa das Klassenklima. Bei Frontalunterricht in einem nicht-interaktiven Kontext spielt die Klassengröße aber nicht die entscheidende Rolle. Die Frage für Qualität ist doch, was passiert im Unterricht? Die Strukturfrage bildet nur den Rahmen: Sie ist relevant, darf aber nicht übergewichtet werden.

DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die aktuellen schul- und universitätspolitischen Entwicklungen in Österreich?

Schober: Es wirkt im Moment sehr bedrohlich. Gut ist freilich die grundlegende Idee hinter der derzeitigen Reform der Lehrerbildung. Wir brauchen mehr wissenschaftliches Denken und weitaus weniger Ideologie. Man sollte aber nicht glauben, dass Reformen kostenneutral oder gar mit Einsparungen gut durchführbar sind. Wenn man es ernst meint, sollte man überlegen, ob es nicht einen Weg gibt, den Bildungsbereich aus den Sparmaßnahmen auszuklammern. Denn heutige Einsparungen könnten uns wirtschaftlich ordentlich auf den Kopf fallen. Gerade in einem kleinen Land wie Österreich, das auf eine Wissensgesellschaft angewiesen ist, sollten wir nach einem Maximum an Innovationskraft trachten.

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