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Ein Protest

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Anderseits steht die Masse der Jugend apathisch den politischen Vorgängen gegenüber. Die politische Neutralisierung ist derart perfektioniert worden, daß fast alles, was sich in den politischen Räumen ereignet, Frevel und Heldentat, von den Jungen unbeachtet bleibt. Lediglich „rechts“ ist politisches Interesse und Bereitschaft zu einem politischen Engagement bei kleinen Gruppen vorhanden. Die allzu einfach als „Neonazismus“ und „Rechtsradikalismus“ in die Dispositionsbereiche der Staatsanwaltschaft verwiesenen Bewegungen unterschiedlicher Kleinstgruppen sind vielfach, wenn auch keineswegs durchgehend

• ein Ausbruch aus einem kommerziell völlig durchorganisierten, erlebnislosen, auf Gewinsthoffnungen von Managern hin perfektionierten Jugendgehege, das von „Uralten“ mit barbarischer Strenge unter Zuhilfenahme der Nachrichten-„Freiheiten“ beherrscht wird.

• Nicht minder ist der Rechtsradikalismus oder das, was man dafür hält, zuweilen auch ein bis zur Narretei entarteter Widerspruch so mancher gegen die vollendete Kommerzialisierung des Politischen, gegen eine Gleichsetzung aller Grundsätze auch eines sich „christlich“ nennenden „Abendlandes“ mit dem Europa der Kartelle, dagegen, daß man „Europa“ oder „Unabhängigkeit“ sagt und ganz offenkundig das eigene Geschäft meint. In ihrem Widerspruch gegen die Entartungsformen des Politischen sind einzelne Gruppen junger Menschen bereits wieder einer Magie des Politischen erlegen, wie die Jugendbewegung in ihrer Spätepoche. Soweit radikal politisch gewordene Gruppen von jungen Menschen in der Welt der Politik deren Realitäten begegnen, vermissen sie die „reinen“ Ideen. Sie sehen, daß nicht selten Politiker die Ideen, wie jene der „Gerechtigkeit“ oder das ..Heilige Vaterland“, bewegt zitieren, nur das Interesse von Gruppen meinen. Je weniger diese oder jene Politiker Geschichte machen, um so mehr machen sie offenkundig für Interessentengruppen Geschäfte, und sei es auch

Ziel, sondern ein zufälliger Anlaß, ein begehrtes „Algier“ von Austro-Ultras, die besondere Bedingungen unseres Landes in ihrem Denken und in ihren Handlungen widerspiegeln.

Die Jugendverbände unseres Landes wurden bis vor kurze Zeit vom Fiskus ausgehungert. Wer sich der Jugendarbeit widmete, wurde von Amts wegen als armer Narr disqualifiziert, und wer sich gar beruflich der Jugendarbeit verschrieb, mit einem Bettel abgespeist. Die Beiträge, die man früher den Verbänden des Bundesjugendringes zur Verfügung stellte, waren nur ein Bruchteil dessen, was man in verstaatlichten Unternehmungen augenzwinkernd verludern ließ oder in Jugendgefängnisse steckte, in denen sich für viele die „Endlösung“ des Jugendproblems vergegenständlichte. Jugendklubs, seriöse, aber auch ominöse, reich mit Geld dotiert, trugen, ebenso wie die faktische Diskriminierung der Jugendverbände, zur staatspolitischen Neutralisierung der Jugend bei. Die Distanzierung von der Politik wurde von oben her geradezu gepflegt. Jugendklubs übertrumpfen einander in Hinweisen auf ihre unpolitische Haltung. „Unpolitisch“ waren schließlich alle, nur einige waren „noch'' unpolitischer.

Erst seit einiger Zeit, dank den intensiven Bemühungen des Chefs des Unterrichtsressorts, dotiert man die verbandlich organisierte Jugend und gibt ihr Lebenschancen.

Die Folgen eines geradezu glorifizierten Fernhaltens der Jungen vom Politischen zeigen sich nun: Da und dort, beileibe nicht massenweise, brechen Jugendliche unter den wohlbewachten Zäunen eines von den Alten manipulierten Jugendreiches aus. Gegen die „Systempolitiker“, in Sehnsucht nach einem Eigenstil und nach einem anderen „Reich“. Von diesem „Reich“ hat man zwar keine Vorstellungen (die Alten nennen es „Europa“), kann aber von ihm auch nicht enttäuscht werden, sieht man es doch nicht als Realität, sondern als einen Bezugspunkt im Denken an.

nur zur Mehrung höchstpersönlichen Prestiges.

Diesen Sachverhalt sieht auch die in den Verbänden organisierte Jugend; sie besitzt aber jenen Bezug zum Ganzen des Staates, der sie nicht sofort verleitet, vom unwürdigen oder lang-

weiligen Politiker auf die Qualität der Politik als solcher zu schließen.

Die Distanz zwischen einer relativ immer älter werdenden politischen Führung und der Masse der jeweiligen Jungen wächst, angesichts einer von Jungen (fälschlich) vermuteten Beherrschung, durch ein Gremium von „Greisen“, das als Folge einer politischen Frischzellenbehandlung sich immer noch einer, nun aber bereits schemenhaften Vitalität erfreut. Dabei steigert sich der Widerstand zum Radikalismus bis zu seinen tragisch-primitiven Formen.

Der bekundete Radikalismus ist nicht sosehr ein politisches, sondern ein jugendpsychologisches Problem. Jugend will in der Politik vorerst Ideenverwirklichung — und nicht sosehr Realpolitik. Die Realpolitik, vor allem soweit sie ökonomische Realitä-

ten in sich schließt, überläßt sie ihren Vätern. Das gilt vor allem für eine studentische Jugend, und ganz besonders dann, wenn diese ausreichend von einem „realpolitisch“ handelnden Vater versorgt ist.

Wenn heute Radikalismus praktiziert wird, steht er außerdem vornehmlich „rechts“. „Links“ war der Radikalismus eher Übersetzung von Hunger in revolutionäre Ideen und wurde mit der Reallohnsteigerung weitgehend liquidiert. Rechts, weil vorweg „satt“, vermag sich, scheinbar ökonomisch unbefangen, eher der Durchsetzung „reiner Ideen“ zu widmen.

Das Ärgernis

Viele unter den Politikern sind heute den Jungen ein „Ärgernis“ geworden, oft zu Unrecht, weil unseriöse Publikationen darauf angelegt sind, alles Politische zu diffamieren, aus einer gut honorierten Lust an der Kritik um jeden Preis.

So manche Politiker haben Ideen, denen sie einst ohne Vorbehalt zu dienen vorgaben, profaniert, scheinbar in Einkünfte umgemünzt und übersetzen diese vor allem in einen aufreizenden Prestigekonsum.

Ob das nun tatsächlich so ist, ob radikalisierte Junge die Dinge richtig oder überscharf, weil von „Ewiggestrigen“ bestimmt, sehen, ob sie ihre Einsichten in den Ablauf der Geschichte mythisieren und ihre Handlungen realitätsfern sind, angesichts der letzten Geschehnisse sollte nicht übersehen werden:

• Die Jugend will in ihren politisch interessierten Teilen wieder ein echtes sympathisches Pathos in der Politik, bei dem Gesinnung, Handlung und Geste eins sind.

• Die Jugend will endlich in manchen Regionen der Politik neue frische Gesichter.

• Die Jugend will schließlich neue politische Ideen, für die es sich zu leben lohnt, Ideen, die ein Opfer wert sind.

Sicherlich ist der Radikalismus auch gemacht, organisiert, von Alten, die wohlweislich bei Gefahr das Kostüm des Biedermannes überziehen und die Rufnummern ihrer sehr hohen Protektoren wählen. Ebenso sicher aber ist, daß der Radikalismus auch ein Ausbruch ist, der von jenen, gegen die er sich faktisch richtet, mitprovoziert wurde.

Den Radikalismus um des Vaterlandes willen beseitigen, heißt nicht allein der Jugend den Prozeß machen, sondern da ansetzen, vor allem in Form staatspolitischer und nicht billiger, sondern „kostender“ Erziehung, wo die Bedingungen für das Entstehen von Radikalismus sich geradezu aufsammeln: bei der personalen Zusammensetzung der politischen Führung und bei dem nun einmal notwendigen Pathos in der Politik.

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