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Naturrecht und Naturordnung

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Am 16. Februar vollendete Professor DDr. Johannes Messner sein 75. Lebensjahr. Es wäre nicht ganz richtig, würde man feststellen, daß Prof. Messner auf ein umfassendes Lebenswerk zurückblicken kann: Er steht vielmehr noch mitten im Schaffen an diesem fundamentalen sozialwissenschaftlichen Gesamtwerk, das nicht wenige Sozialwis- senschaftler als „Summe” bezeichnet haben, als eine Anwendung der naturrechtlichen Grundsätze auf alle Gebiete der Gesellschaft, als einen Versuch, der seit Thomas von Aquin nicht mehr angestellt wurde. Zur Zeit arbeitet Professor Messner an der fünften Auflage seines größten Werkes, des Naturrechtes, des bekannten Handbuches der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik. Diese „Enzyklopädie des Naturrechts” nennt A. F. Utz „das bedeutendste Standardwerk auf dem Gebiet der Gesellschaftslehre”.

Sohn einer Arbeiterfamilie

Vom Höhepunkt des Schaffens des Jubilars sei ein Blick in dessen Anfänge geworfen: Der aus einer Tiroler Arbeiterfamilie stammende, am 16. Februar in Schwaz geborene Johannes Messner kam aus dem Erlebnis seiner Jugend zur Sozialwissenschaft: Der Vater war Bergmann, die Mutter arbeitete in der staatlichen Tabakfabrik; der höhere Lohn der Mutter bei einer weniger schweren Arbeit war eine der ersten Fragestellungen sozialer Art, die •schon das Interesse des jungen Gymnasiasten an sozialönonomi- schen Fragen erweckten. Im übrigen bot die Arbeits- und Lebenswelt der Eltern, denen Johannes Messner in der Widmung seines ersten großen Buches über die soziale Frage ein unvergeßliches Denkmal gesetzt hat, eine Grundlage für die Entfaltung eines umfassenden Interesses an den Fragen der Gesellschaftsordnung. Daß Messner am Gymnasium in Brixen einmal ein Buch über die soziale Frage als zu gefährlich abgenommen wurde, konnte dieses Interesse nicht beeinträchtigen. Entscheidend wurde, daß Messner nach Beendigung des Studiums am Gymnasium während des Theologiestudiums in den Jahren von 1910 bis 1914 den späteren Salzburger Erzbischof Sigmund Waitz als Professor der Sozialethik hatte; diese öffnete den Blick dafür, „wieviel sich in der Zukunft für oder gegen das Christentum im Bereich der Sozialordnung entscheiden werde”, wie Messner einmal gesagt hat. Einen der Studienkollegen in Brixen in diesen Jahren war der später so bedeutende Thomas-Forscher Albert Mitterer, er hat entscheidend dazu beigetragen, daß sich Messner so intensiv mit der Soziallehre von Thomas auseinandergesetzt hat.

Nach der Priesterweihe am 29. Juni 1914 wirkte der junge Prie ster als Kaplan in verschiedenen Pfarren Tirols; in dieser Zeit lernte Messner auch bäuerliche Lebenskreise kennen, was gewiß dazu beigetragen hat, daß der Sozialkritiker später die Problematik des Bauerntums in der industriellen Gesellschaft immer mit großem Realismus gesehen hat. Einer Vertiefung der Kenntnis der Philosophie in diesen Jahren folgten die langjährigen Studien in Innsbruck und München der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften mit den Promotionen zum Doktor der Rechts- und dann der Wirtschaftswissenschaften.

Adolf “Weber hat vor allem Messners nationalökonomische Ausbildung beeinflußt. Die Dissertation über Hohoffs Marxismus bringt die erste Auseinandersetzung mit dem Sozialismus, der dann in der „Sozialen Frage” in deren sieben Auflagen wohl eine der gründlichsten und bestfundierten kritischen Untersuchungen gefunden hat. Später war es vor allem „Das englische Experiment des Sozialismus”, das Messner kritisch untersucht hat.

Auseinandersetzung mit dem Sozialismus

Die Jahre zwischen 1925 und 1933 waren einer umfassenden publizistischen und wissenschaftlichen Tätigkeit gewidmet. Als Chefredakteur beziehungsweise Mitherausgeber der kulturpolitischen Wochenschriften „Das neue Reich” und die „Schönere Zukunft” wirkte Messner im Geist sines echten Sozialrealismus und konnte so seinen Beitrag zur Überwindung gewisser sozialromantischer Strömungen im österreichischen Katholizismus leisten. Viele Arbeiten entstanden in dieser Zeit; es sei nur auf die Schrift über „Sozialökonomik und Sozialethik” hingewiesen, in der die Bedeutung der Nationalökonomie für die Lösung der Gegenwartsaufgaben der Sozialethik dargelegt wurde. Seit 1930 Universitätsdozent in Salzburg und seit 1935 Professor für Ethik und Sozialwis- senschaften an der theologischen Fakultät der Wiener Universität, begann mit jenen Jahren die Reihe der großen Werke Messners: Die 1933 zum erstenmal erschienene „Soziale Frage” brachte eine umfassende Kritik des Kapitalismus und Sozialismus und stellte beiden die christliche Sozialreform gegenüber. „Die berufsständisohe Ordnung” brachte die Grundthese, daß die gesellschaftlichen Ordnungsaufgaben das Entscheidende am berufsständischen Gedanken sind, und die Kritik, daß die damaligen berufsständischen Bestrebungen allzu sehr nur dem Organisatorischen zugewandt waren.

Die Jahre in England nach einer Flucht in die Schweiz vor der drohenden Verhaftung im Jahre 1938 wurden zur großen Chance für den Sozialwissenschaftler: das angelsächsische Denken hat wesentlich dazu beigetragen, daß die empirische Grundlegung des sozialwissenschaftlichen Schaffens Messners eine so vorzügliche wurde.

Es ist vor allem das „Naturrecht”, das die Frucht dieser Jahre wurde und das zuerst 1949 in englischer Sprache unter dem Titel „Social Ethics” erschienen ist. Das Erscheinen der „Kulturethik” und der „Ethik”, des Kompendiums der Gesamtethik rundete dieses sozialethische Gesamtwerk ab. Daß Messner gerade für den ersten Versuch einer Schaffung einer empirisch fundierten Kulturethik berufen war, geht aus seinem umfassenden kulturellen Interesse hervor, das wieder wie das sozialkritische auf die Jugend zurückgeht: Mit seinem Bruder, dem Salzburger Domkapellmeister Joseph Messner teilt er die musikalische Begabung; für eine Tiroler Zeitung war Johannes Messner in jungen Jahren als Musikreferent tätig, er schrieb auch das Textbuch einer von seinem Bruder vertonten Oper; lange Zeit galt sein besonderes Interesse dem Theater, vor allem der Oper. In seinem literarischen Schaffen befaßte sich Messner auch immer wieder mit kulturpolitischen Fragen. Das Universitätsstudium betrieb er in einer heute völlig ungewohnten Art noch im wahrsten Sinn des Wortes als „Studium generale”.

Ein großer Kreis von Schülern

Das sozial wissenschaftliche Schaffen umfaßt mehr als 150 Titel, in viele Sprachen übersetzt. Messners Bedeutung ist vor allem in der angelsächsischen Welt groß: In Amerika sind die Auflagen seiner Bücher hoch. Er ist aber auch in Japan mit den Auflagen des „Naturrechts” und anderer Bücher in japanischer Sprache bekanntgeworden; in Südamerika wieder sind es vor allem die spanischen Ausgaben der „Sozialen Frage” und des „Funktionärs”. Mit diesem Buch hat Messner zu seinem 70. Geburtstag ein Werk vorgelegt, mit dem eine der wesentlichen Fragen der pluralistischen Gesellschaft aufgerissen wird. Zum 70. Geburtstag wurde Messner durch eine Festschrift geehrt, in der mehr als 50 Autoren aus aller Welt grundlegende Fragen der „Naturordnung in Gesellschaft, Staat und Wirtschaft” behandelten. Viele darunter sind dabei von Messners Schaffen ausgegangen. Dies ist nur einer der vielen Beweise für die Einflußnahme Messners auf andere: ein großer Kreis von Schülern, die in der Theorie und der Praxis an der Gestaltung der Gesellschaftsordnung mit- wirken, sind von ihm beeinflußt. Messners Anregung und Mitwirkung hat auch zur Herausgabe nicht nur der erwähnten Zeitschriften, sondern auch anderer Werke geführt, so des Katholischen Soziallexikons. Entscheidend war auch seine Mitwirkung an der 5. Auflage des Staatslexikons der Görres-Gesellschaft.

Einer seiner Schüler, Bundesminister Dr. Wolfgang Schmitz, hat einmal die drei Stadien der sozialen Frage, wie sie - Messner darlegt, so umschrieben: „Von der Arbeiter- und Eigentumsfrage über die Frage nach der optimalen Wirtschafts- und Sozialordnung bis zu ihrer weltumspannenden, globalen Ausweitung, charakterisiert durch die Herausforderung des Weltkommunismus und die ökonomischen Entwicklungs- und rechtlichen Ordnungsprobleme der Völkerfamilie.” Gerade die weltweite Sicht der Probleme der Gesellschaftsordnung ist für Messner kennzeichnend geworden; dem entspricht seine weltweite Anerkennung und Beachtung. Gerade das Erscheinen der Sozialenzykliken „Mater et magistra” und „Pacem in terris” hat Messners Thesen weithin bekräftigt;, mit beiden Enzykliken hat sich Messner auch in den Neuauflagen seiner Werke und in einer Reihe kleinerer neuer Arbeiten eingehend auseinandergesetzt.

Priester und Gelehrter

Johannes Messner war immer Priester und Wissenschaftler: Das Wirken des Seelsorgers war immer mit dem des Lehrers und Wissen- schaftlens verbunden. Für den Menschen der Gegenwart hat Messner auch sein Buch über „Das Wagnis des Christen” geschrieben (eine frühere englische Ausgabe erschien auch in Blindenschrift!). Im Buch über „Die Widersprüche in der menschlichen Existenz” will Messner nicht nur eine Analyse des modernen Menschen geben, sondern eben auch aufzeigen, wo sich in dieser verwirrenden Welt von heute für den Einzelnen Lebensgrundlagen ergeben. Messner hat immer wieder dargelegt, daß die Grundsätze, die ein gedeihliches gesellschaftliches Leben haben muß, schon in der Natur des Menschen grundgelegt sind. So ist eine gesunde Lebensordnung ebenso wie eine christliche Gesellschaftsordnung eben diejenige, die auch dem natürlichen Wesen des Menschen entspricht. Messner sieht den Menschen vor allem als Familienwesen; Bischof Joseph Höffner konnte in der Messner-Festschrift so auch auf die Tatsache der Naturrechtserkenntnis Messners aus der „gesellschaftlichen Grundsituation der Familiengemeinschaft” hinweisen.

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