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Im Zwielicht der Auslegung

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Wenn Vatikan-Dokumente zu Problemen der heutigen Zeit einen Sinn haben sollen, müssen sie eine Sprache sprechen, die der moderne Mensch versteht. Gleichzeitig müssen sie aber doch so allgemein gefaßt sein, daß ein Problem in all seinen Facetten und unter unterschiedlichsten Bedingungen angesprochen erscheint. Und damit beginnt die Schwierigkeit des Verstehens und der Interpretation. Der soeben vorgestellte „Weltkatechismus" wird bald in die Zwickmühle der Interpretation geraten. Dafür bedarf es keines Propheten.

Ich erinnere mich noch sehr gut an heftige Diskussionen im Kummer-Institut in Wien über Sozialenzykliken, die richtungweisend von Europa über Afrika bis Lateinamerika und darüber hinaus sein wollten und - trotz bester Absicht - doch nur einen Teil der komplexen Wirklichkeit einfingen. Besonders gegenwärtig sind mir auch die Klagen von Entwicklungspolitikern und -heifern über manche römische Enuntiationen über Befreiungstheologie und Option der Kirche für die Armen: Nicht selten, so klingt die Kritik noch in meinem Gedächtnis, haben sogar Diktatoren mit Genugtuung bemerkt, der Papst oder die entsprechende vatikanische Stelle hätten ihren politischen Kurs abgesegnet.

In Österreich ist dieser Tage ein neues Papier aus dem Vatikan ins Zwielicht der Auslegung geraten. Innenminister Franz Löschnak sieht seine Flüchtlingspolitik durch das Dokument „Flüchtlinge - eine Herausforderung zur Solidarität" bestätigt. Er hat insofern recht, als er sich auf die relativ differenzierte Problemabhandlung in dem Dokument berufen kann. Er liegt völlig daneben, wenn er eine Tendenz, geradezu eine Forderung des Vatikans herausfiltern will, die Flüchtlingspolitik zu verschärfen.

Während aber über die Auslegung eines Vatikan-Dokuments über Flüchtlinge gestritten wird - Sprecher aus dem kirchlichen Bereich: isoliert Löschnak nicht, gebt ihm die Möglichkeit, zum tendenziellen Kern der Aussagen vorzustoßen! - vollzieht sich an Österreichs Südgrenze ein Drama, dem man offenbar mit keinem noch so gut gemeinten Dokument beikommen kann. England will sie nicht, Österreich zahlt wenigstens die Unterkünfte für die bosnischen Flüchtlinge, die aus ihrer Heimat vertrieben, in Slowenien und Kroatien nicht leben können und in Resteuropa unerwünscht sind. Bei aller Differenzierung: Wo Menschsein und Menschenwürde auf dem Spiel stehen, sollte es keines Dokuments bedürfen, um ohne mit der Wimper zu zucken zu helfen.

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