7084823-1994_11_14.jpg
Digital In Arbeit

Gewissen & Common Sense

Werbung
Werbung
Werbung

Wie man öffentlich mit umstrittenen Techniken umgeht, dafür bietet das dänische Modell der Folgen-Abschätzung auf jeden Fall einen Denkanstoß.

Die Verhandlung ist lang und anstrengend. Mehr als 50 Zeugen werden gehört — wissenschaftliche Sachverständige, Vertreter von Bürgerinitiativen, Vereinen, Ministerien und Gewerkschaften, lange Dispute werden ausgetragen, bis sich endlich die zehn Laienrichter, ausgewählt nach demographischen Kriterien wie Alter, Beruf, Wohnort, Ausbildung, zu Beratungen zurückziehen können. Gebannt verfolgt die Nation am Fernseher die Verhandlung aus dem Parlamentsgebäude, mit Einschaltquoten wie beim Abfahrtsrennen. Die Diskussionen sind alles andere als seicht, gleiten kaum ab ins Polemische und bleiben – dank der Moderation – einigermaßen verständlich. Schließlich, nach erneutem zähen Ringen, wird das Resultat all dieser Anstrengungen wie immer einstimmig bekanntgegeben: Dem Parlament wird empfohlen, auf den Bau eines Kernkraftwerkes derzeit zu verzichten, sich aber die Option auf ein Nuklearprogramm zu einem späteren Zeitpunkt freizuhalten.

Jubel und betretene Gesichter, zahlreiche Abgeordnete befinden sich im Publikum. „Auch wenn es schwerfällt – über diesen Spruch wird man sich kaum hinwegsetzen können!“ seufzt einer der Interviewten und begibt sich zur Berichterstattung ins Kanzleramt.

So könnte es sein, gäbe es hierzulande eine Einrichtung wie den Dänischen Technologierat. Gegründet 1986, organisierte der Rat bis heute zahlreiche solche „Consensus-Konferenzen“ über strittige Techniken, in denen dänische Bürger ohne unmittelbare persönliche Interessen am je-

weiligen Problem nach bestem Wissen und Gewissen urteilen. Das Wissen stammt von angesehenen Experten, die den Laien informieren.

Daneben hielt der Rat zahlreiche Informationsveranstaltungen ab, produzierte Unterrichtsmaterial und führte Studien über die Auswirkungen bestimmter Technologien durch. All dies unter dem Kürzel „TA“ – auf Neudeutsch Technology Assessment oder Technikfolgen-Abschätzung. Ursprünglich eine amerikanische Idee, um geplagten Kongreßabgeordneten Informationen zu vermitteln, die nicht von Lobby-Interessen gefärbt sind, entwickelten die Dänen mit ihrer Tradition der Mitsprache in öffentlichen Angelegenheiten daraus ein wirksames Instrument der Bürgerbeteiligung – ohne Verfassungsbeugung, denn die „Urteile“ sind nicht bindend.

Muß so etwas nicht in Technikverhinderung enden? Mitnichten, wie das Beispiel der Gentechnik zeigt. War dieser Begriff vor zehn Jahren so negativ besetzt wie in keinem anderen europäischen Land,

hat sich dies heute geändert. Nicht, daß man mögliche Risken verdrängt hätte – aus Umfragen geht eindeutig hervor, daß das Risikobewußtsein der Dänen nach wie vor das höchste in der EU ist. Aber es ist ins öffentliche Bewußtsein gedrungen, daß es zum Beispiel Medikamente gibt, die ohne Gentechnik undenkbar wären.

DIFFERENZIERTE ERGEBNISSE

Man akzeptiert derzeit in höherem Maß als im EU-Durchschnitt, daß mit Gentechnik auch vernünftige Dinge möglich sind. Schlichte Akzeptanzbeschaffung oder Gewöhnung? Nein, denn man hat gelernt zu unterscheiden – industrielle Produktion, etwa von Medikamenten: ja, „gentechnische“ Pflanzen: unter Vorbehalt ja, transgene Nutztiere: nein. Neue Entwicklungen, etwa bei Methoden zur Genanalyse, werden vom Bürger nach wie vor kritisch betrachtet; sie werden aber nicht rundheraus abgelehnt, solange Mitsprache gesichert ist und ethische Standards aufrecht bleiben. Heute

fühlen sich Industrie und Forschun trotz strenger Auflagen (Dänemark hatte das erste Gentechnikgesetz) daher weniger eingeschränkt als ihre deutschen Konkurrenten und Partner. Die Emotionen verebben.

Der Technologierat hat hierzu wesentlich beigetragen. Mit seinen Aktivitäten zur Wissensverbreitung, aber vor allem den Consensus-Konferenzen förderte er eine Art gesellschaftlichen Selbstfindungsprozeß, der aus der Unsicherheit im Umgang mit einer als bedrohlich empfundenen Technologie herausführte, Dabei standen viel Geld, verschiedenste Interessen und die oft beschworene nationale Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Ein Stück Klarheit zu schaffen. Markierungen anzubieten (nicht aufzuzwingen), Glaubwürdigkeit zu vermitteln – dies gelang dem Rat offenbar.

Ein Modell für Österreich? In Dänemark ist die Demokratie erheblich bürgernäher, die Behörden halten wenig geheim, alle reden mit bei Entscheidungen, die sie angehen, das Vertrauen in staatliche Stellen ist ungebrochen. Der österreichische Sozialpartnerschafts-Staat dagegen ist gekennzeichnet durch Aushandeln in Expertengremien hinter verschlossenen Türen. Ein Rürgerforum würde wohl nach Sozialpartner-Manier beschickt und hätte deren Interessen zu vertreten, das Gewissen des einzelnen wäre kaum entscheidend. Die Voraussetzungen für eine Übernahme des dänischen Modells sind ungünstig, dennoch: wenn neue Techniken nicht Gefahr laufen sollen, von vorneherein abgelehnt zu werden, muß man die Forderung nach mehr Bürgernähe ernstnehmen.

Dr. Helge torgersen

arbeitet am Institut für Technikfolgen-Abschätzung an der Akademie der Wissenschaften in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung