Alternativloser Abschied

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Lange schien sie wie ein Fels in der Brandung. Zuletzt wirkte sie eher wie ein erratischer Block. Aber schon aufgrund ihrer langen Amtszeit -13 Jahre als Bundeskanzlerin, 18 Jahre als CDU-Vorsitzende -war Angela Merkel in der schnelllebig-kurzatmigen Politik-und Medienlandschaft unserer Zeit ein Garant für Stabilität und Kontinuität. Irgendwie hatte sie es geschafft, als das zu gelten, was sie als Attribut für ihre umstrittenen zentralen politischen Entscheidungen in Anspruch genommen und behauptet hatte: alternativlos.

Einer Abgehenden nachzutreten verbietet der Anstand. Und mit Recht kann man fragen, ob es jemand anderer besser gemacht hätte: in einer der schwierigsten Zeiten der jüngeren Geschichte an der Spitze des wichtigsten europäischen Landes und damit auch auf der Kommandobrücke der Europäischen Union zu stehen. Über weite Strecken konnte man Deutschland unter Merkels Führung als (relative) Stimme der ordnungspolitischen Vernunft in all den Turbulenzen (Stichwort Griechenland) wahrnehmen. Als Widerpart der "Was kostet die Welt"-Fraktion, für die exemplarisch der seinerzeitige, nach wie vor von der Linken gefeierte griechische Finanzminister Yanis Varoufakis stand. Für diese wesentlich von Finanzminister Wolfgang Schäuble getragene Politik ("Austeritätswahnsinn" in der Sprache ihrer Gegner!) wurde Merkel freilich von jenen geprügelt, die später ihre "Haltung" in der Flüchtlingsfrage gar nicht genug loben konnten.

Ein Land auf Autopilot

Letztere sollte indes zu Merkels Schicksalsfrage werden. Mit ihrer Entscheidung zur Grenzöffnung, ihren einschlägigen symbolischen Handlungen und den entsprechenden programmatischen Ansagen ("Wir schaffen das", "... dann ist das nicht mehr mein Land" etc.) und ihrem (zumindest rhetorischen) Festhalten an ihrer Politik zog sie zunehmend den Unmut weiter Kreise auf sich. Die Bundestagswahl 2017 und die letzten beiden Landtagswahlen gerieten zum Fanal für die Unionsparteien (CDU/CSU). Gemeinsam mit einer noch viel tiefer in der Sinn-und Orientierungskrise steckenden SPD als Koalitionspartner tritt man auf der Stelle. Das Land ist auf Autopilot geschaltet.

Der Preis der "Alternativlosigkeit"

Im Rückblick stellt sich freilich die Frage, ob die Flüchtlingswelle 2015 ff. tatsächlich die entscheidende Zäsur markiert, oder ob hier nicht nur eine prinzipielle Schwäche Merkels plötzlich wie unter dem Brennglas überdeutlich sichtbar wurde: ihre Bereitschaft, (mangels eines inneren Kompasses?) die Politik an tatsächlichen oder vermuteten Stimmungen auszurichten. Es spricht ja viel dafür, dass auch Merkels Schwenk in der Migrationsthematik durch ein emotionales Erlebnis (mit) ausgelöst wurde: jenen medialen Shitstorm, der über sie hereinbrach, nachdem sie gegenüber einem palästinensischen Flüchtlingskind erklärt hatte, dass Deutschland nicht alle aufnehmen könne, die kommen wollten. Aber auch in vielen anderen Fragen wechselte Merkel ihre Linie. So ließ sie zu Beginn ihrer Zeit mit klaren wirtschaftsliberalen Ansagen aufhorchen. Mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof ("Dieser Professor aus Heidelberg" ätzte Gerhard Schröder damals), den sie 2005 in ihr Wahlkampfteam geholt hatte, setzte sie auch personell ein starkes Signal. Doch schließlich ließ sie Kirchhof im Regen stehen und setzte stärker auf "soziale" Werte. Analoges lässt sich für gesellschaftspolitische Fragen sagen: Viele bürgerliche Wähler vermissten hier ein klares wertkonservatives Profil.

Der Preis für Merkels "Alternativlosigkeit" war und ist ein hoher: eine partiell problematische Partei am rechten Rand, die sich nicht von ungefähr "Alternative für Deutschland" nennt. Die Aufgabe von Merkels Nachfolgern wird es sein, Alternativen wieder innerhalb der Unionsparteien zu formulieren.

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