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Gedanken zum Fall K.

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Das kürzlich von einer päpstlichen Kommission gegenüber einem keineswegs davon überraschten Theologen ausgesprochene Lehrverbot, dessen Aufhebung z. T. auch in der Dispositionsmacht des Betroffenen liegt, war für einen Teil der bürgerlich-liberalen Presse ein willkommener Anlaß, sich des im Argumentationskatalog gegen die Kirche stets gut nutzbaren Verweises auf die in der Kirche noch immer bestehende Unfreiheit des Wortes zu bedienen. Dadurch konnte man etwas vom bereits unangenehm gewordenen Charisma des neuen Papstes abbauen.

Daß im gegebenen Fall das „Opfer kirchlicher Inquisition" die Güte haben konnte, seinen Ortsbischof in seiner Wohnung zur Entgegennahme und Interpretation der Anklage zu empfangen und anzuhören, wurde scheinbar als eine Verschärfung des Verfahrens betrachtet. Dabei wurde übersehen, daß ein im Namen der Kirche lehrender Theologe nicht allein ein plaudernder, sondern auch ein prüfender und daher auch ein Noten gebender Theologe ist und vom Gesetz her sein muß.

Die Klassifikation der Kandidaten kann u. U. von der Art abhängen/wie sie die persönlichen Ansichten des Lehrers als eine nur individuell interpretierte Fassung des katholischen Glaubensgutes wiedergeben. Dürfte in Hinkunft jeder Theologe sein eigenes Lehrgut als richtig (und prüfungsreif) erklären, wäre schließlich das Katholische nur mehr eine Sammelbezeichnung von Lehrmeinungen etwa der derzeit 400.000 Priester.

Kirchengeschichte ist in der Interpretation vieler lediglich ein Repertoire von Sünden, von negativen Abweichungen, sei es vom gesunden Menschenverstand, sei es von den Menschenrechten oder von ihren eigenen Normen.

Gerade wer sich der Kirche verbunden fühlt, wird nicht leugnen, daß in den Jahrhunderten ihres Bestandes vieles an Negativa entstanden ist, vor allem dann, wenn die Kirche irgendwo mit weltlicher Herrschaft versippt war. Die Geschichte des Petrusamtes zeigt unverkennbar, daß die Kirche keine Niederlassung von Engeln, sondern eine Mischung des Geistlichen mit dem „Fleischlichen" (H. Fries) ist und unvermeidbar stets sein wird, wenn nicht sein muß.

Um die tradierten Vorurteile zu stabilisieren, werden die Proportionen übersehen und neu gewichtet. Es wird übersehen, daß Langzeit- mit Kurzzeitbiographien identifiziert und in ihrem Ereignis- wie Bedeutungsgewicht gleichgesetzt werden. Dazu kommt noch, daß an der Kirche nur die als „Sünde" klassifizierten Abweichungen festgestellt werden.

Wenn u. a. vom vieldiskutierten Unfehlbarkeitsdogma gesprochen wird, verwechselt man dieses vielfach auch mit eigentlichen Lehrbe-anstandungsverfahren, wie sie auch die Evangelische Kirche kennt (z. B. bei den Pastoren Schulz und Richard Baumann, der die Lehrautorität des Papstes auch für die Evangelischen als verbindlich anerkannt sehen wollte). Das Unfehlbarkeitsdogma wurde lediglich ein einziges Mal (1950) angewendet.

Vielen ist Kirche nur über etwas augenscheinlich, das sie „Skandal" nennen, beileibe nicht etwa über eine Schwester Teresa oder die praktizierte Almosenlehre der Kirche, der die moderne Sozialpolitik die sie begründenden Prinzipien entnimmt; ebenso die sozialistische Ethik, die sich nur dort als Aussagesystem voll entwickeln kann, wo vorher christliches Denken bestanden hat.

Was sind die vorweg als verschwei-gensgeeignet klassifizierten Positi-va, die Kirche und christlichem Denken entstammen, etwa gegen die plötzlich entdeckte „Trinkfreudigkeit" von Priestern und Nonnen (Wiener Pressenachricht vom 28. Dezember 1979), die nun in „dramatischer Weise" zugenommen hat.

Um die Sünden der Kirche nicht in Vergessenheit zu bringen, werden ständig Ausgrabungen vorgenommen, während es bei nichtkirchlichen Einrichtungen an einem angemessen großen Gräberfeld mangelt, wie z. B. bei den meisten der fast 30 Parteien, die nun in Österreich registriert sind.

Bei solchen Sündensuchaktionen findet man sogar für eine jüngst publizierte Inaugurationsrede eines Rektors das bestgeeignete, weil ungemein repräsentative Beispiel des Siger von Brabant (13. Jahrhundert), eines symbolischen Opfers „vatikanischen Terrors", der stets die Fähigkeit des menschlichen Intellekts an der Entfaltung hindert(e). Daß etwa Studenten heute noch in vielen Fächern mit prüfungsgeeigneten profanen Dogmen konfrontiert werden, ist dagegen lediglich ein Gerücht.

Kirche ist eine institutionalisierte Verkündigung von Grundwerten, deren Interpretationen in einzelnen Situationen nicht allein die Aussagequalität von Lehrworten, sondern auch von Ordnungsworten zur Sicherung einer tendenziellen und pädagogisch vertretbaren relativen Einheitlichkeit der Lehre hat. Keineswegs kann man m. E. in den marianischen Dogmen eine unangemessene Vereinheitlichung sehen.

Grundwerte fanden und finden ihre Verkündigung auf verschiedenen Kompetenzebenen, in komplexen Situationen und in weit mehr als 1000 Jahren, in denen man von der Kirche ordnende Hinweise erwarten durfte. Entspricht es da nicht der seit der Aufklärung so viel strapazierten Objektivität, Urteile über die jeweilige Form der Sicherung des Glaubensgutes nicht mit Vor-Urteilen, Beurteilungen nicht mit stereotypen Verurteilungen gleichzusetzen und die Summe der menschlich begründeten und keineswegs zu billigenden Negativa in der Kirche zur Totale ihrer Geschichte zu erklären?

Keineswegs wäre es richtig, der Kirche nicht dann - aus Ehrfurcht -keine Vorhalte zu machen, wenn sie Fehler begeht. Gerade in den ihr vorgehaltenen Fehlern kann die Kirche eine orientierende Widerspiegelung ihres Selbst finden. Anderseits soll nicht die Summe der Fehler einer 1600 Jahre wirkenden Einrichtung ohne Bedachtnahme auf das publizistisch freilich wenig attraktive Gute analysiert und interpretiert werden.

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