ganz dicht - © Rainer Messerklinger

Semier Insayif: Die Poesie dialektaler Gesänge & des Enjambements

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Gedichte von Eva Lugbauer und Patricia Mathes: „faschaun farena fagee“ und „Schnee von gestern“.

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Gedichte von Eva Lugbauer und Patricia Mathes: „faschaun farena fagee“ und „Schnee von gestern“.

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Es sind 51 Dialektgedichte in drei Kapitel eingeteilt. Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln ergeben gemeinsam den Titel des neuen Gedichtbandes von Eva Lugbauer, nämlich: „faschaun farena fagee“.

Spielerisch und sich ihrer selbst bewusst stellen die Gedichte das Sprachmaterial aus und erinnern immer wieder an konkrete Poesie. Mit ihrer präzisen Komposition, ihren intensiven Rhythmen mit Wiederholungen, Variationen, refrainartigen Passagen, Alliterationen, Reimen und ihrer klanglich melodiösen Struktur, sind sie in der Lage, sich eindringlich und leicht zugleich unter die Haut zu singen. Da heißt es zum Beispiel im ersten Gedicht mit dem Titel „faschaun“: „drei schdund/samma gsessn/en kafeehaus/haumma gredt/haumma bofed/haumma gschaud// da disch glaunzad/zwischn uns/en kafeehaus/oeswia r a see/en winta/und es daud// …//drei schdund/ und e waas ned/wos e gredt hob/drei schdund/und meine setz/ hots fawaad//…“

Liebe, Lust und Verbundenheit, Sackgassen, Trauer und Verlust sind u. a. häufige Motive. Es wird durchgehend Kleinschreibung verwendet und auf Satzzeichen verzichtet. Überhaupt zeugt die Orthografie von einer poetischen Eigenwilligkeit „des Ohres“. Existenziell und prall gefüllt mit Humor, Sinnlichkeit und gleichzeitig feiner Fragilität stellen die Gedichte mit Widerstandskraft einen Gegenentwurf zum Effizienzund Funktionalitätsparadigma dar. Im Gedicht „fagroom“ heißt es: „en deine aung/en deine haud/en dein boesda/ en da ead//woxn bleamen/aus dia“.

Ein Herz der Gedichte von Patricia Mathes ist programmatisch. Jedes Gedicht trägt als Ausgangspunkt eine Redewendung oder ein Sprichwort in sich. Bei einigen schwingen diese noch erkennbar mit, bei anderen scheinen sie völlig verschwunden oder gerade noch als Duftoder Erinnerungsspuren existent.

So erklärt sich auch der Titel des Manuskriptes: „Schnee von gestern“. Als wäre der sprichwörtliche Sprachschnee nur noch an schattigen Plätzen im Gedicht auffindbar oder gar schon geschmolzen und in andere Aggregatzustände übergegangen. „als würdest du erst noch/gezeichnet werden müssen/um dich selbst//zeichnen zu können/ zur ersten skizze/die weiß welcher//umriss reicht/dem blatt/das man dir gab/nicht überzustehen/“.

Ein anderes Herz der ungebundenen und ungereimten Gedichte stellen ihre eigenwilligen Wendungen und Verschiebungen dar, die imstande sind, völlig unerwartete Bilder und Zusammenhänge zu generieren. „… du klopfst/ deinen hall so tief/in den wind bis er/schwarz genug ist/ dich lesbar auf zu hören//“. Auffälliges poetisches Mittel ist u. a. das Enjambement, das über die Verszeilen- und Strophengrenzen hinweg zu vielfältigen Bedeutungszusammenhängen und Lesarten (ver)führt.

So werden Herz, Hirn, Geist und Leben poetisch ab-, auf- und umgehängt, bis sie Sprache, Sinn, Bilder und Erfahrungen hinterfragen und zum Schweben bringen. „die schrift wird/wenn sie einschläft/nur im westen untergehen/die frage wird sich/genau nach ihrem/schatten stellen/“.

„ganz dicht“ stellt jeweils vor einem Dicht-Fest in der Alten Schmiede (nächstes: 7.12.2023) Lyrik vor.

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