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Der Bürger muß der Meister sein

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Bund und Länder halten die Gemeinden am Gängelband. Doch politische Erneuerung in Sachen Demokratie gelingt nur über deren Ursprung: selbstverwaltete Kommunen.

Lange Zeit beschränkte sich die öffentliche Diskussion über Demokratiereform auf den Bereich der Bundesebene (Wahlrechtsreform, Parlamentsreform) und auf Parteien und Verbände. Der Bereich der Gemeindedemokratie kam erst durch das Entstehen von Bürgerinitiativen Ende der sechziger Jahre ins Gespräch.

Im 19. Jahrhundert wurde die Gemeindeselbstverwaltung der archimedische Punkt des Rechtsstaates genannt. Kann man die Gemeinden heute den archimedischen Punkt der Demokratie bezeichnen?

Die Selbstverwaltung der Gemeinden entstand aus einer besonderen historisch-politischen Spannungslage, nämlich aus dem politischen Kampf zwischen Bürgertum und absolutem Monarchen (monarchische Staatsverwaltung versus bürgerliche Selbstverwaltung).

Das Bürgertum fand in der Selbstverwaltung ein Surrogat für die mangelnde Mitwirkung an der zentralen Staatswillensbildung, die lange Zeit der Monarch dominierte. Mehr als die Handelskammern (ebenfalls ein Instrument bürgerlicher Selbstverwaltung) waren die Gemeinden ein Teilersatz demokratischer Willensbildung.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich das Bürgertum im Staat gegenüber dem Monarchen weitgehend durchgesetzt, und das Parlament wurde die wichtigste Einrichtung zur Realisierung politischer Wünsche.

Dadurch ließ das Interesse an der Gemeindeselbstverwaltung nach, die Gemeinden verloren den Charakter „demokratischer Frischzellen“. Im Gegenteil. Sie verwandelten sich oft aus progressiven zu eher konservativen Elementen.

Während die Demokratisierung des Staates (besonders durch die Verbesserung des Wahlrechtes) immer stärker fortschritt, änderte sich bei den Gemeinden nichts.

Dies wurde erst besser, als das Wahlrecht auf Gemeindeebene dem Wahlrecht auf Staatsebene angepaßt wurde (1919). Im übrigen blieb aber im Gemeindeverfassungsrecht alles beim alten.

Auch die Bundesverfassungs-Novelle 1962 über die Gemeinden brachte hinsichtlich der gemeindlichen Selbstverwaltung und der Demokratisierung keinen Fortschritt. Felix Ermacora weist unter anderem darauf hin, daß die Gemeindeverfassungs-Novelle sogar ein Rückschritt gewesen sei, weil sie den Gemeinden die Möglichkeit nähme, selbst frei zu bestimmen und zu verfügen, sondern jeglichen gemeindlichen Selbstverwaltungsakt an die Bundes- bzw. Landesgesetze binde. Im wesentlichen wurde die Selbstverwaltung der Gemeinden der Staatsverwaltung angeglichen.

Im Vorstellungsbild des Bürgers sind die Gemeinden nicht gleichberechtigte Partner zwischen Bund und Land, sondern die unterste Stufe der Hierarchie. Die Kommunalpolitik wird vielfach als Vorstufe oder Ubungs-feld für die „große Politik“ gesehen.

Bund und Länder halten die Gemeinden am föderalistischen Gängelband: die Bundesverfassung bestimmt die Struktur der Gemeindedemokratie. Sie

schreibt vor, welche Organe in einer Gemeinde vorzusehen sind, und sie regelt das Wahlrecht sowie den politischen Proporz im Gemeindevorstand.

Finanziell sind die wenigsten Gemeinden in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen — die Tendenz der Abnahme der Einnahmen aus eigenen Steuern sowie die Zunahme finanzieller Abhängigkeit von Bund und Land prägt sich immer deutlicher aus. Man kann von einer zunehmenden „Verstaatlichung“ der Gemeinden sprechen.

Verschärft wird diese strukturelle Abhängigkeit durch eine politische. Die Gemeinden spiegeln die politischen Verhältnisse von Bund und Land wider. Es geht keine politische Erneuerungsbewegung in Sachen Demokratie von den Gemeinden aus.

Dabei hätte gerade — ausgehend von der Theorie der „Grassroots-Demokratie“, das heißt, von der Uberzeugung, daß Demokratie im Sinne von möglichster Ubereinstimmung von Herrschern und Beherrschten überhaupt nur in kleinen Verbänden praktiziert werden kann — die Gemeinde die Aufgabe, Vorreiter einer Demokratiereformdiskussion zu sein. Nichts dergleichen.

Die politische Willensbildung ist in der Hand der politischen Parteien sowohl im Bund, in den Ländern und in den Gemeinden. Und mehr noch: diese beanspruchen das Monopol politischer Repräsentanz und politischer Entscheidung und dehnen ihren Einfluß weit in gesellschaftliche Bereiche aus.

Ein Rückzug der Bürger von der Politik (Zuschauerdemokratie) und eine politische Resignation, gegen „die da oben“ nichts machen zu können, sind die Folge.

Wer die Protest- und Widerstandsdemokratie aber nicht will, muß der nicht die Erneuerung der parlamentarischen Parteiendemokratie wollen, eine aktive Demokratie, in der die Bürger wieder zu Teilnehmern am politischen Geschehen werden?

Eine Patentlösung dafür gibt es nicht Eine Möglichkeit aber ist sicherlich das Persönlichkeitswahlrecht, in den Gemeinden die Direktwahl des Bürgermeisters.

In Klein- und Mittelgemeinden stehen bei Gemeinderatswahlen ohnehin die Person des Spitzenkandidaten und seine Qualifikation stärker im Vordergrund als der Primat der Partei und der politischen Funktionäre. Man könnte behaupten, daß mental ohnehin bereits der Bürgermeister gewählt wird.

Nun gilt es, dies auch praktisch möglich zu machen, um die persönliche Beziehung zwischen Wähler und Gewähltem wieder stärker in den Vordergrund zu rücken und damit die Skepsis, mit der Bürger Politikern oft gegenüberstehen, wieder ein wenig abzubauen.

Der Autor ist Bundesgeschäftsführer der Kommunalpolitischen Vereinigung der ÖVP und Gemeinderat in Wien.

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