Kindberg

Debatte um Asylzentrum in Kindberg: "Ich will keine neuen Nachbarn"

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Im steirischen Kindberg lehnen sich Bewohner gegen ein geplantes Asylwerberzentrum auf. Die FPÖ nutzt die Lage für sich. Über einen Musterfall politischen Kommunikationsversagens.

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Im steirischen Kindberg lehnen sich Bewohner gegen ein geplantes Asylwerberzentrum auf. Die FPÖ nutzt die Lage für sich. Über einen Musterfall politischen Kommunikationsversagens.

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Zwei Meter hohe Bauzäune versperren den Zugang zum 10.000 Quadratmeter großen Gebäude am Stadtrand von Kindberg. Vergangenen September mietete die Bundesbetreuungsagentur (BBU) das ehemalige Landespflegeheim von einer Grazer Immobiliengesellschaft. Noch wird das seit 2017 leerstehende Haus saniert, ab Jänner sollen Asylwerber einziehen.

Seit Bekanntwerden der Pläne gehen bei der Bevölkerung der Gemeinde die Wogen hoch. Die Rede ist von Wut oder Angst, die sich bei den Menschen vor Ort Bahn bricht. Zwar haben Kommunen laut österreichischem Asylgesetz kein Mitspracherecht in Asylfragen – übergangen fühlen sich die Kindberger dennoch. „Niemand hat uns vorab informiert“, erklärt Bürgermeister Christian Sander (SPÖ) beim FURCHE-Lokalaugenschein.

Die Bundespolitik habe daher Vertrauen verspielt, auch schenkten die Anrainer bestimmten Zusicherungen keinen Glauben mehr. Während die BBU angibt, maximal 250 Asylwerber mit besonderem medizinischen Betreuungsbedarf in der 8500-Einwohner-Gemeinde ab Jänner 2023 unterzubringen, antizipieren die Kindberger ein Asylmassenlager mit 500 bis tausend Afghanen und Syrern. Platz genug wäre im alten Pflegeheim dafür.

Angst, die in Wut umschlägt

„Auch in Traiskirchen oder in Steinhaus am Semmering hat es geheißen, dass kein Massenlager entsteht, die Realität sieht mittlerweile anders aus“, sagt Sander. Sein Traiskirchner Bürgermeisterkollege, Andreas Babler (ebenfalls SPÖ), schätzt das ähnlich ein. Seiner Erfahrung nach sind Ankündigungen des Innenministeriums in dieser Frage nicht zuverlässig. Eine Aussage, die das Misstrauen unter den Kindberger Bürger(inn)en befeuert.

Der Bund wiederum sieht die Länder in der Bringschuld. Diese sind nach geltender Rechtslage verpflichtet, Asylwerber nach Abschluss des Zulassungsverfahrens zu übernehmen und in kleineren Quartieren unterzubringen. Derzeit erfüllen nur das Burgenland und Wien die vereinbarte Quote an Geflüchteten. Alle anderen Bundesländer übernehmen zu wenige – oder zu zaghaft – Personen aus den BBU-Quartieren. Kommen weitere Geflüchtete nach Österreich, werden sie erneut in die Obhut des Bundes übergeben. Folglich füllen sich bestehende Bundesunterkünfte, während die Länder in Gemeinden oft erfolglos auf der Suche nach kleineren Quartieren sind.

In Kindberg interessiert sich die Mehrheit der Bewohner weder für Länderquoten noch für Betreuungsabläufe. Vielmehr spricht man von einer Bedrohung, die man auf sich zukommen sieht. Bei einer Gemeinderatsitzung habe eine ältere Frau geäußert, Angst um ihr Leben zu haben, versucht Bürgermeister Sander die Atmosphäre im Ort zu beschreiben. In den letzten Wochen sei indes die Angst in Wut umgeschlagen und die Bereitschaft zu sachlichen Diskussionen ob der Ohnmacht verloren gegangen.

Laut Migrationsforscherin Judith Kohlenberger hätten auch widersprüchliche Aussagen der Politik dazu geführt, dass die Bevölkerung das Vertrauen in das Asylsystem verloren hat. Hinzu kommt ein Auseinanderklaffen zwischen Ausspruch und Wirklichkeit. „Politiker versuchen Österreich rhetorisch als Abschottungsland Nummer eins zu positionieren, in der Realität ist das nicht der Fall“, so Kohlenberger.

Babler kritisiert, dass die ÖVP, die für die Unterbringung von Asylwerbern zuständig ist, selbst mit ihren populistischen Ansagen dafür gesorgt habe, dass Migration per se kritisch betrachtet oder komplett abgelehnt wird.

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