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Chance und Dilemma

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Nachdem die ÖVP nach der Wahlniederlage am 6. Mai 1979 endlich er-

I kannt hat, daß sie um eine Strukturreform nicht mehr herumkommt, be-

I steht jetzt dj£.Gefahr, daß man sich zuviel von einer Organisationsreform und dem Zurückdrängen der Bünde verspricht. In der Euphorie der Re-förmdiskussion vor dem ordentlichen Parteitag am 29. Februar und 1. März in Salzburg scheint man nämlich zu übersehen, daß die Straffung des zentralen Parteiapparates und die Verankerung der Finanzhoheit der Bundespartei nicht Selbstzweck sein dürfen, sondern vielmehr als Mittel zum Zweck gesehen werden müssen.

In Wirklichkeit geht es um die Uberwindung des politischen Theoriedefizits der Partei und den Abbau einer berufsständischen Ordnungsphilosophie, die in der Praxis zu dem Mißverständnis führt, „Politik" sei die simple Addition der spezifischen Gruppeninteressen der drei Bünde.

Das eigentliche Problem besteht in dem zu engen Politikverständnis, das auf dem Umweg über die Bündekonstruktion in der Gesamtpartei zum Tragen kommt. Dieses obsolete Politikverständnis zeigt sich nicht nur in der politischen Praxis, es findet auch begrifflich im Organisationsstatut der Partei seine Umschreibung. Hätte sich allerdings die SPÖ im .letzten Jahrzehnt damit begnügt, eine Standesorganisation der Arbeiter zu sein, wäre sie sicher nicht mit mehr als 51 Prozent der Stimmen im Nationalrat vertreten.

Es zeigt sich somit ein Unterschied zwischen SPÖ und ÖVP: Während die SPÖ eine Vielzahl politischer Anliegen transportiert und sich dadurch das Image einer breiten „Volkspartei" erworben hat, ist die ÖVP heute dadurch gehandikapt, daß sie durch ihre Struktur zu sehr als „Interessenvertretung" abgestempelt ist. Nur dann, wenn Strukturveränderungen dazu führen, daß die Partei als Vehikel für ein modernes Politikkonzept fungiert, wird eine Organisationsreform sinnvoll sein.

Die Gefahr, daß eine Reform ohne Gesinnungsänderung nicht die gewünschten Effekte hervorruft, ja, daß eine Statutenänderung überhaupt zur Alibihandlung entartet, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.

Das Schicksal der kleinen Parteireform von 1972 müßte hier als warnendes Beispiel dienen. Bereits darrt nls wurd£ nämlich der zaghafte Versuch gemacht, im Bundesparteiorganisationsstatut (BPOSt) den Primat der Gesamtpartei zu verankern. Es blieb jedoch bei der Proklamation des Vorranges der Gesamtpartei und der Umbenennung der Bünde in „Teilorganisationen".

Erfolgte z. B. früher die Finanzierung der Bundesparteileitung über die Bundesleitungen der Bünde durch 10 Prozent des bündischen Mitgliedsbeitrages - die Höhe des Mitgliedsbeitrages setzte der jeweilige Bund selbst fest - gliedert sich der Mitgliedsbeitrag seit 1972 „in einen Parteibeitrag und in einen Beitrag an jene Teilorganisation, der das Parteimitglied angehört" (BPOSt §37 Abs. 2 a), wobei die Höhe des Parteibeitrages, den die Teilorganisationen pro Mitglied an die Parteiorganisation abzuführen haben, von der Bundesparteileitung festgesetzt wird. Damit sollte die Finanzierung der Bundespartei seit 1972 nur mehr über die Landesparteiorganisationen erfolgen, was letztlich ein Zurückdrängen des bündischen Einflusses bedeutet hätte.

Nur, was nützt die statutenmäßige Kompetenz, daß die Aufteilung dieses Parteibeitrages zwischen Bundes- und Landesorganisation in der von der Bundesparteileitung zu beschließenden Finanz- und Beitragsordnung zu regeln ist, wenn z. B. die Landesparteileitungen von Tirol, Kärnten und dem Burgenland sich seit Jahren einfach weigern, Parteibeiträge an die Bundesparteileitung abzuführen?

Was nützt es anderseits, wenn die Teilorganisationen im BPOSt zwar dazu angehalten werden, „den Vorrang der Gesamtpartei zu wahren und für die Ziele der ÖVP einzutreten" (BPOSt § 4 Abs. 6), aber einzelne Bezirksparteisekretäre in Oberösterreich nicht einmal ihre eigenen Parteimitglieder kennen, weil sich die Bündesekretäre im selben Bezirk ungestraft weigern können, der Gesamtpartei die entsprechenden Informationen über Mitgliedschaften und Mitgliederbewegungen bekanntzugeben?

Wie wichtig es wäre, zuerst Mitglied der Gesamtpartei zu werden und dann erst einer Teilorganisation beizutreten, ist angesichts der Tatsache, daß Landtagsabgeordnete des Bauernbimdes m Tirol glatt abstreiten, ÖVP-Mandatare zu sein, und , Mitglieder dej; Frauenbewegung im Salzburger Flachgau erwiesenermaßen überhaupt nicht wissen, daß es sich bei der österreichischen Frauenbewegung um eine ÖVP-Teilorga-nisation handelt, wohl unbestritten.

Auch das Bekenntnis der ÖVP zum Demokratiepostulat muß auf seinen realen Gehalt überprüft werden. Gemäß BPOSt § 1 Abs. 3 „werden organisatorischer Aufbau und politische Arbeit der ÖVP von demokratischen Prinzipien bestimmt". Formell gesehen versuchten die Landesparteiorganisationen im Verlauf der siebziger Jahre diesem Prinzip Rechnung zu tragen.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Abschaffung des früher auf Landesebene üblichen Parteipräsidiums und die zahlenmäßige Aufblähung derLandesparteivorstände und Landespärteileitungen nur eine Scheindemokratisierung bewirkten, während in Wirklichkeit die Schlagkraft der Partei geschwächt wurde.

Solche Erfahrungen lassen den-Schluß zu, daß der eigentliche Zweck der neuerlichen Reformbemühungen darin bestehen müßte, bei gleichzeitiger Verkleinerung der Führungsgremien deren Legitimationsbasis zu verbreitern. Dies bedeutet jedoch nicht nur Wahl der Spitzenfunktionäre als Personen; es müßten damit auch Politikvorstellungen in der Gesamtpartei zum Tragen kommen, die über die bloße Summe bündischer Sonderinteressen hinausgehen. Denn es ist nicht zuletzt das Image der ÖVP-Spitzen-politiker als Interessenvertreter im Rahmen der Sozialpartnerschaft, das politisch gegen die ÖVP wirkt.

Die wesentlichen Auswirkungen der bündischen Organisation sind somit geistiger Art. Solange das nicht eingesehen und geändert wird, sind die Chancen auf eine Uberwindung der Krise nicht allzu groß und eine Rückkehr an die Macht eher unwahrscheinlich.

Der Autor ist ao. Universitätsprofessor am Senatsinstitut für Politikwissenschaft der Universität Salzburg.

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