7036919-1989_51_32.jpg
Digital In Arbeit

Die Neunziger

Werbung
Werbung
Werbung

Endlich ist diese stille Zeit vorbei, in der unsere Politiker immer nur besinnlich hineingehorcht haben in die Re-daktionsstübchen des reaktionären Teils der deutschen Presse, um dort den einzigen sehnsüchtigen Weihnachtswunsch aller Deutschen und Deutsch-Deutschen zu erfahren: lieber heuer einen Weihnachts-Brillanten weniger im Nabel der Freundin, aber dafür eine brillante deutschdeutsche Wiedervereinigung und dann soll Berlin wieder der Nabel der Welt sein!

Obwohl der großdeutsche Zug zu wenige einheimische Heizer und zuviele ausländische Bremser hat, wird es ein Jahreswechsel mit einmalig lautem Silvester-Feuerwerk werden - in allen nationalen Farben.

Aber dann wird diese wunderbare Nachtruhe ausbrechen, die wir uns immer schon so sehnlich gewünscht haben. Ab der Neujahrsnacht werden nämlich Tausende von österreichischen Lastwagen in Deutschland und Italien zum Stehen kommen. Die neunziger Jahre beginnen ohne österreichischen LKW-Lärm, ohne österreichische Abgase und ohne österreichische Abnutzung unseres guten deutschen mautfreien Asphalts.

Bei Euch in Österreich wird es nicht ganz so ruhig sein in den Nächten der neunziger Jahre.

Die österreichischen Landeshauptleute werden nämlich aus Entrüstung über das auf ihren Wunsch tatsächlich verfügte Nachtfahrverbot der geschädigten Transportwirtschaft mit zahllosen Ausnahme-Genehmigungen wieder hilfreich unter die Arme greifen. Und bei uns wird man sagen: „Die Österreicher, diese Brüder!“

Die neunziger Jahre werden uns aus dem Osten mehr Brüder und Schwestern bescheren, als uns lieb sein kann. Es wird in den jungen Aufbau-Demokratien des ehemaligen Ostblocks ganze Heere von Arbeitslosen geben, die zu uns herüber drängen, sobald dort die Industrie modernisiert wird. Und erst recht, wenn der Fortschritt der Abrüstung Hunderttausende von überzähligen Soldaten freisetzt. Da die sonst nichts Brauchbares gelernt haben, werden sie von Kriegs-Fachleuten zu Friedenshilfsarbeitern umgeschult werden müssen.

Wenn wir dann das alles geschafft haben - das Vereinte Europa, das vereinigte Deutschland, die Auflösung der Militärblöcke, die Überwindung des Wirtschafts- und Sozialgefälles zwischen Ost und West - dann, ja was machen wir dann? Dann - so um das Jahr 2000 herum -nehmen wir vielleicht einen neuen Anlauf zur bayerischösterreichischen Versöhnung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung