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Glauben als Willensakt
Hemegger versucht aufzuzeigen, unter Aufarbeitung eines beeindruckend reichen historischen Materials, daß Religion ein Produkt menschlicher Entwicklung ist, der Mensch ist Schöpfer seiner selbst. Im Zuge der Aufklärung bis zur heutigen Entmythologi- sierung wurde der Götterhimmel (die Metaphysik) abgebaut, nun schuf sich der Mensch Ersatzreligionen in Real-Utopien. Doch die Pervertierung solcher Modelle, wie im Kommunismus, führt ebenfalls zur Ernüchterung. Außerdem vermochten sie dem Menschen nicht jene Sicherheit zu geben, die er in der Religion gefunden hatte.
Woher soll er also in Zukunft die Motivation nehmen, Ordnung in sich selbst und in der Gesellschaft zu schaffen und die Grenzsituationen, insbesondere die des Todes bestehen? Die bisherigen (religiösen) Orientierungsversuche waren Selbsttäuschung, er muß sich neue, auf das Diesseits beschränkte Modelle schaffen. Her- negger hofft, daß der Mensch solche finden wird, um seine konstitutionelle Labilität (im Unterschied zum Tier) zu überwinden. Aber er gibt keine Antwort, wie ein solches Modell aus’sehen kann.
Das ehrt ihn als Wissenschaftler. Er weiß, daß er mit Hypothesen arbeitet, die überprüft werden müssen. Er wagt solche Hypothesen in der Frage nach dem Ursprung der Religion aufzustellen, auch mit dem Risiko des Irrtums. Wenn er dem Strukturalismus Ungeschicklichkeit nachweist, weil er seine Methode, die in einem speziellen Fall große Dienste leistet, verallgemeinernd monopolisiert hat, so bleibt Hernegger wohl selbst in der Geschichte stecken. Philosophie des menschlichen Bedürfnisses nach Sinn und Metaphysik hätte sie zu ergänzen, wie es z. B. der von ihm oft zitierte Peter Berger tut in seinen „Spuren der Engel”.
Daß zur Religion freie Entscheidung gehört (was die Scholastik einmal die „certitudo libera” genannt hat) und ein konse quent dazu frei gestaltetes sinnvolles Leben, spricht nicht gegen sie, sondern für sie. Kolakowskis „Gegenwärtigkeit des Mythos” hat das deutlich gezeigt.
DER MENSCH AUF DER SUCHE NACH IDENTITÄT, Kulturanthropologische Studien über Totemismus - Mythos - Religion. Von Rudolf Hemegger. Rudolf Habelt Verlag, Bonn 1978,479 Seiten, öS 314,40.
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