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OVP - hopp oder tropp

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OVP-Reform - eine schier unendliche Geschichte. Um sie geht es in der jüngsten Nummer der vom Institut für Wirtschaft und Politik herausgegebenen „Conturen”, die am 13. Februar vorgestellt wurde. Wir bringen Auszüge.

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OVP-Reform - eine schier unendliche Geschichte. Um sie geht es in der jüngsten Nummer der vom Institut für Wirtschaft und Politik herausgegebenen „Conturen”, die am 13. Februar vorgestellt wurde. Wir bringen Auszüge.

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Die ÖVP kann sich mit dem Status einer (größeren) Mittelpartei abfinden. Im (brüchigen) Vertrauen darauf, daß am 7. Oktober bereits die strukturellen „Schmerzgrenzen” erreicht wurden, widmet sich die ÖVP der Bestandserhaltung. Strategisches Ziel ist es, weitere Wählerverluste in Grenzen zu halten und die Partei rund um die 30-Prozent-Marke zu stabilisieren. Solange die SPÖ eine Koalition mit

Von FRITZ PLASSER der ÖVP anderen Regierungsformen vorzieht, erscheint die Regierungsbeteiligung der ÖVP gesichert.

Als Korrektiv des stärkeren Regierungspartners und als Preis für die Bildung einer handlungsfähigen Regierung unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler versteht es die ÖVP, bei Regierungsverhandlungen einen Eintrittspreis zu verhandeln, der ihre faktische Mandatsschwäche durch eine optisch ausbalancierte Ressortverteilung kompensiert. Die ÖVP versucht sich zur „Koalitionsnotwendigkeit” zu stilisieren und begnügt sich mit der Rolle eines Sachwalters der Interessen ihrer traditionellen Wählerklientel.

Von einer Straffung ihrer Organisationsstrukturen erhofft sich die ÖVP eine erhöhte innerparteiliche Disziplin und einen Minimalkonsens, was die Akzeptanz der wichtigsten Arbeitsvorhaben der Regierung betrifft. Innerparteiliche Kritiker werden mit der Option eines Koalitionswechsels nach den nächsten Wahlen vertröstet. Trotzdem bleibt die Koalitionsfrage auf der innerparteilichen Tagesordnung und sorgt für permanente Spannungen.

Scheinbar befreit von der Notwendigkeit, riskante und konfliktträchtige Wechselwählerstrategien zu verfolgen, konzentriert sich die Parteiführung auf den innerparteilichen Macht- und Interessensaus-gleich. Die Partei strebt dem Zustand eines „innerparteilichen Optimismus” entgegen, der dann erreicht ist, wenn offensive Strategien zugunsten eines idyllischen „Wir-Gefühls” organisatorischer Kader-Mentalität und der Fixierung auf Mitglieder- und Klientelinteressen zurückgestellt werden.

Der Preis, den eine Partei wie die ÖVP für eine Strategie der defensiven Bestandshaltung zu entrichten hätte, ist aber beachtlich, da die Selbstbescheidung der Bundespartei zwangsläufig mit den vitalen Machtinteressen jener Bundesländer in Konflikt gerät, in denen die ÖVP als Mehrheitspartei den Landeshauptmann stellt. Denn in diesen Ländern gewinnen dann jene Stimmen verstärkt an Einfluß, die bereits seit Jahren auf eine weitgehende Distanz zur erfolglosen Bundespartei drängen und ihre wahlpolitischen Chancen in einer noch stärkeren Regionalisierung erblicken.

Neben der ausschließlichen Konzentration auf den amtierenden Landeshauptmann durch eine massive Personalisierung der Wahlkämpf e und unverkennbare Absetzbewegungen von der Bundespartei besteht der nächste - und konsequente - Schritt in der selbständigen Kandidatur autonomer ÖVP-Landeslisten, das heißt die faktische Aufsplitterung der ÖVP in einen lockeren Verbund regionaler Listen, bündischer Listengemeinschaften und unabhängiger Personenkomitees.

Eine solche Fragmentierung wäre somit die definitive Destabilisie-rung der ÖVP als strategisches Handlungssystem. So verlockend die Strategie der Selbstbescheidung auch für engstirnige Kaderpolitiker, bündische Kleingeister, regionale Machtpolitiker und innerparteiliche Glücksritter sein mag, realiter wäre sie die Strategie der Selbstaufgabe, der programmierten Spaltung, des unaufhaltsamen Niedergangs einer traditionsreichen Partei.

Die andere Option

Die Zukunft der ÖVP kann somit nur in einer offensiven, wechselwählerorientierten Strategie der Stimmenmaximierung liegen. Eine solche - wenngleich risikoreiche Offensivstrategie hat aber zur Voraussetzung, daß sich die ÖVP der Wettbewerbslogik der Parteienkonkurrenz in den neunziger Jahren anpaßt. Zu vorrangigen Eckpunkten einer kompetitiven Strategie zählen dabei vor allem:

• die personelle Attraktivität der Parteiführung, ihre Fähigkeit, inhaltliche Positionen via Massenmedien wählerwirksam zu artikulieren, das Partei-Image zu modernisieren und innerparteiliche Interessengegensätze durch Autorität und strategischen Weitblick auszugleichen;

• die Kompetenz der Partei bei der Lösung der aus Sicht der Wähler drängendsten Probleme, die inhaltliche Substanz der Politikformulierung, klare thematische Konturen in zentralen Politikfeldern, die Fähigkeit, innovative politische Linien zu erarbeiten und Wechselwählern ein attraktives Gestal-tungs- und Reformangebot zu unterbreiten sowie

• die organisatorischen Ressourcen der Partei, ihre Mobilisierungsfähigkeit und ihre Bereitschaft, engagierten Bürgern abseits der Organisationsroutinen unkonventionelle und informelle Beteiligungschancen anzubieten.

Neben der Entscheidung, mit welchen Personen die ÖVP jene halbe Million Wähler zurückgewinnen will, die sich am 7. Oktober von dieser Partei abgewandt haben, muß die ÖVP auch ihre grundsätzlichen inhaltlichen Positionen auf den Prüfstand stellen. Sollte sich der anstehende Parteitag nur mit der Behandlung des dritten strategischen Faktors - der Organisation -begnügen, sich mit einer salomonischen Lösung des hochstilisierten „Bünde-Problems” nebst technokratischen Mini-Reformen zufrieden geben und die personelle Führungskrise prolongieren, würde die ÖVP ihre letzte Chance aus Risikoscheu, Ideenarmut und falsch verstandenem Harmoniebedürfnis verspielen.

Der bisherige Verlauf der Reformdiskussion deutet eher in Richtung eines pessimistischen Szenarios. Die Verengung der Reformdiskussion auf organisatorische Strukturprobleme und die bewußte Ausblendung der vorrangigen Ursachen der Wahlniederlage - des personellen Erscheinungsbildes, der Themati-sierungsschwächen, der Disziplinlosigkeit und der inferioren Selbstdarstellung der Partei - entspringt eher dem politischen Überlebenskalkül einer verunsicherten Parteiführung als langfristigen Reformüberlegungen. Ebenfalls kontraproduktiv erweist sich das Hochspielen der „Bündeproblematik”. Durch voreilige und unüberlegte Reformankündigungen wurde zur innerparteilichen „Machtprobe” stilisiert, was persönliche Führungsautorität, diplomatisches Geschick, Überzeugungskraft und strategischer Weitblick reibungsloser hätten entschärfen können.

Längst hat die Reformdiskussion eine ungeplante und unkontrollierte Eigendynamik erhalten. Die Bandbreite der Reformüberlegungen reicht dabei von steril-technokratischen Strukturretuschen, regionalen und bündischen Alleingängen bis zu radikalen Vorschlägen in Richtung einer Auflösung und anschließenden Neugründung der ÖVP. Bedingt durch das faktische Führungsvakuum beschleunigen sich nicht nur das Reformkarussell, sondern vor allem die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der ÖVP. Der Ausgang des Reformprozesses ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen ...

Der Autor ist Sozialforscher.

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