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Der neue Rinser-Roman

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Abenteuer der Tugend. Roman. Von Luise Rinser. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 290 Seiten

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Abenteuer der Tugend. Roman. Von Luise Rinser. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 290 Seiten

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Nina, die in diesem Briefroman das „Abenteuer der Tugend““ zu bestehen hat, ist eine Frau um die Mitte der Vierzig, also nicht mehr jung und noch nicht alt und gerade in jenem etwas gefährlichen Alter, das noch einmal zur inneren Unruhe neigt. Das macht sich denn auch sehr bemerkbar. Einerseits lockt noch die Liebe, der Mann, die Welt und das Bedürfnis, sich an etwas zu verlieren und sich hinzugeben, anderseits aber hat sie Angst vor dem Verlust der Freiheit, will sich bewahren, verkriechen und auf das Alter warten. Durch die Umstände aber kommt dann etwas zustande, das man zum voraus als fragwürdig empfindet. Sie läßt sich in eine zweite Ehe verstricken, zögert zwar und wird gewarnt, läßt sich aber überreden und überschätzt ihre Kräfte, um später gestehen zu müssen: „Alles, was ich getan habe, war falsch ... ich hätte Maurice nicht heiraten dürfen.“ Dasselbe sagt sich auch der Leser, aber er sagt es sich früher als Nina, und es gehört nun zu den Peinlichkeiten der Lektüre, daß er etwas voraussieht, das er nicht verhindern kann.

Denn es wird schon in den ersten Briefen deutlich, daß Maurice ein Mann ist, den man nicht heiraten soll. Er gehört zu jenen egozentrischen Naturen, die andere Menschen nur für sich verbrauchen, und außerdem ist er ein erblich schwer belasteter Depressiver, mit dem jedes Zusammenleben zur Qual wird. Er neigt zur Trunksucht und zur Perversion, ist zwar ein „großartiger Künstler und auch ein großartiger Mann“, aber chaotisch und unberechenbar und „lebt das dem Erfolg verfallene Leben eines Schauspielers“. Das wußte Nina, ihr Verhältnis mit Maurice hat ihr nichts mehr verheimlichen können, aber sie glaubte doch stärker zu sein und gehörte zu jenen Frauen, die zwar nicht ihre Energie, aber ihre Möglichkeiten überschätzen und an den Widerständen in den Trotz hineinwachsen. Zudem hat man an ihren Ehrgeiz appelliert und das ist für Nina gefährlich geworden. Sie wußte, daß Maurice sie brauche, unS sie liebte ihn. Sie glaubte auch von Maurice geliebt zu sein, aber sie sah nicht — und das war ihr großes Mißverständnis;M, dieflyuVfnTMJ$Ke iA?*3Ü/ vor derfl Alleinsein war,“ oder, um es' mit Worten Rilkes

zu sagen: er hat sie nur abgenutzt und er hat mit den Kräften und Gegenständen ihres Lebens den immensen Aufwand seines Untergangs betrieben. Nach fünf Jahren war denn auch alles schon zu Ende: Maurice verkam und versank in seine Krankheit, ergab sich dem Trunk und kam dann durch einen Autounfall ums Leben.

Das wird mit robuster Rücksichtslosigkeit gesagt, und es bleibt keineswegs bei Andeutungen. Es kommt zu Krisen und Ausbrüchen und zu Deutlichkeiten, und viele Briefe .sind nur Paraphrasen jenes zweiten an den Psychiater F., in dem es heißt: „War ich bei ihm, so verbrachten wir die Zeit mit herzzerreißenden, mühseligen und unfruchtbaren Gesprächen, bis er schließlich, nachdem er zu seiner bewährten Tröstung gegriffen hatte, für einige Stunden in übertriebene Heiterkeit, ja Selbstsicherheit verfiel, um dann, wenn die Wirkung nachließ, in die wildeste Verzweiflung zu stürzen. Dann überhäufte er mich mit Vorwürfen darüber, daß ich ihn nicht zu retten verstand.“

Gewiß, sie hat es nicht verstanden, ihn zu retten. Es war ihm eben nicht zu helfen, und ihre Ehe wurde ein gefährliches Abenteuer, das mit einem Sturz zu Ende ging. Aber es wurde zu einem Abenteuer der Tugend, denn sie blieb bei Maurice, sie gab ihn nicht auf, und als das auf sie zukam, was sie befürchtet hatte, hielt sie stand, ließ sich verbrauchen und mißbrauchen, lief nicht davon, und aus ihrer Liebe wurde Caritas. Nach dem bitteren Ende aber wachte sie erleichtert auf aus einer Ehe, die wie ein böser Traum gewesen war.

Aber nun zeigte sich: sie hatte ihr Leben hingegeben, um es zu erhalten, denn je mehr die Ehe mit Maurice zur Katastrophe wurde und keine Ehe mehr war, sondern nur noch ein Zusammensein von Quäler und Gequälter, um so mehr gelang es Nina, den verfallenden Sinn ihres Lebens wiederherzustellen und Liebe, die verging, in Liebe zu verwandeln, die unvergänglich werden konnte. In ihrem Debakel stieg Gott in ihr auf, der nie ganz verlorene, aber durch Maurice verstellte. Während der böse Traum zu Ende ging, fand sie zum Glauben zurück,

Das alles ist der Gegenstand und Inhalt vieler Briefe. Das wird in Briefen ausgebreitet, die Nina schrieb an diese und jene, an Freunde und Feinde, und während der eine Bogen sich senkt, steigt der andere empor. Mit Geschick und Wendigkeit werden die Fäden verflochten, und die impulsive Diktion der Nina, die auch die Nerven verlieren kann und deren Temperament es zuläßt, explosiv zu werden, sorgt für Zusammenhang und Spannung. Es liegt zwar in der Natur der einseitigen Korrespondenz, daß man nur der einen Gestalt gewahr wird, während die anderen Gestalten fast nur in Reflexen spürbar werden, aber man wird sich sagen können, es geht auch nur um Nina und um das Abenteuer ihrer Tugend, und Maurice und die anderen sind nur Fermente der Gärung, Agenzien für die Entwicklung, Wirkung und

Bewegung, und damit kann man sich zufrieden geben. Ich bin auf jeden Fall der Meinung, daß dieser Briefroman im Werk der Luise Rinser einen Fortschritt bedeutet und ein Ueber-das-Hinaus, was bisher manchmal sehr fragwürdig gewirkt hat, und zum ersten Mal ist ihr eine in jeder Hinsicht glaubwürdige und in sich geschlossene Gestalt gelungen.

Bert Herzog

*

Kleine deutsche Versschule. Von Wolfgang K a y s e r. Vierte erweiterte Auflage. 124 Seiten. Dalp-Taschenbücher, Band 306. Verlag A. Francke AG., Bern. Preis 2.80 DM.

Georg Philipp Harsdörffer versprach in seinem „Nürnberger Trichter“, die „deutsche Dicht- und Reimkunst in sechs Stunden einzugießen“. Nicht viel mehr als sechs Stunden braucht man, das schmale Bändchen von Wolfgang Kayser zu lesen und sich von ihm in das Wesen des Verses, in die Abschnitte „Von der Zeile“, „Von der Strophe“, „Von der Schicklichkeit der Wörter“, „Vom Reime“ einführen zu lassen. Da aber Kayser weiß, daß man in der Dichtkunst viel lernen kann, nur eines nicht, nämlich die Dichtkunst, wird man sein Bändchen, ob man nun selber verselt, reimt, oder dichtet, mit Gewinn lesen. Für uns Menschen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die wir uns vor allem mit der heute lebendigen Dichtung beschäftigen wollen, ist der Abschnitt „Vom Rhythmus“ von besonderem Wert. Kayser unterscheidet hier zwischen metrischem, fließendem, bauendem, gestautem und strömendem Rhythmus. Vom Rhythmus ist es nur ein Schritt zu Fragen der Sprache und des Stils, und also zur Dichtung. Alle jene aber, die sich für diese Fragen interessieren, kann ich in erster Linie immer nur auf einen Autor verweisen: auf Ezra Pound.

Dr. Wieland Schmied

Liebe und Musik. Gedichte. Von Karl K o b a 1 d. Amalthea-Verlag, Zürich-Leipzig-Wien. 56 Seiten.

Der gleiche Verlag, bei dem die kapitalen musik-und kunstwissenschaftlichen Bücher Karl Kobalds erschienen sind (die Beethoven- und die Schubert-Monographie, „Alt-Wiener Musikstätten“ und „Schloß Schönbrunn“), hat zum 80. Geburtstag des Autors, gewissermaßen als document humain, das vorliegende Gedichtbüchlein herausgegeben. Es sind poetische Nebenprodukte aus der Hand eines kultivierten, feinsinnigen (hier ist das Wort einmal wirklich am Platz), der Tradition und allem Schönen seiner Vaterstadt aufgeschlossenen und in Ehrfurcht ergebenen Wieners. Sturm- und Drangtöne sind nur in den frühesten Stücken zu vernehmen (die Sammlung reicht von 1894 bis 1914); die wichtigsten und typischen von den späteren Gedichten könnte man als „Bildungspoesie“ mit sehr persönlicher Note bezeichnen. Die Themen sind dem Interessen- und Arbeitsgebiet des bekannten Autors und verdienten ehemaligen Kulturbeamten im Unterrichtsministerium entnommen oder benachbart: Musikgedichte über Beethoven (Sonate, Neunte, Totenmaske), Bruckner und Brajims, über Rembrandt, Rudolf von Alt und Waldmüller. Ueber den letzteren liegt eine größere, noch unveröffentlichte Arbeit des Autors vor: das Vermächtnis des inzwischen verstorbenen Forschers und Schriftstellers. — Aus späterer Zeit dürfte wohl das Gedicht „Niels Lyhne“ stammen, das wir als das vollkommenste dieser Sammlung, die ein Zeichen echter Bildungserlebnisse und Herzenskultur' ist, bezeichnen möchten.

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