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Der kommissionierte Jogi

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VON HEILIGEN UND AUTOMATEN. Von Arthur Koestler. Ins Deutsche übertragen von Hans Flesch-Brunnin-gen. Verlag Scherz, Bern-Stuttgart-Wien, 1961. 384 Seiten. Preis 118 S.

Koestler sagt im Vorwort zu seinem Buch, daß er 1958 und 1959 eine Pilgerfahrt nach Indien und Japnn unternommen habe, um Antwort auf die „geistigen Verwirrungen und Probleme“ des Westens zu suchen. Ein Pilger ist jedoch ein bereits Bekehrter, und das war Koestler gewiß nicht. War er ein Suchender? Gleichfalls aus dem Vorwort ist zu entnehmen, daß er hierfür ein schweres Hemmnis in die Heimat der Mystik mitbrachte. Er schreibt unter anderem: „Die Achtung vor .harten, unbeugsamen Tatsachen', die eine wissenschaftliche Erziehung verleiht, schließt nicht aus, daß man die Möglichkeit einer anderen Ebene der Realität anerkennt; sie bedeutet aber, daß man verpflichtet ist, alle Möglichkeiten für eine natürliche Erklärung der Phänomene zu erschöpfen, bevor man anerkennt, daß sie jener anderen Ordnung angehören.“

In diesen Sätzen äußert sich bereits die ganze Problematik des west'ichen Rationalisten. Einerseits hält er die rationaläußere Erklärung der Dinge immer noch als die einzig natürliche; anderseits spricht er zwar von einer anderen Ebene der Realität, ist aber auf Grund der ersten Haltung nur imstande, sie f a u t de m i e u x und in zweiter Linie in Betracht zu ziehen. Damit verurteilt Xoestler seinen Scharfsinn und seine gestalterischen Fähigkeiten zu einer analytisch-kritischen und beschreibenden Erfassung der Dinge. Und so ist er kaum noch ein Sucher, noch weniger ein Finder und schon gar nicht ein Künder neuer Heilsbotschaften.

Der Leser erhält freilich dabei noch immer mehr als genug. Koestlers Schilderungen der sozialen und sozialpsychologischen Erscheinungen und Verhaltensweisen, seine Aufdeckung ihrer historischen Wurzeln sind so plastisch und scharf wie die Darstellungen Alexis de Tocquevilles von Amerika — allerdings eines mit den Instrumenten moderner Soziologie und Psychologie ausgestatteten Tocqueville. Das gelingt Koestler insbesondere bei den japanischen Skizzen, nach deren Lektüre man sich allerdings nicht wünscht, ein Japaner nach der Lektüre dieses Buches zu sein. Und man weiß nachher nicht mehr, ob man kein konfuzianischer Japaner oder kein Zen-Japaner sein möchte. Koestlers Exposition dessen alreTMIf jsUMIglll Rf volte gegen die Konvention und den Konformismus des Konfuzianismus ist ebenso vitriolisch wie die hernach folgende Entlarvung der Konformierung des Zen selbst. Es trifft uns nicht sehr, obwohl uns einiges und Beträchtliches, das uns aus anderen Quellen, etwa durch Robert Jungk, über Japan zugekommen ist, bei Koestler fehlt.

Mag die Koestlersche Sophistikation und Ironie auf Japan noch passen, so wird sie in Indien zu einem schweren Handikap für den Autor. Wir wollen Koestler ehrlich glauben, daß er ärmer aus Indien zurückgekehrt ist. Seine kritische Analytik wurde ihm zur Schranke vor der geistigen Union, die andere Europäer dort zu finden imstande sind. Es ist dies um so bedauerlicher, als es Koestler nicht an Belesenlieit und Intelligenz mangelt, Wesen und Problematik seiner eigenen Begrenztheit nahezu, aber eben doch nur nahezu zu erfassen. So wenn er den Hauptunterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Denken darin sieht, daß die östliche Philosophie das Vorhandensein einer vom Betrachter unabhängigen Realität leugnet und daß sie vielmehr annimmt, Objekt und betrachtendes Subjekt seien eine jeweils in Wechselwirkung zueinander stehende Einheit. Koestler lehnt das ab und folgt damit dem traditionellen westlichen Rationalismus des 19. Jahrhunderts. Es ist zu bedauern, daß Koestler nicht die uralte östliche Weisheit (die schon die antike griechische Philosophie und über sie das gesamte europäische und christliche Denken befruchtete) im Lichte der Erkenntnisse der neuzeitlichen Physik zu sehen vermochte. Sicherlich erhalten die alten Weisheiten neuen Sinn durch die infolge der Aufhebung des Gegensatzes von Stoff und Energie geschaffenen neuen Perspektiven für die Objekt-Subjekt-Beziehung. Nicht anders als ein alter Konservativer hält Koestler jedoch daran fest, daß Ost Ost ist und West West, „und niemals werden die beiden eins sein“. Er — dessen eigene Bücher den Aufstand gegen die Herrschaft der Philosophiebegriffe über das lebende Menschentum in unserer Zeit einleiten halfen - stellt sich gegenüber dem östlichen Denken auf den Standpunkt, daß wir Westler ebensowenig zum votbegrifflichen Denken zurückkehren können, wie ein Wirbeltier sich zu einem wirbellosen Wesen rückentwickeln könnte. Die Frage ist jedoch, ob es wirklich eine Rückentwicklung väre. Die Frage ist, ob dieses Denken nicht tatsächlich die ganze Zeit über neben dem begrifflichen — wenn auch vereinsamt und verwahrlost — dagewesen ist. Ist uns denn nicht unsere offiziell-wissenschaftlich genehmigte Denkwelt schon längst zu eng geworden? Sind wir mit unserer Aristotelischen Denkgrammatik nicht immer wieder gescheitert, da das innere Leben neben dem äußeren vereiste? Mußten wir nicht hilflos zusehen, wenn jenes sich in katastrophalen Ausbrüchen Luft machte? In einem Nachwort zu Koestlers Buch stellt der seither verstorbene C. G. Jung fest, daß sich bedauerlicherweise selbst unser ewiges Bemühen, unsere Urerfahrungen und Urerlebnisse zu erwecken, zum größten Teil der rationalistischen Methodik (der Psychoanalyse) untergeordnet hat und gleichfalls verdorrt ist. Woher das seltsame Uberleben und beträchtliche Weiterwirken des östlichen Geistes, denen Koestler über die Unzulänglichkeiten von Doktrinären und die Darmgymnastik der Modejogas keine Bedeutung beimißt? Koestler ist am Unwesentlichen hängengeblieben, welches die Westler und sicherlich auch manche verwestlichten Japaner am Zen-Buddhismus gefunden haben. Es sind jene, die nur noch auf verbogene und verhemmte Weise noch zur Kenntnis zu nehmen vermögen, daß der Mensch voll von Erlebnissen ist, die sich, wie Jung es nennt, „wissenschaftlichen Beweisen und entwertenden Diagnosen“ entziehen. Er sagt weiter: „Der westliche Mensch hat seine eigenen, ursprünglichen, irrationalen Methoden verloren, und doch bedürfte er ihrer so sehr!“

Es mag schon an sich recht verdienstlich sein, daß Koestler die leere Hilflosigkeit ironisiert, mit der der Westler sich über jenen Mangel mit Jogagymnastik und anarchistischen Zen-Witzen hinweghelfen will. Kommt es aber darauf an? Sicherlich oft noch viel verdienstlicher ist es, daß und wie er seine Begegnungen mit mehreren großen indischen Geistern registriert — insbesondere dort, wo auch er sich ihrer Größe nicht entzieht, weil die äußere Leistung oder das von innen nach außen dringende Licht unverkennbar sind.

Es geschieht das insbesondere im Interview mit Vinoba Bhave, Gandhis geistigem Nachfolger, der, allein und auf sich gestellt, 700.000 indische Grundbesitzer dazu brachte, den landlosen Bauern nahezu acht Millionen Morgen Boden zu schenken. Seit zehn Jahren zieht Vinoba zu Fuß durch ganz Indien. Bei jedem Dorf, jedem Ort strömen ihm tausende Arme und Reiche zu, begleiten ihn und nehmen an den Versammlungen auf den Rastplätzen teil. Koestler erkennt die Aura dieses Mannes nicht direkt, sondern merkwürdigerweise über dessen völlig undemonstrativem, unspekulärem Verhalten; er erkennt, daß den Menschen an diesem Mann nicht was er sagt, nicht wie er es sagt wichtig ist, sondern sein Dasein als Heiliger, seine Gabe, Frieden auszustrahlen, die Gabe, die „bewirkt, daß sich die Menschen durch seine bloße Gegenwart beschenkt fühlen, die Gabe, das asketische Leben als beneidenswert erscheinen zu lassen___“.

AU das registriert Koestler; er registriert auch bei einem anderen Großen, dem Sri Shankaracharya: „Als er mich verließ, schien es mir, als habe ich einen persönlichen Verlust erlitten.“ All dies registrierte Koestler, und man kann ihm dafür dankbar sein. Öfter jedoch hinderte ihn, was der indische Swami Nityabodhananda „eine Begleiterscheinung der Angst“ nennt: Urteilssucht, in Indien jene seelische Stärkung zu erhalten, von der andere zu berichten wissen. Koestler kehrte wegen seines negativen Erlebnisses in seinem Europäertum bestärkt zurück. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Was jedoch würden wir einem Inder oder Amerikaner attestieren, wenn er, aus Europa in seine Heimat zurückkehrend, erklärte, daß wir nicht imstande gewesen sind, ihm irgend etwas zu geben?

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