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Wohlfahrtsstaat -nicht grenzenlos

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Diskussionen um den Wohlfahrtsstaat werden auf verschiedenen Ebenen geführt. Das Europahaus Wien hat versucht, das Verhältnis von Politik und Wissenschaft im Wohlfahrtsstaat zu analysieren und dabei von der Grundsatzfrage auszugehen, ob denn dieser Wohlfahrtsstaat ungemessen weiter expan-' diert oder in“ sich selbst seine Begrenzungen findet. Der bekannte Politikwissenschafter Niklas Luhmann sieht in den wichtigsten Medien des Wohlfahrtsstaates, in „Geld“ und „Recht“ keine „eingebauten“ Begrenzungen. Deutsche und österreichische Erfahrungen scheinen ihm recht zu geben: Ansprüche und noch mehr die Erwartungen breiter Schichten der Bevölkerung an den modernen Wohlfahrtsstaat nehmen ungemessen zu, noch stärker ist der Trend nach immer weiterreichenden gesetzlichen Regelungen der ökonomischen und sozialen Lebens bereiche.

Heute bekennen sich mehr oder minder alle Parteien wie die Sozialpartnerorganisationen zu einem Wohlfahrtsstaat in irgendeiner Form. In der Praxis weichen freilich die Zielvorstellungen nicht unerheblich voneinander ab. Die Diskussionen im Rahmen der Europahaus-Enquete erwecken den Eindruck, daß unterschiedliche Freiheitsvorstellungen eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielen. Wenn der Wiener Philosophieprofessor Hans-Dieter Klein dem Menschen auch im modernen Staat einen „unendlichen

Möglichkeitsraum“ einräumt, „aus dem seine Selbstbestimmung erfolgt“, kann wohl auch die Gleichheit im Wohlfahrtsstaat nur bis zu einem bestimmten Grad als Chancengleichheit verstanden werden. Auf jeden Fall muß ein zu stark expandierender Wohlfahrtsstaat diesen Handlungsund Freiheitsspielraum des einzelnen Staatsbürgers sehr wesentlich einenge11- • .

Können nun wissenschaftliche Beratungsgremien oder kann ganz allgemein die Wissenschaft dem Politiker

Entscheidungshilfen an die Hand geben, die'zu einer sinnvollen Gestaltung des Wohlfahrtsstaates beitragen können? Niklas Luhmann ist hier eher skeptisch., Die Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland sind seiner Meinung nach unterschiedlich, die Möglichkeiten der Wissenschafter in verschiedenen Beratungsgremien sind nicht auf einen Nenner zu bringen. Manche Erfahrungen der letzten Jahre stimmen eher pessimistisch.

Auch in Österreich zeigt sich, daß manche Beratungsgremien wie der in den sechziger Jahren mit großem Enthusiasmus aufgenommene Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen viel von ihrem Elan verloren haben, vor allem aber, daß die „Politik“ in weiten Bereichen wenig von derartigen Gremien hält. Wohl ist es nach wie vor üblich, Wissenschafter bei der Erarbeitung von Programmen und Konzepten aller Art heranzuziehen, in der Praxis aber mag es richtig sein, daß der Einfluß mancher Gremien an Bedeutung verloren hat. Dies mag zum Teil auch die

Schuld der Wissenschaft sein, die nicht immer die Grenzen in der Erstellung von Entscheidungshilfen deutlich genug herausgestellt hat.

Luhmann definiert den Wohlfahrtsstaat als einen Staat, in dem die verschiedenen Ansprüche politisch relevant werden können, wobei diese Ansprüche immer in irgendeiner Weise sich an die öffentliche Hand richten. So sehr formal eine solche Umschreibung sein mag, trifft sie insoferne das

Wesen der Sache, als es eben in die Entscheidungskompetenz der Politik fällt, wie weit derartige latent vorhandene Ansprüche in die politische Auseinandersetzung getragen werden. Hier liegt zweifellos auch eine Chance, allerdings nicht nur der Politiker, sondern auch der sie beratenden Wissenschaft: Die breite Öffentlichkeit über sachliche Zusammenhänge, über die Grenzen der Möglichkeiten etwa einer Volkswirtschaft und der davon abhängigen öffentlichen Budgets aufzuklären.

Gerade diese Rolle gewinnt entscheidende Bedeutung, wenn man den Wohlfahrtsstaat nicht so sehr als Ende, sondern als „Staat der Möglichkeiten und Chancen“ auffaßt. So gesehen nehmen zweifellos die wirtschaftswissenschaftlichen Beratungsaufgaben besondere Bedeutung ein. Immer wichtiger wird aber auch der sozialwissenschaftliche Gesamtzusammenhang, die Aufgabe, das politische System, sein Funktionieren, die Mechanismen der demokratischen Willensbildung einer breiteren Öffentlichkeit möglichst deutlich zu machen und ein Bewußtsein für die Erfordernisse des demokratischen Wohlfahrtsstaates auf der einen und für dessen Kosten auf der anderen Seite zu wecken. Seine Chancen als „Weg zu einer Realisierung besserer Lebensmöglichkeiten“ (Luhmann) können nur im Zusammenhang mit seiner Begrenzung wahrgenommen werden.

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