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Demokratisierung“ heißt KP

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Die erst im August 1965 verabschiedete Verfassung der Sozialistischen Republik Rumänien (die dritte nach der Errichtung der Alleinherrschaft der Partei im November 1947) wurde zum zweitenmal nach den Wahlen am 2. März d. J. geringfügig geändert. Die Änderung soll der „Demokratisierung“ förderlich sein, von der man in Bukarest gern spricht. Man redet von einer Verstärkung der Rolle der „Großen Nationalversammlung“, der Volksvertretung, die nach der Verfassung das Höchstorgan des Landes darstellt und somit auf dem Papier bereits die ganze Macht, alle Befugnisse besitzt. Für die Wahl der Abgeordneten hat jedoch die neugeschaffene „Front der Sozialistischen Einheit“ von der im Wahlgesetz schon zu Lebzeit Gheorghiu-Dejs verankerten Möglichkeit, in einem Wahlbezirk mehrere Kandidaten zu nominieren und somit der Bevölkerung auch nur eine beschränkte Wahl zu ermöglichen, keinen Gebrauch gemacht. Nach altem Brauch ist dann das Zentralkomitee der Partei zusammengetreten und hat ohne Rücksichtnahme auf die verfassungsmäßige Rolle des Parlaments beschlossen, den Abgeordneten die Wiederwahl des Parteichefs Oeausescu als Staatsratsvorsitzender und des Mitglieds des ständigen Präsidiums Maurer — der nach hartnäckigen Gerüchten schwer krank sein soll und von den Regierungsgeschäften durch seinen ersten Stellvertreter, Itie Verdet, entlastet wird — als Regierungschef vorzuschlagen.

Nicht als eine Beteiligung der Volksvertreter an der tatsächlichen Bestimmung der höchsten Staatsämter wird die beabsichtigte „Demokratisierung“ verstanden. Man denkt auch nicht daran, die Nationalversammlung zu einem Diskussionsoder Beratungsforum zu entwickeln, obwohl die Nationalversammlung im vergangenen Jahr etwas öfters zusammentrat als früher. Es heißt, die Rolle der Ausschüsse soll verstärkt werden. Die geänderten Verfassungstexte über die Fachausschüsse der Großen Nationalversammlung unterscheiden sich jedoch von den vorangegangenen nur redaktionell, nicht aber inhaltlich. Die Ausschüsse sollen die Möglichkeit erhalten, die Gesetzes- oder Dekretsentwürfe, die ihnen vom Staatsrat oder vom Büro der Nationalversammlung zugeleitet werden, zu überprüfen, zu debattieren und ihre Stellungnahmen vorlegen. Dies taten sie bis jetzt auch. Es wird sich jedoch etwas ändern: Die Parlamentsausschüsse sollen in Zukunft „unter direkter Anleitung des Staatsrats“ arbeiten. Mit anderen Worten, sie werden ihm unterstellt. Zur Gewährleistung einer „systematischen, mannigfaltigen und ständigen Arbeit“ sollen die Vorsitzenden der Wirtschafts- und Sozialausschüsse hauptamtlich tätig sein und ein „Gehalt“ beziehen. Demokratisierung heißt somit nach der in Bukarest geltenden Sprachregelung eine noch größere Machtkonzentration beim Staatsrat, dessen Vorsitzender der Parteichef selbst ist.

Wie kommt es jedoch, daß mehr Macht in den Händen weniger Personen emstlich als „Demokratisierung“ bezeichnet wird?

Unter Ceausescu war man dazu übergegangen, einen „Wirtschaftsrat“ zu gründen, der dem Ministerrat unterstand. Er hatte die Aufgabe, einerseits die ..Bezirkswirtschafts-räte“ anzuleiten, anderseits die wirtschaftspolitischen Entscheidungen durch Studien vorzubereiten. Der Wirtschaftsrat wird nun dem Ministerrat entzogen und, ähnlich wie die Fachausschüsse des Parlaments, dem Staatsrat unterstellt. Dabei bleibt er weiterhin ein „Staats- und Parteiorgan“. Indem eine seiner Aufgaben die „Anleitung der Bezirkswirtschaftsräte“ bleibt, werden praktisch auch diese Organe — die ebenfalls Organe der Partei und des Staates zugleich sind — dem Staatsrat unterstellt. Die Hauptaufgabe des Wirtschaftsrats wird nach den Worten des Parteichefs die Ausübung einer Kontrolle über die Verwirklichung der Wirtschaftspolitik der Partei und des Staates, über die Durchführung der Parteibeschlüsse und die Anwendung der Gesetze durch die Ministerien und die anderen Zentralorgane sowie durch die Volksräte sein Denn die Wirklichkeit ist so, daß in den kommunistischen Ländern praktisch nicht die Parteiführer regieren, sondern die anonyme Bürokratie. Die Wirklichkeit kennen die Parteiführer nur aus den Berichten und Analysen dieser Bürokratie. Gesetze und Maßnahmen werden von ihr vorbereitet. Parteibeschlüsse, verabschiedete Gesetze und erlassene Dekrete und Verordnungen werden nach Gutdünken dieser Bürokratie angewendet, die sich niemandem gegenüber zu verantworten braucht, denn es hat sich ein an Vollkommenheit grenzendes System der Zersplitterung der Verantwortung entwik-kelt. Das System der Personalunion der Partei- und Staatsämter — eingeführt im Dezember 1967 — hat daran nichts geändert. Man versucht nun mit Hilfe einer ausschließlich dem Parteichef untergeordneten Bürokratie einen Ausweg aus der Diktatur der Bürokratie zu finden, allerdings zugunsten einer verstärkten Personaldiktatur. „Demokratisierung“ auf kommunistisch heißt somit Kampf gegen die Bürokratie bei gleichzeitiger Stärkung der persönlichen Diktatur.

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