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Jetzt wäre eine Geste fällig
Viele Wähler hatten gehofft, der 6. Mai würde den Zwang zur Zusammenarbeit der politischen Parteien bringen. Für diesen Fall hätte eine Koalition auf breiter Basis - große Koalition oder Allparteienregierung - fraglos den Vorzug vor einer Minikoalition genossen. Hauptbegründung für eine solche Regierungsform war der Hinweis auf unpopuläre wirtschaftspolitische Entscheidungen, die es zu treffen gelte.
Es hätte ein noch stärkeres Argument gegeben, das kaum jemand auch nur angedeutet hat: die Notwendigkeit nämlich, wieder einmal allen Gruppen der österreichischen Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich mit ihrer Regierung zu identifizieren.
13 Jahre lang waren jetzt einmal die einen (vier) und einmal die anderen (neun Jahre) an der Macht. 13 Jahre lang konnte sich die Hälfte der Österreicher als Herrschende und mußte sich die andere Hälfte als Beherrschte fühlen. Die Spuren solcher Gefühlsentwicklung sind nicht zu übersehen: Triumph bis Ubermut auf der einen, Niedergeschlagenheit bis blinder Zorn auf der anderen Seite.
Die Entfremdung nimmt zu, der Ton der Auseinandersetzung wird nicht nur im Wahlkampf, sondern auch im Wirtshaus und am Arbeitsplatz härter. Opportunisten drehen ihre Fahnen in den Wind, Idealisten kämpfen verbissen weiter. Da und dort keimt auch der Haß schon wieder auf.
Man müßte den Anfängen wehren. Und man könnte es. Die Regierung könnte es, denn eine solche Stunde verlangt Großmut vor allem von den Starken. Und es muß nicht eine Koalition sein, für die es keine Chance gibt.
Nichts hat das Volk in den letzten Jahren so bitter entzweit wie der Streit um die Abtreibung. Dabei ist zu kurz gekommen, was beide Lager laut eigener Aussage vereint: das Bekenntnis nämlich, daß ein Schwangerschaftsabbruch kein wünschenswertes Mittel der Familienplanung sein kann. Als Ausweg in Not hat ihn die eine Seite akzeptiert, die andere verworfen.
Der Graben zwischen beiden Gruppen könnte entscheidend verengt werden, wenn die Regierung nunmehr den Vorschlag der „Aktion Leben“ auf die Erlassung flankierender Maßnahmen aufgriffe. Drei konkrete Vorschläge wurden dem Bundeskanzler unterbreitet: Pflicht zu statistischer Erfassung aller Abtreibungen (anonym - bei Infektionskrankheiten geht es auch), Trennung von beratendem und abtreibendem Arzt (zuviele Beräter raten derzeit zum eigenen Geschäft) und Abtreibungserlaubnis nur für Fachärzte der Frauenheilkunde und Geburtshilfe.
Das ist kein unbilliges Verlangen, keine sinnwidrige Justamentforde-rung, keine bloß theoretische Moralbefriedigung. Jede dieser Forderungen ist begründet, ist sozial, ist menschlich. Wenn die Regierung dazu nein sagt, wird sie sich Hochmut der Macht vorwerfen lassen müssen. Sagt sie ja, trägt sie in einer kritischen Stunde zur Heilung von Wunden bei.
Die andere Seite - reden wir deutsch: die Kirche - müßte sich freilich mit einer Parallelleistung einstellen, um glaubwürdig zu sein: Sie müßte durch mehr Anstrengungen als bisher beweisen, daß sie die Suche nach menschenwürdigen Methoden der Empfängnisverhütung nicht als kleineres Übel, sondern als drängende Notwendigkeit erkennt.
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