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Gewaltentrennung ein alter Hut?

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„Wir diskutieren heute in demokratischen Institutionen, die vor 200 Jahren ausgedacht wurden. Das System der Gewaltentrennung, der Trennung in Legislative und Exekutive, ist längst überholt.“

Dies sagte Bruno Kreisky bei der unlängst abgehaltenen Podiumsdiskussion des CV. Da dort das eigentliche Thema das Verhältnis von Kirche und Staat war, ist dieses Extempore bedauerlicherweise fast untergegangen.

Es handelt sich hier aber um ein Fundamentalproblem unserer politischen Existenz, weshalb dieses Dik-tum des Bundeskanzlers auf breiter Basis diskutiert werden sollte - umso mehr als das scheinbare Extempore eine durchaus konsolidierte und weit verbreitete Meinung innerhalb der sozialistischen Partei zum Ausdruck gebracht hat.

In unserer innovationsbeflissenen Epoche gibt es kein milderes, aber gleichzeitig tödlicheres Verdikt als dasjenige der Antiquiertheit. Hat die Gewalttrennung tatsächlich dieses Todesurteil verdient? Es ergeben sich folgende Fragen an Bruno Kreisky:

1. Natürlich muß sich jede Institution und jede Idee- auch die Demokratie - weiterentwickeln. Man muß jedoch beim „Fortschreiben“ von obsoleten Faktoren darauf achten, daß nicht das Essentielle tangiert wird. Ist Demokratie ohne Gewaltentrennung möglich, oder schreibt man mit der Gewaltentrennung nicht auch die Demokratie mit fort?

2. Es ist bekannt, daß zwei Konzepte der Demokratie existieren, welche mit den Namen Montesquieu und Rosseau verbunden sind, wobei der erstere die Gewaltentrennung, der letztere die Volonte generale als das essentielle Kriterium ansah. Bisher haben sich aber alle auf der Volonte generale basierenden Systeme - beispielsweise Kommunismus, Anarchismus'und Faschismus - als antidemokratisch oder pseudodemokratisch erwiesen. Wie soll ein auf Gewaltentrennung verzichtendes, auf der Volonte generale basierendes System, welches trotzdem demokratisch bleibt, aussehen?

3. Kreisky kehrt allerdings gern den Pragmatiker hervor. Er wiegelte daher in seinem Vortrag seine fundamentale Feststellung sofort selbst ab, indem er als praktisches Beispiel die komplizierte Sozialgesetzgebung anführt: „Heute braucht man als Gesetzgeber jene Experten, die später diese Gesetze auszuführen haben.“

Richtig. Aber ist dieser Zustand notwendig oder gar wünschenswert? Da ist zunächst anzuführen, daß auch die Experten noch lange keine guten Gesetze produzieren, wie das Faktum, daß das ASVG bereits 32 mal novelliert werden mußte, drastisch beweist. Das gegenwärtige System ist alles andere als ideal und kann daher keineswegs als Argument gegen die Verwaltungstrennung in die Waagschale geworfen werden.

Wünschenswert wäre es vielmehr, daß sich die Abgeordneten weniger auf die Experten verlassen würden,sondern sich selber intensiver mit der Materie auseinandersetzen, dann aber wirklich auch die von ihnen geschaffenen Gesetze verantworten und sich nicht im Nachhinein auf die Experten ausreden würden. Sie hätten dafür zu sorgen, daß wirklich praktikable Gesetze geschaffen werden, die aber dann auch für Jahrzehnte halten und nicht dauernd modifiziert werden müssen. Darüber hinaus müßten sie selbst Direktiven festlegen und sich nicht zu Erfüllungsgehilfen von Expertenprogrammen degradieren lassen.

4. Tatsache ist, daß im modernen Interessengruppen- und Parteienstaat auch ohne formale Verfassungsverletzungen die Gewaltentrennung ad absurdum geführt wird. Aber ist dies begrüßenswert, kann dies wirklich als Fortschritt betrachtet werden? Führt dies nicht einerseits zu einer Ubermacht der Bürokratie, anderseits zu einer Politisierung der gleichen Bürokratie, ja - schlimmer noch - auch der dritten Gewalt, nämlich der Justiz. Der kürzlich erfolgte Rücktritt des

Verfassungsgerichtshofpräsidenten Antonioiii verschaffte - bedauerlicherweise bloß kurzfristig - einem Vorgang Publizität, welcher sich bereits seit Jahren, von der Öffentlichkeit unbemerkt, abspielt - nämlich der allmählichen Umfunktionierung der Gerichtshöfe zu Erfüllungsgehilfen der Politik mit Hilfe allzu lascher Ge-setzesinterp retation.

Bereits vor Jahren widmete ein Parteigenosse Kreiskys, Prof. Klen-ner, dem „Unbehagen in der Demokratie“ ein ganzes Buch. Dieser warf allerdings nicht die sehr berechtigte Frage auf, ob nicht die herrschende Malaise zum großen Teil eine direkte Konsequenz der immer stärker verwischten Gewaltentrennung darstellt, ob nicht des Staatsbürgers zunehmendes Gefühl der Ohnmacht in Wirklichkeit nicht zuletzt auf jene Aushöhlung der Gewaltentrennung zurückzuführen ist, die gegenwärtig als Fortschritt gefeiert wird. Nicht zuletzt dadurch entsteht jene Präponderanz des politischen Willens der Mehrheitsparteien oder der Interessengruppen, der sich der einzelne hilflos ausgeliefert fühlt und die tatsächlich durch die für eine echte Demokratie notwendigen Kontrollinstanzen nicht mehr in Grenzen gehalten wird.

5. Die Berufung auf die Antiquiertheit der demokratischen Institutionen - und da speziell der Gewaltentrennung - ist kein Novum, sondern wird bereits seit langer Zeit betrieben, mit besonderer Vorliebe von Diktatoren. Auch Hitler und Stalin wollten ja angeblich die Demokratie als solche nicht abschaffen, sondern nur „verbessern“. Die Resultate sind bekannt. Glaubt Bruno Kreisky tatsächlich, daß allein durch die demokratische Gesinnung der heute führenden Repräsentanten der Mehrheitspartei auf längere Sicht eine Entwicklung in dieser Richtung nach Eliminierung fundamentaler Prinzipien der Demokratie verhindert werden kann?

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