Calais Füchtlinge - ©  Giacomo Sini

Flüchtlinge: Calais im "Winterfrieden"

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Tausende Menschen warten im Norden Frankreichs auf eine Überfahrt nach England. Ihre schlechte Behandlung durch die Polizei ruft Proteste hervor – und viele junge Helfer auf den Plan.

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Tausende Menschen warten im Norden Frankreichs auf eine Überfahrt nach England. Ihre schlechte Behandlung durch die Polizei ruft Proteste hervor – und viele junge Helfer auf den Plan.

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Von einem Lastwagen überfahren. So starb am 21. Oktober in Calais ein junger Mann. Sein Alter, seine Nationalität und sein Name sind noch nicht bekannt. Er starb wie Yasser, 16 Jahre alt, aus dem Sudan, der einen Monat zuvor ebenfalls von einem Schwerlastwagen im Logistikgebiet Transmarck überfahren wurde, als er versuchte, in einen Anhänger zu klettern, um darin nach England zu gelangen.

Seit dem 11. Oktober befinden sich drei französische Staatsbürger – Anaïs, Ludovic und Philippe – zwei Aktivisten und ein Kaplan – in der Kirche Saint-Pierre in Calais im Hungerstreik und stellen drei Forderungen. Erstens „das Aussetzen der Abschiebungen und der Räumung der Lager während des sogenannten Winterfriedens, der für die Flüchtlinge in Calais nie respektiert wurde“. Zweitens „ein Ende der Beschlagnahmung von Zelten und Flüchtlingsgegenständen, die während der Räumungen illegal und systematisch stattfindet“.

Schließlich die Eröffnung eines „echten Dialogs“ zwischen der Präfektur und den nicht von den Behörden delegierten Verbänden. Für Ludovic hat dieser Kampf bereits ein Ergebnis erzielt: „eine Solidaritätsbewegung zu wecken, die eine klare und unmissverständliche Position gegenüber dem, was geschieht, einnimmt“. Der starke Wind rührt die Wellen des Ärmelkanals, die die Fähren entlang der französischen Küste ins Schwanken bringen.

Fünfzig Kilometer von den Stränden von Calais entfernt, am Horizont, sind die weißen Klippen von Dover zu sehen. Von den Dünen, die diese Stadt säumen, scheint das Vereinigte Königreich nicht allzu weit entfernt zu sein. Aber für einige ist London sehr weit weg, woran ein sehr langer Metallzaun mit Stacheldraht rund um das Hafengebiet von Calais erinnert. Der Zaun verstärkt die berüchtigte Anti-Migranten-Mauer von Calais, die nach der brutalen Räumung des Dschungels von Calais 2016 errichtet worden, um Flüchtlinge daran zu hindern, nach Großbritannien einzureisen, indem sie auf Lastwagen springen, die am Hafen anhalten. Geholfen haben weder die Mauer noch der Zaun. Nach neuesten Daten der Präfektur Calais erreichten im Jahr 2020 mindestens 9551 Asylbewerber die englische Küste mit Booten.

Keine Ende der Welle

In der Nacht vom 9. auf den 10. Oktober wurden, wie Nachrichtenagenturen berichteten, mehrere Hundert Menschen aufgefischt oder an Bord kleiner Boote abgefangen, als sie Frankreich verließen. Wenn die Nacht klar ist, ist es nicht schwer, kleine blinkende Lichter zwischen den Sternen leuchten zu sehen. Das sind keine Satelliten, sondern Drohnen, die die siebzig Kilometer lange Küste von Boulogne, Calais und Dunkerque überwachen. Der Einsatz neuer Technologien zur Kontrolle der Küste, ein verstärkter Einsatz von Polizeikräften an der französischen Küste – sogar in Dieppe, weiter südwestlich von Calais – gehören zu den Punkten des Paktes zur Bekämpfung der Einwanderung, der im Juli von Priti Patel und Gérald Darmanin, der britischen Innenministerin und dem französischen Innenminister, verabschiedet wurde.

Darüber hinaus wurden Investitionen in die Infrastruktur getätigt, um den Zugang zur Kanalgrenze zu blockieren. „Der Ärmelkanal ist sehr gefährlich, und trotzdem gibt es jeden Tag Menschen, die versuchen, auf dem Seeweg nach Großbritannien zu gelangen“, erklärt Emma von „HRO – Human Rights Observers“, einer NGO, die Menschenrechtsverletzungen in der Region dokumentiert. Und so leben zwischen Calais und Dunkerque mehr als 1800 Menschen unter prekären Bedingungen in Slums, wo sie darauf warten, nach Großbritannien zu gelangen.

Obwohl der UNHCR festlegt, dass die Wasserversorgung nicht mehr als 500 Meter vom Wohnort entfernt sein sollte, reisen Flüchtlinge hier bis zu 5 Kilometer, um etwas Wasser zu bekommen. Noch dramatischer wurde die Situation durch den Erlass des Bürgermeisters von Calais, die Verteilung von Lebensmitteln im Stadtzentrum zu verhindern und die Menschen zu zwingen, sich von der Stadt fernzuhalten. „Diejenigen, die deportiert werden, erhalten eine Seriennummer“, sagt Helferin Emma, „Räumungen werden von der Gendarmerie in Calais und der CRS in Dunkerque einschüchternd und gewaltsam durchgeführt.“

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