Prorok - © Foto: KDZ

Thomas Prorok: „Den Spieß umdrehen“

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Was das Beamtenethos angeht, ist es zu einer Desensibilisierung gekommen, sagt Verwaltungsforscher Thomas Prorok. Über aufgeblähte Kabinette, Parallelverwaltungen und Doppelgleisigkeiten.

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Was das Beamtenethos angeht, ist es zu einer Desensibilisierung gekommen, sagt Verwaltungsforscher Thomas Prorok. Über aufgeblähte Kabinette, Parallelverwaltungen und Doppelgleisigkeiten.

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Die Causen Pilnacek, Schmid und Co. werfen die Frage auf, ob innerhalb des österreichischen Staatsdienstes Reformbedarf besteht. Thomas Prorok beforscht seit Jahren diesen Bereich und identifiziert eine Tendenz zur Politisierung. Im Interview mit der FURCHE erklärt er, warum das problematisch werden kann:

DIE FURCHE: Zu altbekannten Beamten-Klischees scheint jetzt auch noch jenes des Parteisoldaten im Dienst einer „Familie“ hinzugekommen zu sein. Ist das eine verzerrte Wahrnehmung der Beamtenschaft?
Thomas Prorok:
Man muss schon sagen: Wir haben ein hohes Beamtenethos – und noch immer. Dieser Anspruch von Unparteilichkeit und die hohe Qualität in der Verwaltung, die sind da. Aber wir haben drei Tendenzen in den vergangenen 20 Jahren: eine Politisierung, die Verlust von Kompetenz und vor allem auch eine Geringachtung von Führungskompetenzen. Was die Politisierung angeht, so gibt es einen interessanten Rechnungshofbericht über die neuen Generalsekretariate der Ministerien: Demnach gibt es 400 Vollzeitequivalente – also in Summe wohl noch mehr Köpfe – in den Generalsekretariaten und Kabinetten der Ministerien und Staatssekretariate. Tendenz steigend. Hier sind Pressestellen noch gar nicht mitgezählt.

DIE FURCHE: Betrifft das einzelne Sektionen oder alle Bereiche?
Prorok: Alle. Wo es allerdings festzumachen ist, das sind die Führungskräfte. Manche Studien besagen, dass die Politisierung unserer Beamtenschaft höher ist als in Ost- und Südosteuropa. Was ist passiert? Parallel zur Beamtenlaufbahn hat sich eine politische Laufbahn etabliert. Früher hat man in der Sachbearbeitung angefangen und ist dann in Leitungspositionen aufgestiegen. Heute beginnt jemand in der Vorfeldorganisation einer Partei, kommt in ein Kabinett und steigt dann direkt in die Abteilungs-, Gruppen- oder Sektionsleitung um. Das führt zu einem Verlust von Kompetenz im System. Die Kabinette werden immer größer und diffundieren in das System herunter. Wenn dazu noch Sparprogramme kommen, wie etwa im Gesundheitsministerium, dann verliert die Verwaltung an Kompetenz – weil es weniger Beamte gibt, die inhaltlich arbeiten und mehr Leute aus der politischen Laufbahn. Wenn man sich die Skandale der letzten Zeit ansieht, dann haben die schon auch damit zu tun.

DIE FURCHE: Wie kommt es, dass einzelne Spitzenbeamte so viel Macht erhalten?
Prorok: Die Politisierung ist ein Teil. Der andere ist schon auch eine Geringschätzung von Führungsqualitäten und Führungsaufgaben. Es kommt vor, dass Personen wichtige Leitungsfunktionen übernehmen und hierfür keine Ausbildung haben, keine Weiterbildung in Anspruch nehmen und nehmen müssen und auch keine Kontrollmechanismen greifen. In den beiden Chatskandalen sowohl im Finanz- als auch Justizministerium wird das sichtbar. Eine moderne Gesellschaft und ein moderner öffentlicher Dienst brauchen neue Führungsstile. Da steht ein autoritärer Führungsstil, wie wir ihn aus Josef Roths Radetzkymarsch kennen, versus Mindful Leadership mit Mentoring, Coaching und Involvierung. Das ist bei manchen nicht angekommen.

DIE FURCHE: Sind wir denn steckengeblieben?
Prorok: Da hat sich schon viel getan. Aber: Für die österreichische Verwaltung gibt es neben dem Dienstrecht einen Verhaltenskodex. Da gibt es eine Kontrollfrage: „Könnte ich meiner Führungskraft sowie meinen Kollegen offen und bedenkenlos von meinem Handeln erzählen?“ Das bedeutet: Du musst gemäß dem Grundsatz Integrität handeln. Das ist gewissermaßen der kategorische Imperativ der Beamten.

DIE FURCHE: Dinge nach außen tragen, es offen per Chat erzählen – das haben ja einige tatsächlich eingehalten ...
Prorok: Wenn ich das nur einem einzelnen Vertrauten erzähle, dann gilt das nicht. Es gibt eben keine Kontrollmechanismen.

DIE FURCHE: Was sind die Folgen dieser Politisierung?
Prorok: Sie führt zu einer Desensibilisierung, was die Werte des Beamtenethos angeht. Es stellt sich schon die Frage, wie sehr die Gewaltenteilung darunter leidet. Das betrifft dann auch Zwischenstrukturen wie eben die Staatsanwaltschaften, die zwischen Exekutive und Justiz angesiedelt sind. Die Anklagebehörde ist immer sensibel. In Österreich untersteht sie faktisch dem Minister, in anderen Ländern ist ihre Unabhängigkeit stärker ausgeprägt. Was wir aus der jetzigen Situation gelernt haben könnten ist, dass man die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften stärken muss.

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