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Christliche Sozialpolitik

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Der Leitaufsatz der „Furche" vom 22. November 1952, der unter dem Titel „Der gelähmte Flügel“ den Ruf nach verstärkter christlicher Sozialpolitik erhob, hat ein sehr großes Echo in der Leserschaft ausgelöst. Aus der Fülle der bis heute noch täglich einlangenden Zuschriften veröffentlichen wir nachstehend — wegen ihres Umfanges auszugsweise — zwei gewichtige Darstellungen: eines Sozialpolitikers und eines öffentlichen Mandatars, die den ganzen Ernst und die Bedeutung des wohl zur rechten Zeit auf gegriffenen Themas widerspiegeln. „Die österreichische Furche“

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Der Leitaufsatz der „Furche" vom 22. November 1952, der unter dem Titel „Der gelähmte Flügel“ den Ruf nach verstärkter christlicher Sozialpolitik erhob, hat ein sehr großes Echo in der Leserschaft ausgelöst. Aus der Fülle der bis heute noch täglich einlangenden Zuschriften veröffentlichen wir nachstehend — wegen ihres Umfanges auszugsweise — zwei gewichtige Darstellungen: eines Sozialpolitikers und eines öffentlichen Mandatars, die den ganzen Ernst und die Bedeutung des wohl zur rechten Zeit auf gegriffenen Themas widerspiegeln. „Die österreichische Furche“

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Die katholische Sozialpolitik verfügt über eine reiche Tradition und viele gute Kräfte. Und doch ist sie nicht in demselben Ausmaß, in dem sie es einstmals war, eine das Leben unseres Volkes und Staates prägende Kraft. Diese Tatsache, auf die parteipolitische Ebene projiziert, ist das Thema einer Betrachtung, die die „Furche“ kürzlich anstellte. („Der gelähmte Flügel“ in Nr. 47). Es ist ein Thema von überragender Bedeutung, dessen Problematik bereits bei der Begriffsbestimmung des Wortes Sozialpolitik beginnt.

Christliche Sozialpolitik hat sich in viel stärkerem Maße als die „Arbeiterpolitik“ von Anfang an den Blick aufs Ganze bewahrt. Doch ward auch sie in den Bannkreis der sozialen Situation des vergangenen Jahrhunderts-' gezogen. Um so drängender ist die Erkenntnis, daß Sozialpolitik und insbesondere christliche Sozialpolitik nicht bloß in einer Partei und schon gar nicht im — wenn auch linken — Flügel einer Partei lokalisiert sein kann. Daß es hier um Dinge geht, die jeden Rahmen sprengen, weil sie Menschheitsanliegen sind, das haben in einer geradezu erschütternden Weise die Diskussionen der Katholikentage in Wien und Berlin und des evangelischen Kirchentages in Stuttgart zum Ausdruck gebracht. In einem Arbeitskreis, dessen Thema bezeichnenderweise den Wortlaut hatte: „Wem gehört der Be' ieb?" rief auf diesem Kirchentag ein Diskussionsteilnehmer aus dem Osten Deutschlands aus: „Warum helft ihr in Westdeutsch land uns nun nicht, wenn wir zu den Formen der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Umgestaltung in der Sowjetzone nein sagen müssen, durch ein besseres Beispiel?" Und auf dem Deutschen Katholikentag in Berlin wurde die prokiamatorische Forderung erhoben, daß wir für eine Ordnung wirken müssen, „die den Westen und den Osten trägt". Dieser Appell, eine Ordnung zu schaffen oder doch wenigstens in Ansätzen zu entwickeln, die für die ganze Menschheit Geltung hat, trifft uns, die wir in der Uberschneidungszone zweier Weltmächte leben und wirken, ganz besonders.

Der Gang der Geschichte hat uns das Glück zuteil werden lassen, noch einmal vor eine große Aufgabe gestellt zu sein. Wir haben es am unmittelbarsten erfahren, daß der liberale Privatkapitalismus und der sozialistisch - kommunistische Staatskapitalismus keine allgemein gültigen Lösungen der sozialen Problematik zu bieten vermögen. Es wird gesagt, daß es solche allgemeinen Lösungen nicht gibt. Mag sein! Es gibt aber Grundprinzipien einer menschenwürdigen Diesseits- Ordnung, die für alle Völker Geltung haben.

Die Welt, die da in veralteten Systemen erstarrt, dort tastend oder stürmisch nach neuen Formen sucht, verlangt nach Pioniertaten der Sozialpolitik, Und Österreich kann nicht leben, kann nicht zu sich selbst zurückfinden, wenn es sich nicht eine neue Ordnung schafft.

Eine solche Ordnung kann nur auf der Grundlage der christlichen Soziallehre und im Zuge einer Sozialpolitik errichtet werden, die, auf das Ganze gehend, das Ganze, die Gemeinschaft der Stände und Völker, in ihrem Blickfeld hat. Eine solche Sozialpolitik darf nicht Klassenpolitik, sie darf aber auch nicht bloß konservierend sein. Sie darf sich auch nicht scheuen, das schwierigste, aber zentrale ordnungspolitische Problem anzufassen — das Eigentums problem. Es ist heißes

Eisen. Es schließt aber die Probleme der Machtverteilung und des Wohlstandes, der Freiheit und Sicherheit, des sozialen Friedens und der persönlichen Verantwortlichkeit in sich. Es sei — nur um das Problem aufzureißen — darauf hingewiesen, daß gerade die volle Anerkennung des Rechts auf Eigentum uns dazu führt, den besonderen von Eigentum im genauen Sinne des Wortes verschiedenen Charakter des Verfügungsrechts über Mittel gemeinschaftlicher Arbeit zu erkennen.

Das Thema ist, obwohl schon viel Wertvolles dazu gesagt wurde, Neuland.- Dennoch liegt hier der Grundstein einer für die Menschheit gültigen neuen Ordnung. Sie zu bauen, ist uns allen aufgetragen — über Klassengrenzen und Parteiungen hinweg.

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