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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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KOMMT ER, ODER KOMMT ER NICHT? Der für alle Beteiligten annehmbare Kompromiß zwischen Unterrichtsministerium und Hochschülerschaft in der Frage der Gebührenerhöhung, Sein Zustandekommen müßte eigentlich gar nicht so schwierig sein. Außer einigen auf politische Lizitation bedachten Gruppen werden die Studentenvertreter sicher nicht bis zum äußersten dafür einfreten, daß Söhne und Töchter von Generaldirektoren weiterhin für ein Semester an Studiengeld und Gebühren einen Bruchteil dessen zu zahlen, was sie für einen vergnügten Abend ausgeben. Sie sind aber im Recht, wenn sie genügend Garantien für eine weitgehende Ermäßigung und Befreiung fordern, die allen jenen, deren Geldtasche mehr als schmal ist — und ihrer sind viele —, auch weiterhin das Hochschulstudium ermöglicht. Diesen Argumenten wird man sich, so glauben wir, auch nicht am Minoritenplatz widersetzen. Es gilt also zunächst nur einmal den größten gemeinsamen Nenner zwischen den Wünschen des Ministeriums und den zum Teil um Fortsetzung oder Bedrohung ihres Studiums kämpfenden Studenten zu finden. Darüber hinaus sei eines freilich nicht vergessen: man lasse Hochschule und Hochschulpolitik als politische Wetterwinkel nicht aus den Augen, obgleich man weiß, daß hier linksextremistische Elemente keinen Fußbreit Boden gewinnen konnten. Aber es könnte ja auch — und die Vergangenheit mahnt mehr als deutlich — unter Umständen Gefahren aus der entgegengesetzten Richtung der politischen Windrose geben

VATIKAN-EUROPA? Auf dem internationalen Kongreß der Liberalen in Straßburg wurde dieses Wort geprägt, und schon haben es Beobachter und Interessenten aus sehr verschiedenen Lagern aufgenommen; europäische Konservative, englische Sozialisten, russische Kommunisten. Zumeist mit negativem Vorzeichen; da ist von einer „katholischen Verschwörung“ die Rede, die auf eine Abschreibung des protestantischen Ostens hinziele. Da erhebt man beschwörend die Hände zum Himmel: Europa drohe den beiden Totalitären zu verfallen, der Seelendiktatur Roms und der Leibherrschaft Moskaus. Nicht verschwiegen soll auch bleiben: „konservative“ Kantönlipolitiker reiben sich die Hände; sie erhoffen sich eine europäische Insel, die sich heraushalten könne aus den erregten Sturmfluten der Weltgeschichte, aus dem Großkampf der Giganten. Man plädiert also für ein katholisch-konservatives Europa als eine Art Über- Schweiz, man fordert die „Versdnveizerung“ Europas (mit Worten und Gedanken, die sehr abstehen von Schweizer Gesinnung, Tatkraft und Wirklichkeit). Was steht hinter diesen Kongreßparolen, Pressemeldungen, Meinungen und Visionen? Eine Tatsache: die beginnende Zusammenarbeit von Deutschland, Frankreich, Italien und den Beneluxstaaten unter Führung und Initiative katholischer Außenminister beziehungsweise Ministerpräsidenten. Dazu: das Projekt einer „Kleinen Föderation“, einer politisch-wirtschaftlichen Allianz dieser Länder, als ein Mittelglied zwischen dem Ost- und Westblock. Dieses Projekt, besser und genauer gesagt, diese Projekte, die je nach der nationalen Herkunft ihrer ideologischen Reimschmiede sehr verschieden abschattiert sind, sind in keinem einzigen Falle über das Stadium von Erwägungen hinausgedrungen. Zu groß sind immer noch die Gegensätze und Sonderinteressen aller hier in Frage stehenden Partner. Zum dritten: der Vatikan selbst hat, sosehr er eine Zusammenarbeit begrüßt und sich zu Straßburg bekennt, sich in keiner Weise politisch engagiert — die Weltkirche kann auch angesichts erfreulicher Aspekte einer Teilsituation heute weniger denn je dem Einsatz für diese ihre Gesamtinteressen opfern: Europa, mitten in der einen großen Welt, so sieht heute Rom die europäischen Länder, und so müssen wir selbst uns sehen lernen. Es ist also nichts mit der Gliederpuppe, als die weltanschauliche und politische Gegner dieses Kleineuropa zu sehen belieben, gelenkt von Drähten, die alle im Vatikan zusammenlaufen. So fallen die Schlagworte und Parolen in ein Nichts zusammen; bleibt doch die wachsende Wirklichkeit: die langsam, aber stetig fortschreitende Zusammenarbeit der europäischen Länder — nicht als ein „sozialistisches Europa", nicht als ein Vatikan-Europa, nicht als „das liberale Europa“; wohl aber unter Mitarbeit von Männern aus allen Lagern, die sich zur Freiheit der Person und ¿ur Eigenständigkeit aller Mitarbeiter als Partner bekennen.

DAS 100JÄHRIGE JUBILÄUM des Strafgesetzbuches, das Österreich in diesen Tagen beging, konnte man in der Tschechoslowakei nicht mehr feiern: .Schon vor zwei Jahren, am 1. August 1950, war hier das aus der alten Monarchie übernommene Gesetz beseitigt und durch eine Neuregelung nach russischem Vorbild ersetzt worden, die mit ungeheurer Lautstärke „populär“ gemacht wurde. Um so überraschender kommt die Meldung, daß eben, kaum zwei Jahre später, in Prag eine neue Strafrechtsreform durchgeführt wurde. In Hinkunft wird eine einzige oberste Instanz, das Oberste Gericht, existieren, an das der Rechtszug von allen Gerichten, auch den Militärgerichten, geht. Die Staatsgerichte, aber auch das Verwaltungsgericht, werden abgeschafft. Die Bezirksgerichte, deren Sprengel bei der letzten Reform den Verwaltungsbezirken angepaßt und deren Zahl dadurch etwa auf die Hälfte des früheren Standes gesenkt worden war, werden jetzt nach dem Vorbild Rußlands in Volksgerlehte umbenannt. Die wichtigste Neuerung aber besteht in der Errichtung der Prokuraturen. Ihre Aufgabe ist es, die Durchführung der Gesetze zu überwachen und dadurch zur Festigung der staatlichen Disziplin beizutragen. Die Kompetenz der Prokuraturen ist nicht wie bisher auf die Gerichte beschränkt — auf die bürgerliche Rechtspflege war sie bereits 1949 ausgedehnt worden —, sondern bezieht sich nunmehr auf alle öffentlichen Stellen und Organe sowie auf Einzelpersonen. „Die Prokuratur wird überall dort eingreifen, wo gegen ein Gesetz verstoßen wird, wobei sie sich in erster Linie auf Hinweise und Beschwerden der Arbeitenden und ihrer Organisationen stützen wird“, erklärt der Justizminister sehr vielsagend in seinem Kommentar zu dem neuen Gesetz. Afl der Spitze der neuen Einrichtung steht der General- prokurator, dessen ungeheure Machtfülle dadurch besonders unterstrichen wird, daß er nicht dem Justizminister untersteht, sondern der Gesamtregierung verantwortlich ist. Daneben fällt die Abschaffung der Finanzprokuraturen kaum auf, auch die Beseitigung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vollzieht sich geräuschlos und unauffällig. Anders als bei der ersten Reform hüllt man sich diesmal in Prag in Schweigen. Von einer Beteiligung des Volkes an der Novellierung des Strafgesetzes oder der bürgerlichen Gerichtsordnung, geschweige denn an der Ausarbeitung des Gesetzes über die Prokuraturen ist heute keine Rede, Ein paar dürftige Mitteilungen aus dem Ministerrat, eine Pressekonferenz des Justizministers, die mehr verhüllt als beleuchtet und sich auf den Hinweis beschränkt, daß Ostdeutschland und China den „neuen Typ der Prokuratur“ bereits übernommen haben. Man ist sich in Prag dessen bewußt, daß die ßegeisterung der Tschechen für die Neuerungen nach Moskauer ‘Vorbild ihre Grenze erreicht hat.

MIT VERHÄNGNISVOLLER BEFANGENHEIT geht der ungekrönte König der Südafrikanischen Union, Dr. Malan, den Weg des extremen Rassismus weiter. Es ist bekannt, daß hinter Malan nur der überwiegende Teil der burischen Volksgruppe steht, die — wenn man selbst alle „Farbigen“ außer Betracht läßt — auch unter der weißen Bevölkerung des Landes nur eine knappe Mehrheit erreicht. Nun beschreitet Malan, um sich von allen verfassungsmäßigen Fesseln zu befreien, einen neuen Pfad. Da der Oberste Gerichtshof der Kapprovinz die Streichung der 48.000 „Mischlinge" von den Wählerlisten — sie waren berechtigt, vier weiße Abgeordnete zu wählen — als verfassungswidrig erklärt hat, dekretierte Malan die uneingeschränkte Souveränität der Volksvertretung und setzte einen neuen „parlamentarischen“ Obersten Gerichtshof ein. Durch eine Art „Pairs- schub“ will Malan die notwendige Zweidrittelmehrheit für die vorgeschriebene gemeinsame Tagung beider Häuser der Volksvertretung gewinnen. Es muß betont werden, daß Malans Anhänger bei den letzten Wahlen nur 446.000 Stimmen errangen, während seine Gegner 524.000 erhielten, daß also für ihn nicht einmal eine echte Volksmehrheit, sondern das Wahlsystem gesiegt hat. Inzwischen protestiert Indien gegen die Diskriminierung der Inder. Neger und Mischlinge führen eine gewaltlose „Mißachtungskampagne“. Sie benützen demonstrativ Gartenbänke und Eingänge, die „nur für Europäer“ bestimmt sind. Mehr als 3000 Personen sind für solche „Delikte“ bereits in die Gefängnisse gewandert. Es zeigen sich aber auch ernste Spannungen zwischen der Regierungspartei und der oppositionellen „weißen“ Frontkämpferorganisation. Und das alles im Zeichen des unaufhaltsamen kulturellen und politischen Aufstieges der schwarzen Bevölkerung des „Schwarzen Erdteiles“, eines Aufstieges, für den das Wirken der katholischen Missionäre in Marianhill und Uganda längst den Beweis geliefert hat. In diesen Widerstreit will Malan auch die großen britischen Enklaven und Grenzgebiete einbeziehen. Mit gewaltsamen Mitteln kann die Herrschaft einer Minderheit heute aber auch in Afrika nicht dauernd gefestigt werden.

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