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Die Sorgen des Botschafters Sola

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Itallens Parlament ist aufgelöst, die Neuwahlen sind auf den 28. April angesetzt, die neugewählten Abgeordneten und Senatoren treten am 16. Mai erstmals zusammen. Die dritte Legislaturperiode der Italienischen Republik ist in vollkommen normaler Weise zu Ende gegangen. Die Hauptpartner der Formel der „linken Mitte“, Christliche Demokraten und Linkssozialisten, sind verfeindet auseinandergegangen, aber doch nur so weit, um die Wahlkampagne in autonomer Weise führen zu können; nachher, das weiß jeder, werden sie wieder gemeinsam den Reigen schließen. Was den Wahlkampf anbelangt, so haben die Parteien eine gerechte Nutzung von Fernsehen und Rundfunk vereinbart, und ein stillschweigendes Abkommen existiert darüber, die beschränkten finanziellen Mittel nicht zu vergeuden. Das Land wird also nicht mit Plakaten und Flugzetteln überschwemmt werden.

Vor einer erbitterten Wahlschlacht

All das ließe eine normale, faire, vielleicht sogar etwas müde Wahlkampagne voraussehen. In Wirklichkeit kündigt sich eine politische Schlacht an, wie sie erbitterter und skrupelloser noch nicht ausgefochten worden ist. Über die Regierungspolitik der „Linksöffnung“, mit den sozialen und wirtschaftlichen Umschichtungen, die sie mi\ sich bringt, wird das endgültige Urteil gefällt. Enorme wirtschaftliche Interessen stehen auf dem Spiel, es geht darum, wer künftig an den Hebeln des Staates stehen soll. Was Fanfani gebunden hat, kann wieder gelöst werden, die Verstaatlichung der Elektroindustrie rückgängig gemacht, die regionale Ordnung Italiens, die Wirtschaftsplanung verhindert werden. Aber auch ideologische Zweifel hat das Zusammengehen mit den Linkssozialisten ausgelöst, in weiten Schichten der katholischen Wählerschaft besteht Unsicherheit. Die verantwortungsvollsten Sprecher der Rechtsopposition innerhalb der DC, Männer, wie Scelba, Pella, Gonella, Andreotti, sind sich natürlich bewußt, daß es keine Alternative gibt und ein Zurück verhängnisvoll wäre. Die Wahlkampagne muß im Zeichen der „Linksöffnung“ durchgestanden werden, die Chance der DC liegt darin, die Zweifel zu zerstreuen, die Wählerschaft kompakt zu erhalten und dann mit Pietro Nenni, dem Führer der Linkssozialisten, von einer starken Position aus zu verhandeln. In diesen Zusammenhängen ist der

Versuch des Exbotschafters Ugo Sola, zu sehen, mit seiner neuen „Politischen Bewegung christlicher Italiener“ eine zweite katholische Partei aufzurichten und die DC aus den Angeln zu heben. Der Name des heute 75jährigen neapolitanischen Diplomaten wird bis zum vergangenen Herbst nur einem spezialisierten Kreis bekannt gewesen sein. Von dem seinerzeitigen Außenminister Galeazzo Ciano im Jahre 1942 in den Ruhestand versetzt, gehörte Sola eigentlich nicht der Widerstandsbewegung an, trat aber sofort nach der Befreiung Roms, 1944, der DC bei und wurde der Gründer der Sektion Parioli, des damaligen Nobelviertel Roms. De Gasperi ließ sich durch ihn in außenpolitischen Angelegenheiten beraten, und Ugo Sola wurde stellvertretender Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der christlichdemokratischen ' Partei.

Was hat ihn bewogen, jetzt, in einem Alter, da andere die Ruhe zu lieben und Veränderungen als Störung zu hassen beginnen, plötzlich als Haupt einer Dissidentenbewegung hervorzutreten, die Wasser aufzurühren und den Unmut der kirchlichen Zentrale auf sich zu laden? Wenn man Ugo Sola anhört, so ist es die Enttäuschung darüber gewesen, daß es der DC nicht gelungen ist, mit ihrer „Linksöffnung“ die Verstrickung der Linkssozialisten mit den Kommunisten zu lösen und diese zu isolieren. Die ganze Politik der „linken Mitte“ Fan-fanis habe nur den geheimen Zweck gehabt, den linken Parteiflügel mit seinen Sozialrevolutionären Ideen unschädlich zu nfachen. Jetzt vor den Wahlen tue aber Klarheit not. Das religiöse Gefühl, die Heiligkeit der Familie, das Vaterland selbst sei in Gefahr, wenn man sich nicht von dem unbequemen und gefährlichen Weggenossen Pietro Nenni freimache. Denn der von ihm angebotene Bündnisvertrag für die ganze kommende Legislaturperiode werde die Linkssozialisten an die Regierung, die Kommunisten aber an die tatsächliche Macht bringen. Um das Vaterland, das religiöse Gefühl und die Heiligkeit der Familie zu retten, hat Ugo Sola am vergangenen 17. Oktober in einem römischen Rechtsblatt einen Appell an die italienischen Christen gerichtet, dem „Movimento Politico di Cattolici Italiani“ (MPDCI) beizutreten. Diese „Bewegung“ italienischer Katholiken — und nicht „der“ italienischen Katholiken, wohlgemerkt — ist zwar schon vor drei Jahren entstanden, hatte aber bis dahin ein kümmerliches Schattendasein geführt. Mit der Proklamation des neopolitanischen Diplomaten begann sie, kräftigere Lebenszeichen von sich zu geben. Ein von ihr veröffentlichter Pressedienst, ASSI, kündigte am 19. November den Beschluß des Vorstandes an, „an die Vorbereitung für die Wahlen“ zu schreiten. Zugleich verließ Ugo Sola die christlichdemokratische Partei. Am 5. Dezember nahm die Bewegung, gestärkt von den Ergebnissen einer angeblich hunderttausend Personen umfassenden Umfrage in der „kämpfenden katholischen Welt“, offiziell ihre Wahlpropaganda auf, und ASSI kommentierte dazu: „Das Problem der Einheit der Katholiken ist zweifellos kummervoll, doch wäre es unehrlich, uns unter Berufung auf diese Einheit zu zwingen, daß wir gegen unser Gewissen Positionen und Aktionen hinnehmen, die mit der kristallklaren Reinheit der christlichen Doktrine unvereinbar sind. Die Einheit wurde spirituell und substantiell bereits während des letzten Parteikongresses der DC in Neapel zerbrochen: der MPDCI zieht heute die endgültige Schlußfolgerung daraus.“

Die Exponenten der neuen Gruppe

Bei den Exponenten der neuen Bewegung handelt es sich um eine sehr exklusive Gruppe, hochachtbare Männer, unzweifelhaft, aber keineswegs von großer politischer Statur: der Advokat Angelo Maria Nasalli R o c c a, ein Verwandter des päpstlichen Obersthofkämmerers, der Kon-sistorialadvokat Fernando R o c c a, Herzog Giovanni Maiesca, Graf Severino Prunas Tola, Gräfin Rosanna Caccia Domi-n i o n i... Welche Sympathien die Initiative des Botschafters Ugo Sola bei den hohen kirchlichen Stellen besitzt, kann nicht erkannt werden, denn öffentlich hat sich keine zu ihr bekannt, auch nicht der Sekretär des Heiligen Officiums, Kardinal Alfrede Ottaviani, noch der Erzbischof von Palermo, Kardinal Ruffini, die sonst als sehr rechtsstehend und konservativ betrachtet werden. Der MPDCI läßt jedoch durchblicken, daß er aul die Unterstützung des Instituts „Hl. Pius V.“ rechnen kann.

Dieses Institut, eine Art Ordensburg für die ideologische Schulung stark rechts tendierender katholische) Aktivisten, eine Gründung des Kardinals Ottaviani für die Bereitstelluns der geistigen Waffen gegen den Kom munismus und alles, was ihm in seine

Meinung Vorschub leistet, wird, wie sich eine Zeitung ausgedrückt hat, als. „Maquis der katholischen Rechten“ betrachtet. Noch ist unbekannt geblieben, daß zwischen der Agentur ASSI und dem Sekretariat des Heilieen

Officiums diskrete, aber substantielle Beziehungen bestehen. Es heißt, daß die Verbindung zwischen beiden durch einen Beamten des Heiligen Officiums, Monsignore Gilberto Agustoni, hergestellt wird.

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