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Psychoanalyse und Justiz

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Das Bedürfnis, frühere wissenschaftliche Studien bequem im Originaltext zu besitzen, hat zu Nachdrucken, zu Neuauflagen geführt und zu Zusammenstellungen einzelner Arbeiten unter einem übergeordneten Gesichtspunkt. Demzufolge hat Y. Spiegel psychoanalytische Interpretationen biblischer Texte herausgegeben und eingeleitet. Der vorliegende Band bietet Probleme der Psychoanalyse und Kriminologie. Der Herausgeber umreißt in seiner Einleitung die Beziehungen von Strai-recht und Psychoanalyse und wirft den Strafjuristen mangelnde Menschenkenntnis vor, falls sie nicht psychoanalytisch ausgebildet wären (3); weist den Vorwurf schrankenloser Exkulpation zurück; betont aber auch, daß empirisch nicht genügend belegte Hypothesen korregiert hätten werden müssen, etwa die Überschätzung der oedipalen Konflikte oder die Vernachlässigung davorliegender Affektstörungen. Th. Reik bietet in Vorlesungen, die er im Lehrinstitut der Wiener psychoanalytischen Vereinigung 1925 gehalten hat, einen Überblick über die Probleme der Psychoanalyse und Kriminologie (unbewußter, sozialer Geständniszwang; Geständniszwang in der Kriminalistik, in Religion,

Mythos, Kunst und Sprache; psychoanalytische Strafrechtstheorie, Entstehung des Gewissens u. a. m.).

Über das Problem von Über-Ich und Gewissen, über deren Identität oder Verschiedenheit hat sich bisher bekanntlich eine umfangreiche Literatur entwickelt; Johannes B. To-rellö und andere haben wesentliche Unterschiede herausgearbeitet.

Die Autoren des zweiten Abschnittes „Der Verbrecher und sein Richter“ F. Alexander und H. Staub bringen zunächst Kasuistik (Verbrechen aus Schuldgefühl, Tötungsversuch eines Neurotischen, seelische Ökonomik des Mordes der Frau Lefebvre, ein besessener Autofahrer), um in einem Anhang allgemeine Probleme zu behandeln. (Einige Bemerkungen zur Psychologie der strafenden Gesellschaft, psychiatrische Beiträge zur Verbrechensverhütung): Strafe als Vergeltung, als Abschreckung, Freiheitsentzug als Zeit für Heilung und Resozialisierung. „Die Nervenheilanstalten bewahren immer noch etwas von ihrem vergangenen Gefängnischarakter, während die modernen Gefängnisse allmählich krankenhaushafte Züge annehmen“ (428). Aber man kann nicht alle drei Strafprinzipien — Vergeltung, Abschreckung und Wiedereingliederung

— zur gleichen Zeit anwenden (432); schließlich heißt es, man müsse „die Strafgefangenen in zwei große Gruppen einteilen: jene, die als unverbesserlich erscheinen und sich jedem psychotherapeutischen Zugang verschließen, und die Gruppe der Besserungsfähigen. Der zweiten Gruppe gegenüber haben wir keine Vergeltung zu üben, sondern eine rein therapeutische Haltung einzunehmen. Die Gruppe der Unverbesserlichen muß von der übrigen Gesellschaft getrennt werden, solange sie eine potentielle Gefahr darstellt“ (433).

Aber scheint der Problemkreis nicht viel komplizierter zu sein? Gibt es doch echte Schuld und ein Recht auf Strafe (J. Klaesi); gibt es Schuld, die trotz psychopathologi-scher Verfaßtheit des Kriminellen nicht exkulpiert werden kann, weil sie außerhalb seiner krankhaften Behinderungen entstanden ist? Sind nicht einzelne psychoanalytische Hypothesen unzureichend, um eine Exkulpation zu begründen (H. J. Weitbrecht)?

GESTÄNDNISZWANG UND

STRAFBEDÜRFNIS. Von Theodor Reik. — DER VERBRECHER UND SEIN RICHTER. Von Franz Alexander und Hugo Staub. Mit einer Einleitung herausgegeben von Tilmann Moser. Suhrkamp Verlag, Frankfurt!Main, 433 Seiten; S 61.60.

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