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Nordische Linke im Gegenwind

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Monat für Monat wird klarer erkennbar, daß das Ergebnis der norwegischen Parlamentswahlen im vergangenen September keineswegs nur eine zeitlich und lokal begrenzte Schwäche der durch so lange Jahre bestimmenden Sozialdemokratie anzeigte, sondern bezeichnend für die Situation der Arbeiterparteien in allen skandinavischen Ländern war. Finnland, das sich in einer ganz besonderen außenpolitischen Situation befindet, kann hier ausgeklammert werden; ein etwaiger Wahlerfolg der dortigen Sozialdemokraten muß im Lichte der nahezu überwundenen Parteispaltung und des schweren Rückschlages bei der letzten Parlamentswahl, gesehen werden. In Dänemark und Schweden jedoch wären die dortigen Arbeiterparteien froh, wenn sie bei der nächsten Wahl nur jene prozentuellen Verluste erleiden würden, derentwegen sie ihre norwegische Bruderpartei nach den Septemberwahlen so hart kritisiert hatten. Eine „Norwegenwahl”, die noch das Schreckgespenst der dänischen und schwedischen Sozialdemokratie im vergangenen Herbst war, hat heute ihren Schreck verloren: Die Herren Erlander und Krag werden noch beweisen müssen, ob sie imstande sind, prozentuell ebensoviel Wähler hinter die eigenen Fahnen zu sammeln wie es Einar Gerhardsen aus einer schweren Ausgangsposition heraus immer noch vermocht hatl.

Die Blütezeit ist vorbei!

Es gibt hier auch Gegner der Sozialdemokratie, die diese Entwicklung bedauern. Der „nordische Sozialismus”, der niemals ein Sozialismus im kontinentaleuropäischen Sinne gewesen ist — vor allem nicht im österreichischen Sinne! — und der längst nicht mehr auf den Norden allein beschränkt ist, hatte trotz allem große soziale und politische Fortschritte zu verzeichnen. Er konnte zu einer Anregung auch für andere demokratische Länder des Westens werden, wenn auch niemals zu einem Modellfall. Die Freiheit und Offenheit der politischen Diskussion, die sein Durchbruch in führende Staatsstellungen mit sich brachte, ist in Westdeutschland immer noch unvorstellbar. Die Rücksichtnahme auch auf Belange der Privatwirtschaft und die von den Gewerkschaften eingeführte harte Disziplin auf dem Arbeitsmarkt (keine „wilden Streiks”!) nützten der Gesamtwirtschaft und verhalten dem einzelnen Bürger zu einer ansehnlichen Standardsteigerung. In den letzten Jahren hat man aber auch hier den Griff um die Entwicklung verloren. Wichtige Probleme konnte man lösen, in ebenso wichtigen hat man versagt — nun beginnt sich die Schale der Fehler und der Versäumnisse immer tiefer zu neigen. Mit der norwegischen Sozialdemokratie fiel eine der drei skandinavischen Säulen, die beiden anderen schwankten bereits, und gelänge es auch, den Fall aufzuhalten — wie es Krag in Dänemark eben gerade noch geglückt ist! —, so steht doch fest, daß die Blütezeit des nordischen Sozialismus vorbei ist!

Die dänischen Sozialdemokraten reagierten daraufhin mit einer Annäherung an die Liberalen; sie schraubten ihre eigenen Steuererhöhungswünsche etwas herab und machten Zusagen in Fragen des Wohnungsmarktes. Darüber hinaus versucht man zu einer weiteren Zusammenarbeit zu kommen. Mit der kleinen Fraktion der Sozialliberalen (10 Mandate) hat man schon bisher zusammengearbeitet. Der Schritt nach rechts befreit Krag davon, die Sozialistische Volkspartei um eine Abstimmungshilfe zu bitten, doch die Politik, die man machen wird, ist noch weit weniger eine sozialistische Politik als zuvor! Das nahezu brüske Auftreten der dänischen Sozialdemokraten gegenüber den schwedischen und norwegischen Sozialisten auf der letzten Tagung des Nordischen Rates in Kopenhagen und die weitgehenden dänischen Forderungen in bezug auf die Schaffung eines gemeinsamen Landwirtschaftsmarktes für den ganzen Norden waren von der Rücksicht auf die Wünsche jener bürgerlichen Kreise diktiert, mit denen zusammenzuarbeiten man nun gezwungen ist. Daß die Bruderparteien in den anderen Ländern den Dänen bereits früher sehr weit entgegengekommen waren und zur Zeit gar nicht weiter gehen konnten, wog dabei anscheinend sehr leicht. Der Sprung im skandinavischen Gemäuer war deutlich sichtbar geworden.

Die böse Sieben

Bei den sieben letzten Untersuchungen der politischen Stimmung im Lande hat die dänische Sozialdemokratie jedesmal schlechter abgeschnitten als bei den Wahlen im September 1964! Bei diesen sieben Untersuchungen kam man nur ein einziges Mal knapp über 40 Prozent, während man bei der Parlamentswahl 41,9 Prozent der Stimmen erhalten hat. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Partei an Boden verliert. Dagegen erreichten die Konservativen bei der Meinungsbefragung jedesmal bessere Resultate, und die Liberalen waren zumindest bei den letzten vier Untersuchungen klar im Vormarsch.

In Schweden gibt es keine solchen Untersuchungen, deren Ergebnis dann veröffentlicht wird, doch es gibt Befragungen, die möglichst unauffällig durchgeführt werden und in den Parteikanzleien um so aufmerksamer studiert werden. Die letzte dieser Befragungen soll — gemäß einer Indiskretion aus führenden Kreisen der Arbeiterpartei — ein für Erlander außerordentlich alarmierendes Ergebnis gebracht haben. Die Wochenschrift „Tidsigna- len” gab bekannt, daß laut dieser SIFO-Untersuchung eine in der nächsten Zeit stattflndende Parlamentswahl der Arbeiterpartei eine direkt katastrophale Niederlage bringen würde; die abwandernden Wählermassen würden wahrscheinlich von den Mittelparteien, den Liberalen und der Zenterpartei aufgefangen werden. Beide Parteien arbeiten bereits jetzt in vielen Fragen zusammen, und auch eine Parteien- zusammenlegung erscheint — nach einem Wechsel in der Führung der Liberalen — nicht ausgeschlossen.

Auch wenn .man auf Untersuchungen dieser Art kein Gewicht legt, ist der Bodenverlust der Sozialdemokratie gar nicht zu übersehen. Der Beschluß über die Niederlegung des Zentralorgans der Partei, der „Stockholms-Tidningen”, hat zu einer schweren Vertrauenskrise innerhalb der Partei geführt. In „Stockholms-Tidningen” selbst wurde darauf hingewiesen, daß die früheren Stockholmer Parteizeitungen, „Morgon-Tidningen” und „Afton- Tidningen”, mit der Begründung aufgelassen worden waren, daß man nun alle Kräfte auf „Stockholms- Tidningen” konzentrieren müsse. Als man die Tageszeitungen „Kuriren” und „Ny Tid” in Göteborg opferte, war das mit derselben Begründung geschehen. Und nun mußte das Zentralorgan selbst dran glauben. Sehr bekannte Mitarbeiter der Arbeiterpresse bezeichnen das öffentlich als einen Verrat an der Partei. Die Machtkonzentration in den Händen einiger weniger Politiker und Gewerkschaftsführer habe so weit geführt, daß man es nicht einmal für notwendig erachtet habe, einen Gewerkschaftskongreß über diesen Ankauf zu informieren und den Kauf selbst noch einen Monat nach dem Unterzeichnen des Kaufvertrages verleugnet habe.

Auch Manuskripte haben ihre Schicksale

Der bekannte Publizist Jan Myrdal wies in seinem letzten Artikel im „ST” darauf hin, daß der Kapitalismus in Schweden erst jetzt seinen vollen Durchbruch und seinen entscheidenden Sieg erringen konnte. Eine der kritischen Stimmen nach der anderen sei zum Schweigen gebracht worden, wohlwollend unterstützt von Parteiführern, die längst die von ihnen früher vertretenen Ideale vergessen hätten! Myrdals Schicksal selbst scheint diese Behauptung zu unterstreichen: Als der Schriftsteller mit einem neuen Brandartikel auf dem Weg in die Redaktion war, wurde er von einem Auto niedergestoßen und schwer verletzt; das Manuskript wurde angeblich „vollständig massakriert”!

Die Schwächeperiode Anfang der fünfziger Jahre konnte die Arbeiterpartei durch die Aufstellung der Forderung um eine allgemeine Dienstpension überwinden. Es war dies eine Forderung, die alle in dieser Hinsicht bisher Benachteiligten engagieren mußte und schließlich auch zur Festigung des Regimes Erlander beitrug. Eine solche, die Mehrzahl des Volkes interessierende Parole hat man heute nicht zur Hand. Die eben aufgeworfene Frage „Monarchie oder Republik” läßt im Grunde genommen den Durchschnittsschweden ziemlich gleichgültig. Die überwiegende Mehrzahl der Frauen bangt von vornherein um das Schicksal jener Prinzessinnen und Prinzen, deren Leben soviel Stoff für die überall gegenwärtigen Wochenzeitungen liefert. Die Kerntruppe der Arbeiterpartei aber hat noch niemals ein so tiefes Mißtrauen gegenüber der Führungsspitze gehegt wie gerade heute. Das ist mehr als ein Menetekel für Erlander und seine Parteifreunde in der Regierung!

Nach Abfassung dieses Berichtes kam es zu einer Art von Reaktion der Führung der Arbeiterpartei auf die Anklagen ihrer Kritiker. Alle Vorschläge, die ein Weitererscheinen der „Stockholms-Tidningen” zum Ziele hatten, wurden in einer Parteiversammlung in Stockholm vom Gewerkschaftsführer Arne Geijer verworfen, ohne daß er dabei näher auf sie eingegangen wäre. Tage Erlander teilte bei gleicher Gelegenheit mit, daß er sich für die Auflassung der Zeitung mitverantwortlich fühle und sich dieser Verantwortung auch nicht entziehen wolle. Das Datum der Niederlegung aber wurde vom 1. April auf den 27. Februar verlegt!

Mißstimmung und Verlegenheit

Um die entstandene Lücke auszugleichen, wird die Partei durch vier Monate vor den kommenden Kommunalwahlen ein achtseitiges Wahlblatt herausgeben und gratis verteilen.

Die bisherigen Leser des Zentralorganes wurden aufgefordert, das Lokalblatt von Malmö, „Arbetet”, zu beziehen oder die Halbmonatsschrift „Aktuellt”, die allerdings nur mit 20 Nummern im Jahr herauskommt.

Im übrigen will man der entstandenen Mißstimmung durch die Forderung auf erhöhte Krankengelder und Auflassung der drei Karenztage bei Krankheitsfällen begegnen. Diese Reform soll noch heuer dem Parlament vorgelegt werden. Ein Teil der anfallenden Kosten soll durch die Erhöhung der Sozialabgaben aufgebracht werden.

Es wird abzuwarten sein, ob diese Reformvorschläge imstande sein werden, den schlechten Eindruck zu verwischen, den die bisherigen Anhänger Erlanders von ihrer Partei in den letzten Monaten bekommen haben!

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