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SIE WURDE DREIMAL ENTDECKT

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In Cannes wurde sie für ihre darstellerische Leistung in dem Lichtspiel „Morgan — a suitable case for treatment“ (wörtlich: „Morgan — ein geeigneter Fall zur Behandlung“) als „beste Schauspielerin“ ausgezeichnet. Das war die dritte Entdeckung von Vanessa Redgrave. Die Kontinentaleuropäer hinken beträchtlich nach. Auf der Insel, in England, weiß man schon geraume Weile, wessen die gar nicht mehr so junge Dame — sie zählt immerhin 29 Jahre — mimisch fähig ist. Doch die Heimat kennt sich hier besser aus, wenn zuweilen, gerade in diesem Falle wieder, auch sie sich irrt, was zumindest in Presseverlautbarungen geschah.

Die Darstellerin wirkt schon nahezu ein Jahrzehnt, genauer gesagt seit 1957, auf Londoner Bühnen, und zwar mit großem Erfolg, nicht nur vom Publikum, sondern auch von der Kritik geschätzt.

Die blonde Vanessa als „theatralisches Phänomen“ — das war die erste Entdeckung. Ihr Vater hatte daran keinen unmittelbaren Anteil, mochte er, selber aus einer Schauspielerehe stammend, sozusagen im Erbgang der Tochter auch ein gewisses Talent, bestimmte Fähigkeiten vermittelt haben. Es ist jedenfalls anzunehmen. Ganz sicher aber gab er ihr seinen berühmten Namen — ist er doch einer der hervorragendsten Bühnen-, Film- und Femsehdarsteller Englands: Michael Redgrave (beste Leinwandleistung bislang: der Collegelehrer in „The Browning Version“, deutscher Verleihtitel „Konflikt des Herzens“). Und um beim Familiären zu bleiben: Verheiratet ist die Künstlerin mit dem Regisseur Tony Richardson („Bitterer Honig“).

Michael Redgrave hatte in Cambridge studiert, war, bevor er sich der darstellenden Kunst zuwandte, Journalist, Schriftsteller (er verfaßte auch zwei Bühnenstücke), dann Lehrer. Richardson begann als Kritiker, inszenierte dramatische Werke, gehörte zu den „zornigen jungen Männern“ um John Osborne (für dessen Woodfall-Produktion er von Anfang an arbeitete — erste Verfilmung: „Blick zurück im Zorn“). Mit dieser Umgebung ist auch die geistige Welt der Vanessa Redgrave charakterisiert. Sie, intelligent, „intellektuell“, dies sogar mit dem vom Ehemann, von den literarischen Freunden übernommenen pathetischen Überschwang, fühlt sich ebenfalls „engagiert“, „verpflichtet“, dem Sozialen zum Beispiel, wenn nicht gar dem Sozialismus, künstlerisch der Avantgarde, dem Fortschrittlichen in allen Bereichen der schöpferischen Betätigung, mag das auch die filmische „Opart“ sein, in der Art des „Morgan“, der seinerseits mit einjährigem Abstand in der Nachfolge von „Der gewisse Kniff“ des Richard Lester steht.

Die zweite Entdeckung erfolgte einige Wochen vor der Cannoiser „Sensation“, und zwar anläßlich der britischen Premiere des „Morgan“-Streifens. Der Effekt war überraschend: Urplötzlich fanden die Engländer das, was sie schon geraume Weile vermißten: eine eigene „Sexbombe“, eine aus dem Volk kommende Schauspielerin mit den Attributen „schön“, „sexy“, „stimulierend“, „provozierend“ wie auf den Titelseiten der Illustrierten, der Magazine (so urteilte beispielsweise der „Daily Express“). Das war, das ist vielleicht eines der größten Mißverständnisse: ausgerechnet Vanessa, die „Intellektuelle“, sollte, wie ein britischer Kritiker schrieb, eine „Symphonie sexueller Attraktion“ sein? Die Mehrzahl seiner ausländischen Kollegen empfand nicht so. Der Mann (und mit ihm vielleicht eine ganze Nation) ist dem Schein, dem Spiel zum Opfer gefallen. Doch mag dies entschuldigen: In der Kinematographie kommt es in erster Linie auf die Wirkung an, nicht auf das Wesen.

Nun, die Redgrave selbst hat inzwischen dieses „Image“ korrigiert, auf der Bühne, wo sie allabendlich in einer „seriösen“ Rolle, als „Dame von Welt“, fernab von allem „Frou-frou“-Haften erscheint. Antonioni wird ihr in seinem neuen Film wohl ebenfalls ein anderes, das eigene Gesicht geben. Was freilich die Amerikaner tun werden, die demnächst mit ihr „Camelot“' nach dem gleichnamigen Musical zu drehen beabsichtigen, kann im Augenblick noch nicht gesagt werden. Bleibt zu hoffen, daß sie Vanessa als das vorstellen, was sie ist: eine überragende Schauspielerin, die wohl eine „Sexbombe“ darstellen kann, sich jedoch nicht für dauernd in dieses Klischee pressen lassen sollte. Sie hat erheblich mehr darstellerische Möglichkeiten. Und das sollte genutzt werden.

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