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Das pulverisierte Gedicht

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POESIES — DICHTUNGEN. Von Rene Char. Zweisprachige Ausgabe, Französisch-Deutsch. Vorwort von Aibert C - m u s. Herausgegeben von Jean-Pierre Wilhelm und Christoph Schwerin. Übersetzungen von Paul Celan, Johannes Hübner, Lothar Klünner und Jean-Pierre Wilhelm. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 388 Seiten. Preis 32 DM

Albert Camus hielt ihn für den größten lebenden Dichter Frankreichs. „Ich würde die Neuheit dieser Gedichte weniger bewundern“, schrieb er über seinen nur wenig älteren Freund, „wenn ihre Inspiration nicht zugleich in so hohem Grade alt wäre. Mit Recht nimmt Char den tragischen Optimismus des vorsokratischen Griechenlands für sich in Anspruch. — Alt und neu zugleich, verbindet diese Dichtung Verfeinerung und Einfalt. Mit demselben Schwung trägt sie die Tage und die Nacht. Dort, wo Char geboren ist, erscheint im großen Licht bekanntlich die Sonne manchmal dunkel. Um zwei Uhr, wenn die Hitze in der Landschaft ihren höchsten Grad erreicht hat, bedeckt ein schwarzer Hauch das Land. Ebenso ist es, immer wenn die Dichtung von Char dunkel erscheint, nur eine besessene Kondensation des Bildes, eine Verdichtung des Lichtes, was ihn von jener abstrakten Durchsichtigkeit entfernt, die wir meistens nur deswegen fordern, weil sie nichts von uns verlangt.“

Rene Char aber verlangt einiges von seinen Lesern. Vor allem Aufmerksamkeit. Wachheit, Empfänglichkeit für Nuancen. Er wurde 1907 geboren, in L'Isle-sur-Sorgue, einer Kleinstadt in der Provence. Anfang der dreißiger Jahre schloß er sich den Surrealisten an, gab einige Publikationen, zusammen mit Breton und Eluard heraus. Aber er war nicht von ihrem Schlag, suchte die Einsamkeit, um ganz er selbst zu werden.

Im Krieg gehörte er zum Widerstand. Unter dem Decknamen „Hypnos“ führte er eine Gruppe von „Partisans“ in einem Maquis seiner provencalischen Heimat. Notizen aus dieser Zeit, „Hypnos-Aufzeich-nungen aus dem Maquis“, erschienen, Albert Camus gewidmet, 1946. Sie sind von anonymer Sachlichkeit und Ruhe, meist nur einzelne knappe Sätze, selten drängt sich die Schilderung eines unmittelbaren Eindrucks dazwischen:

„Singe deinen irisierenden Durst.“ „Tau der Menschen, der seine Grenzen zieht und sie wieder unsichtbar macht. Sie verlaufen zwischen Tagesanbruch und Sonnenaustritt, zwischen den Augen, die sich auftun, und dem Herzen, das sich erinnert.“ „Kinder bringen dieses reizende Wunder zustande: Kinder zu bleiben und mit unseren Augen zu sehen.“ „Für wen wirken die Märtyrer? Größe besteht in verpflichtendem Aufbrechen. Die Beispielhaften sind aus Dunst und Wind.“ „In unserem Dunkel: nicht einen Platz hat die Schönheit darin. Der ganze Platz ist ihr der Schönheit, zugedacht.“

Rene Char ist durch den Surrealismus hindurchgegangen, er hat zu einer Einfachheit der Sprache und einer Klarheit des Ausdrucks gefunden, die nie rational, immer emotional begründet sind. Was ihn so sympathisch macht ist seine Mitmcnschlichkeit, seine Anteilnahme an Zeit und Stunde, eine grenzenlose Bereitschaft zur Kommunikation. Sehr k'ar spricht er das aus im „Argument“, das er seinem „pulverisierten Gedicht“ (Le poeme pulverise, 1947) vorangestellt hat:

„Wie leben,.ohne vor sich ein Unbekanntes? Die Menschen van heute wollen, daß das Gedicht nach dem Bild ihres Lebens gemacht sei, so arm an Rücksicht, so arm an Raum und verbrannt von Unduldsamkeit... Geboren aus dem Anruf des Werdens und der Angst vor dem Einbehalt, erhebt sich das Gedicht aus seinem Brunnen von Schlamm und Sternen und bezeugt beinah schweigend, daß nichts in ihm war, was nicht wahrhaftig anderswo existiert hat, in dieser rebellischen und einsamen Welt der Widersprüche.“

Das ist programmatisch: das Gedicht, das nicht abbildet, nicht den Menschen und nicht das Leben der Menschen, und das doch, durch die Sprache, die ganze Welt enthält, weil es nicht anders Kann, als die ganze Welt zu enthalten. Auch der Titel „Das pulverisierte Gedicht“ ist programmatisch für das Werk Rene Chars: es ist ein Werk in stärkster Konzentration, der Extrakt, die Essenz eines Werkes; andere hätten zehn Bücher daraus gemacht und hätten doch nicht mehr sagen können als dieser Mann, der so sparsam ist mit Worten.

Das meiste, was Char geschrieben hat, hat die Form der Prosa. Und doch spüren wir in jeder Zeile die Dichte, die Dichtung, die Poesie. Es sind einzelne Sätze, die selbständig geworden sind, jedes Wort ist kostbar geworden. Und dabei: nie avantgardistische Spielereien, kein Wort ohne Sinnzusammenhang mit anderen, kein Satz, der nicht sinngeladen ist: „Bewohnen wir einen Blitz, so ist er das Herz der Ewigkeit“, „Zum Sprunge gehören, nicht zu dessen Epilog, dem Gelage“, „Beuge dich nur, um zu lieben“. Die Dichtung hat sich in einzelne Sätze zurückgezogen, ist Wind geworden, Sand, Staub: das pulverisierte Gedicht. „Nun hat das Brot den Menschen zu brechen“. Und: „LeieT, enthoben den Schranken des Staubs, Überschuß unseres Herzens“. Einzelne Sätze, gewiß. Aber große Dichtung.

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