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Der Staat - dein alter Freund und Heifer
Ein neues Schlagwort geht derzeit um in Europa: „Industriepolitik”. Der Staat soli, so wird gefordert, wieder mehr in das Wirt-schaftsgeschehen eingreifen. Er darf sich nicht nur auf die Sicherung eines Ordnungs-rahmens beschranken und das iibrige Gesche-hen dem Markt iiberlassen.
Das klingt irgendwie seltsam. Soeben wurde doch in Europa ein groBer Schritt zur Freisetzung der Marktkrafte getan. Jahrelang war davon die Rede, welch heilsame Auswir-kungen der Europaische Binnenmarkt auf den freien Wettbewerb und damit letztlich auf die Wohlstandsvermehrung haben wurde. Gerade die Industrie hat sich dafiir stark gemacht.
Jetzt, seit 1. Janner 1993, ist er Wirklich-keit, aber die Begeisterung halt sich in Grenzen. Das liegt zum einen daran, daB viele Betriebe Konjunktur- und Strukturprobleme haben und sich jetzt mit massiven Hilferufen an den Staat wenden. Ein Beispiel ist die
Krise der europaischen Stahl- oder auch der Zementindustrie. Verlangt werden Uber-gangshilfen zur Sicherung der Arbeitsplatze oder SchutzmaBnahmen gegen unlauteren Wettbewerb (..Dumping”) aus dem Osten.
Nun erklaren uns die Meinungsmacher von gestern - wie etwa der ehemalige Generalse-kretar der Industriellenvereinigung, Herbert Krejci, in der ..Presse” -, die Zeiten hatten sich halt geandert. Stimmt auch. Es gibt tatsachlich einen Stimmungsumschwung, der die Erwartungen an die Politiker verandert hat. Es verblaBt der Glaube an den Markt, wie kiirzlich „Die Zeit” meinte. ..Reagonomics” und ..Thatcherismus” sind out. In den USA ist Bill Clinton der Prophet dieser neuen Werte (siehe dazu FURCHE 46/1992). Nicht einmal in Osterreich rechtfertigt man seit neuestem den EG-Beitritt mit dem Hinweis auf die langst fallige Modernisierung unserer Wirtschaft. Es ist vielmehr der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit (Busek) im Ver-teidigungssystem der Gemeinschaft.
Sicherheit und Geborgenheit statt Mut zum
Risiko. So ist das mit dem Lebensgefiihl im Wirtschaftsleben. Man wunscht sich wieder einen Freund und Heifer, der einem in der Krise beisteht, den Riicken freihalt, Geld vorstreckt, wenn es brenzlig wird. Der Staat ist wieder gefragt.
Es wird schwierig fiir ihn werden. Die offentliche Hand wird den (Industrie-)Unter-nehmungen sagen miissen, was sie zu erwar-ten haben. Ob es moglich sein wird, Konjunk-turbelebungsprogramme, Modernisierungshil-fen, teure Waffenkaufe im eigenen Land (Peter Pilz) - und was sonst noch alles gefordert wird - zu finanzieren. Die Zeiten sind schlecht. Der Finanzminister muB sich „Bis-zum-geht-nicht-Mehr” anstrengen, um die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten.
Wie war das noch vor einigen Jahren? „Mehr privat, weniger Staat” hieB eine Parole. Ist das jetzt umgekehrt? Hoffentlich vergiBt man nicht, daB der Staat nicht „Vater Staat” sein soil, unter dessen RockschoBe man sich zwar fliichten kann, allerdings mitunter auch um den Preis der Entmundigung.
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