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Kritik am alles beherrschenden, ökonomischen Systemdenken

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Weder darf noch kann eine eng und falsch verstandene „Wirtschaft” alle Bereiche der Lebensentfaltung bestimmen - sie tut es aber...

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Weder darf noch kann eine eng und falsch verstandene „Wirtschaft” alle Bereiche der Lebensentfaltung bestimmen - sie tut es aber...

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Die Folgen sind verheerend für die Findung ausgewogener, menschenwürdiger Daseinsweisen. Daß die allzu simple, jedoch heute weltbeherrschende „Rationalität” mit ihren angeblichen Sach-zwängen zu dem vielerorts durchbrechenden epochalen Unglück geführt hat (unbehobene alte und hervorgebrachte neue Armut, wahnwitzige Gewalt gegen Menschen und Natur, Sittenlosigkeit und Sinnleere) und daß es anerkannte bindende Denkmuster und Verhaltenslehren nicht gibt, dieses zu bannen, ist sorgenvolle Erfahrung auch vieler „Wirtschaftstreiben der”.

Arbeitsrecht, Entlohnungsregeln, Preis- und Zinsbildung, Technikein-satz, Herstellungszwang, positives Recht und Vermögensverwaltung, Haushalts- und Staatsbudgets sind derart zwanghaft verkoppelt, daß kein Individuum oder Institut sich ohne Selbstzerstörung außerhalb dieser Regeln stellen darf - auch wenn es deren Schädlichkeit für beständiges Glück erkennt.

Selbst die diesem unmittelbar dienenden Bereiche - Beligion, Philosophie, Kultur, Kunst - bedeuten jenem durchgreifenden Riesenregelwerk nur artfremde, überkommende Abgaben, ohne verbindliche Bedeutung für seinen eigenen Vollzug.

Doch halt: Inmitten der weitest-fortgeschrittenen Entfaltung dieser siegreichen Techno-Ökonomie wächst - dank gesellschaftlich vorgegebener und durch sie wirtschaftlich erhaltener geistiger Freiräume -die gebotene Prüfung und Änderung ihres Wesen heran! Auf dem Gebiet der MikroÖkonomie, Unternehmensführung, lehren und verlangen die maßgebenden Schulen seit etlichen Jahren, der Betriebsplanung eine gründliche Erwägung des Unternehmenszwecks vorauszusetzen, der eindeutig außerhalb der Firma liegen muß, der den umfassenden Nutzen darlegt, den ein Betrieb für die Außenwelt stiftet, stiften will. Hier erzwingt sich die Wertewelt in zunächst blank betriebswirtschaftliche Planungen, weil deren Instrumente an ihre Grenzen gelangten, ohne daß sie Existenzfragen der Firma behandelt hätten.

Die oben beschriebenen Nöte und bedrohlichen Mißweisungen der Makroökonomie aber stoßen an die Grenze der Philosophie. Nicht zufällig hat sich daher das führende österreichische Management-Institut Hernstein im Mai 1994 einer höchstrangigen Begegnung von Fachleuten jener Bereiche geöffnet, die sich über „Krise und Chance” der gültigen Wirtschaftsordnung aussprachen. Über 40 wissenschaftlichen und praktischen Ökonomen sowie anderen Wissenschaftlern wurden die Arbeitsergebnisse des interdisziplinären Projektteams unter Leitung des Kla-genfurter Philosophieprofessors Peter Heintel vorgetragen:

Ein Teilbereich dominiert

A) Das herrschende „Modell Neuzeit” - entstanden aus naturwissenschaftlich-technischen Ergebnissen und kapitalistischer Ökonomie - ist aus einem (zutreffenden) Teilmodell zu einem (unzutreffenden, daher schädlichen) Wirklichkeitssystem, zu einer „Gegenwelt” geworden, zur Kontrolle über Mensch und Natur, mit folgenden Mängeln:

■ Teilwirklichkeit bemächtigt sich aller Wirklichkeitsbereiche (relativiert, paralysiert sie), Stagnation „untergeordneter” Bereiche, die nicht in Kategorien Quantifizieren, Herstellen, Ergreifen zu fassen sind;

■ Verlust der Selbstkritikfähigkeit;

■ Dominanz des Produktionsprinzips (andere Tätigkeiten als „Herstellen” werden fast nicht entwickelt, wie etwa im besten Sinn „politisches” Handeln);

■ Wertlosigkeit des Besonderen in Natur und Kultur;

■ Chaos und Selbstverkomplizie-rung: Krisen entstehen durch den Ausschluß wesentlicher Wirklichkeiten, für die im Modell kein Platz ist.

B) Dieser schier unangreifbaren, historisch singulären wissenschaftlichen und praktischen Dominanz des ökonomischen Systems steht die Evidenz einer zwischen Überfluß/Verschwendung und Armut/Hungertod zerrissenen Weltgesellschaft gegenüber, der Befund lebenzerstörenden Unrechts, krasser Gewaltstrukturen, planetaren Baubbaus, irreversibler Umweltzerstörung - und dies alles bringt selbst der vom System begünstigten Minderheit -* also uns! - keineswegs die Qualität einer erfüllten, glücklichen, Lebensführung.

C) Ansätze für eine „Alternative Ökonomie” als (letzte?) gebotene Chance: Immer mehr Wissenschaftler anderer Disziplinen stoßen mit realen Problemen auf ökonomische Ursachen und schließen daraus auf Mängel im ökonomischen System, zweifeln an der Erklärungskraft ökonomischer Theori^nsätze.

Eine alternative Ökonomie

Für eine alternative Ökonomie bestehen Zugänge über Wachstumsund Industrialisierungsfolgen (neue Begriffe: Dezentralität, Kooperation, Nachhaltigkeit), über Forschungsgebiete (Umweltökonomie); über alternative wirtschaftspolitische Instrumente (Basiseinkommen, Ressourcensteuern, Umweltverträglichkeitsprüfung); über alternative Bech-nungswesen (Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit neuen „Konten”, ökologische Buchhaltung, tieferreichende Kalkulationen und Preisbestimmungen.

Die Tatsache, daß sich nach den gültigen ökonomischen Bechenregeln Rentabilitäten kalkulieren lassen für Projekte, die eindeutig im

Widerspruch zu unseren Lebenswünschen sowie zu den Bestandsund Lebensbedingungen unserer und anderer Gattungen stehen, erfordert neue Bewertungsnormenf die die Bestandsbedingungen des Lebens und der Kultur in die wirtschaftliche Entscheidungssuche zwingend einbeziehen); schließlich ist das Leitbild der herrschenden Ökonomie zu überwinden: die Annahmen eines „homo oeconomicus”, der unendlichen Bedürfnisse, der vollkommenen Märkte und Informationen sind unzutreffend und verhindern die gebotene „dienende” Einbettung der Ökonomie in eine humane Kultur.

Die Tagung in Hernstein erfüllte die selbstgestellte Vorgabe Peter Heintels, nicht wieder ein allzuvereinfachendes fertiges Modell vorzustellen, sondern die „Organisation für kreative Austragung von Differenzen durch die Beistellung der Verfahrensebene, der prozessualen, energetischen Bündelung” zu leisten, damit das System „sich von außen sehen kann”.

Die vom Projektteam beabsichtigte „Sprachvorbereitung” hierfür, die Hypothesenbildung in folgenden fünf Leitbegriffen, ist der Ansatz für die Weiterarbeit: Systemtranszendenz (disziplinenübergreifende Selbst- und Fremdkritik und Beor-ganisation); Bedürfnisse (Neufassung des Bedürfnisprofils); Technologische Zivilisation (Kriterien zu deren wünschenswerter Gestaltung); Gewaltregulierung; Bedimensionie-rung (analog zum nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich relevanten Subsidiaritätsprinzip).

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