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Argentinien: Ein schweres Erbe

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Nicht nur, daß die Peronisten die Wahl verloren, das Ausmaß des Sieges der Radikalen kam überraschend. Die übergroßen wirtschaftlichen Probleme Argentiniens lassen sich aber - wenn überhaupt - nur durch Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte lösen.

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Nicht nur, daß die Peronisten die Wahl verloren, das Ausmaß des Sieges der Radikalen kam überraschend. Die übergroßen wirtschaftlichen Probleme Argentiniens lassen sich aber - wenn überhaupt - nur durch Zusammenarbeit aller demokratischen Kräfte lösen.

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Die sich seit 30 Jahren in Argentinien wiederholenden Kreisläufe, bei denen ein militärischer Staatsstreich die jeweilige Peronismus-Variante beendete, sind unterbrochen: Beim Wahlgang am 30. Oktober, der die Weichen für das Ablösen der Militärregierung durch eine zivile stellte, erlitten die Peronisten erstmals eine Niederlage. Die Sensation war perfekt, als sich zeigte, daß der Kandidat der Radikalen Bürgerunion (UCR, Union Civica Radical), Raul Alfonsin, die absolute Mehrheit gewonnen hat und damit ohne Stichwahl der designierte Präsident Argentiniens ist.

Warum die Peronisten verloren? Juan Dominge Peron — er starb 1974 — war zum ersten Mal nicht Spitzenkandidat seiner Bewegung; die Risse zwischen den Rechts- und Linksfraktionen der Peronisten ließen sich für die Wahlen nur oberflächlich kitten; das Chaos während der Amtszeit der Peron-Witwe Isabel, der das Militär 1976 ein Ende setzte, war den Wählern noch zu frisch im Gedächtnis.

Nun zu den Radikalen. Daß die noch im vorigen Jahrhundert gegründete Union Civica Radical die absolute Mehrheit errang, ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß sie—nicht aber die Peronisten mit ihrer weit größeren Mitgliederzahl — einen attraktiven Kandidaten anboten: Raul Alfonsin. Ihm war es gelungen, der traditionsreichen Mittepartei sozialdemokratische und proletarische Elemente zu verpassen, die dann zum Wahlsieg führten.

Nach dem Sieg - Alfonsin soll noch im Dezember die Präsidentschaft antreten, die Mehrheit im Abgeordnetenhaus werden Radikale sein, gut die Hälfte der Provinzgouverneure stellt seine Partei — kommt der bedrückende Alltag.

Das mehrfache Herumreißen des Ruders der Wirtschaftspolitik in den beiden letzten Dekaden hat ebenso in die Sackgasse geführt wie die Entnationalisierung des Landes unter der monetaristischen Wirtschaftspolitik der Militärs seit 1976, der verlorene Südatlantikkrieg 1982 und die Überschuldung.

Würgende Auflagen des Währungsfonds

Vor dem Hintergrund der tiefsten Rezession in der Geschichte des an und für sich reichen Landes muß Alfonsin jetzt seine Wahlversprechen einlösen: Ein Abkommen für Preise und Löhne, um die dreistellige Inflationsrate einzudämmen; mehr individuelle Freiheit bei Wirtschaftsunterfangen bei gleichzeitiger Staatsintervention, Exportförderung auf der einen und Importbeschränkungen für Konsum- und Luxusartikel auf der anderen Seite. Der Monetarismus wird jedenfalls abserviert. An seine Stelle tritt einmal mehr das sogenannte cepalinische Modell der staatlich geförderten nationalen Industrien.

Das alles steckt jedoch im Korsett der würgenden Auflagen des Internationalen Währungsfonds. Argentiniens Auslandsverschuldung, dabei vorrangig die Dollarschulden der wichtigsten Staatskonzerne, machen die Aufsicht des Fonds und der Gläubigerbanken über Argentinien unabdingbar. Alfonsins Wahlversprechen, das Schuldendebakel (40 Milliarden Dollar für 28 Millionen Ein-, wohner) nicht auf den Schultern der Kleinverdiener auszutragen, ist unter solchen Bedingungen schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Das Unmögliche möglich machen muß Bernardo Grinspun, der dem jüdischen Bürgertum entstammende Nationalökonom, von dem angenommen wird, daß er Präsident Alfonsins Wirtschaftszar sein wird. Die Leitung der Zentralbank sollte in die Hände von Enrique Garcia Vazquez übergehen, der wie sein Lehrmeister Grinspun an die Schlüsselrolle des argentinischen Planungsstaates im Wirtschaftsleben glaubt.

Italo Luder, der unterlegene Pe- ronistenkandidat bietet die Zusammenarbeit an. Die Radikalen werden sie bitter nötig haben, vor allem dann, wenn sie das dunkelste Kapitel der vergangenen Militärherrschaft — Tausende verschwundene Oppositionelle — erhellen wollen. Alfonsin verweigert den Militärs die Selbstamnestie, die sie sich im Frühjahr ausgestellt haben. Er will die Schuldigen am Verschwinden Tausender Bürger, der sogenannten „De- saparecidos“, anklagen lassen (und obendrein die Armee reorganisieren und die Rüstungsausgaben senken). Dafür aber genügt die absolute Mehrheit allein nicht.

Solche Eingriffe in die Machtbereiche der Streitkräfte sind nur mit dem breitesten nationalen Konsens möglich — sonst steht der argentinischen Republik das nächste Eingreifen der Militärs ins Haus.

Übrigens, der einzige Punkt, der Raul Alfonsin mit den Offizieren eint, ist die Frage der Malvina/ Falklands. Natürlich hält auch die kommende Regierung Argentiniens Anspruch auf die Inseln im Südatlantik aufrecht. Neu ist nur der Tupfer, daß Alfonsins Außenpolitik dieses Ziel in einen breiten Dritte-Welt-Kontext stellt.

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