6754682-1967_42_01.jpg
Digital In Arbeit

Durchbruch zur Normalität

Werbung
Werbung
Werbung

Endlich kann Österreich einein Nationalfeiertag begehen, der frei von vordergründiger Problematik ist. Die leidige Frage der Arbeitsruhe steht endgültig außerhalb der Diskussion, die wenig erbaulichen Auseinandersetzungen über die Berechtigung eines österreichischen Nationalfeiertages liegen hoffentlich für immer hinter uns. Der Durchbruch zur Normalität, zur Selbstverständlichkeit des Nationalfeiertages scheint geglückt. Um so wichtiger ist es, den tieferen Sinn dieses 26. Oktobers herauszustreichen.

Man wird in einer Demokratie nicht einen Tag anordnen können, an dem die übergroße Mehrheit der Österreicher — froh darüber, Österreicher zu sein — sich an den diversen Feiern auf Bundes-, Landes-, Gemeinde- und Fernsehebene beteiligt und, der gesetzlichen Sinngebung des Nationalfeiertages entsprechend, über Österreichs Neutralität meditiert. Man kann ejne'Spön-

taneität patriotischer Begeisterung in einer Demokratie nicht befehlen, nicht manipulieren. Demokratie bedeutet den Verzicht auf derartige Versuche, bedeutet die Einsicht, daß nicht alle für die Demokratie atoti-vierbar sind. Demokratie ist auch hier das Eingeständnis notwendiger politischer Unvollkommenheit.

Der österreichische Nationalfeiertag soll ein Tag des politischen Nachdenkens, der politischen Stand-ortbestimmung sein. Das ist der Auftrag des Gesetzgebers — der 26. Oktober ist der Tag der Beschlußfassung über die immerwährende Neutralität, ein Tag, an dem vor zwölf Jahren die Weichen für ein neues österreichisches Selbstverständnis gestellt wurden. Das ist auch die prinzipielle Funktion eines

nationalen Feiertages in der Demokratie: die politischen Kräfte daran zu erinnern, daß der Pluralismus der Interessen und Ideologien ein einigendes Band, ein Mindestmaß an Integration notwendig macht; daß die auseinanderstrebenden Parteien und Verbände ihre demokratische Aufgabe nur dann erfüllen können, wenn sie eine gemeinsame Wertbasis anerkennen; daß das, was seit 1945 zumindest zwischen den beiden Hauptströmungen des politischen Geschehens in Österreich außer Streit stand, auch in Zukunft nicht bezweifelt, nicht bestritten, nicht gefährdet werden darf: Die Demokratie und Österreich.

Unsere Demokratie hat die Belastungsprobe des 6. März 1966 bestanden. Ein lange Zeit als Tabu behandeltes Regierungssystem wurde fast über Nacht über Bord geworfen, ohne daß der vieLmitierte „innere Friede“ in Frage gestellt worden ist. Doch die. entscheidende Prüfung steht unserer Demokratie noch bevor: Bisher mußte noch nicht der Nachweis erbracht werden, daß die österreichische Demokratie nur dann funktionsfähig ist, wenn die Lage unserer Wirtschaft Anlaß zum Optimismus gibt; bisher blieb es uns erspart, unsere demokratische Reife auch in einer sozialen Kirisensitua-tion beweisen zu müssen. Doch die Schwierigkeiten bei der Erstellung des Budgets für das kommende Jahr beweisen mit aller Deutlichkeit, wie sehr unsere Wirtschaft krisenanfällig ist Ist auch unsere Demokratie krisenanfällig? Haben wir nur eine „Schönwetterdemokratie“, die schweren wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen nicht gewachsen ist?

Diese Überlegungen zeigen nur, daß Demokratie kein patentierter und perfekter Zustand ist, sondern ein permanenter Prozeß, der uns veranlassen muß, die Gegebenheiten unserer Gesellschaftsordnung kritisch zu durchleuchten. Mut zu verantwortungsbewußtem Handeln und Mut zu verantwortungsbewußter Kritik sind die Tugenden, die dieser Prozeß fördern soll. Die Demokrati-

sierung ist vor allem Sache der Parteien, von denen die eine noch immer gerne glaubt, sie wäre kraft höherer Einsicht der exklusive Gralshüter ewiger, unwandelbarer, nicht zu kritisierender Werte; und die andere noch immer schwankt, ob sie sich vom Leitbild einer krampfhaft jede offene innerparteiliche Kritik unterdrückenden „Parteikirche“ lösen soll. Die Demokratisierung Österreichs ist eine Aufgabe,

an die man am 26. Oktober wird denken müssen.

Die österreichische Demokratie benötigt ein ruhiges, selbstsicheres Nationalbewußtsein, das als Bewußtsein der Zusammengehörigkeit ein wesentlicher Faktor des Konsenses, der Übereinstimmung im Grundsätzlichen ist. Nicht immer wind das klar genug erkannt oder klar genug ausgesprochen. Das österreichische Nationalbewußtsein

ist die Absage an die Träume, an den Mythos vom Reich, das über den Wolken schwebt und aille Mühen und Niederungen des politischen Alltags zu nehmen verspricht. Das österreichische Nationalbewußtsein ist aber auch das Versprechen einer geistigen Öffnung, freüich einer Öffnung nach allen Seiten, einer Öffnung, die auch vor den Grenzen Klein- und Großeuropas nicht haltmacht. Ein Nationalbewußtsein, das in der demokratischen Republik eine echte Klarn-merfunktion zu erfüllen hat, das sich der Umwelt nicht verschließt, sondern sich öffnet: Welcher Demokrat, welcher Österreicher könnte diesem gemeinsamen Nenner unserer Demokratie nicht zustimmen?

Der österreichische Nationalfeiertag ist kein Anlaß zur Selbstbeweihräucherung, zur Selbstzufriedenheit, zum Selbstbetrug. Wir können es uns nicht leisten, uns selbst das Retortenspiel einer garantiert krisenfreien Demokratie vorzuspielen. Das Bekenntnis zu einem demokratischen, neutralen und österreichischen Österreich ist nur dann glaubwürdig, wenn wir es nicht als Bestätigung eigener Verdienste auffassen, sondern als Anreiz zur Bewältigung neuer Aufgaben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung