Der frühere un-Generalsekretär Kurt Waldheim zu den Reformvorschlägen seines Nachfolgers Kofi Annan.
Die Furche: Herr Waldheim, wie dringend ist eine Reorganisation der Vereinten Nationen?
Kurt Waldheim: Sie ist sehr dringend. Bei unveränderten, ja zuletzt sogar gestiegenen Erwartungen (Terrorakte, Afghanistan, Irak, Darfur) hat die Weltorganisation realpolitisch zu oft ein Bild der Hilflosigkeit geboten; etwa bei der nachträglichen Sanktionierung ungebilligter Militäraktionen. Die Entscheidungsstrukturen der uno entsprechen nicht mehr den weltpolitischen Realitäten. Gleichzeitig dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben: Mit jeder Änderung des IstZustands öffnet die uno unterschiedlichsten Interessen und Ansprüchen Tür und Tor.
Die Furche: Inwiefern beeinflusst die Kritik an un-Generalsekretär Kofi Annan (Stichwort: Oil for Food-Skandal) die Glaubwürdigkeit der uno als Ganzes?
Waldheim: Ich sehe keinen solchen Zusammenhang. Im übrigen haben die jüngsten Untersuchungen den von mir hoch geschätzten Generalsekretär ja nachdrücklich entlastet.
Die Furche: Die Untersuchungskommission wirft dem Generalsekretär aber weiterhin vor, schwere Defizite in der un-Bürokratie übersehen zu haben - hat insofern Annan zur Präsentation seiner Vorschläge den richtigen Zeitpunkt gewählt?
Waldheim: Die Reformbemühungen laufen ja bereits seit vielen Jahren - und die Zeit drängt. Wahrscheinlich gibt es gegen jeden Zeitpunkt öffentlicher Wortmeldungen dazu auch ein politisches Gegenargument.
Die Furche: Wie sehen Sie Annans Vorschlag: Griff nach den Sternen oder praktikabler Vorschlag?
Waldheim: Es ist der drängende Versuch, die jahrelangen Expertenberatungen zu bündeln und endlich entscheidungsreif zu machen. Mit Sicherheit sind in Annans Vorschlägen die wichtigsten Reformthemen aufgegriffen:
1. die Zukunft des Sicherheitsrates;
2. verbindliche Kriterien zur Sanktionierung militärischer Gewalt;
3. ein global akzeptierter Terrorismus-Begriffs und
4. mehr Solidität für Menschenrechtsurteile im Schoß der uno. Nur: Die bisher aufgezeigten Wege zu diesen vier Zielen scheinen mir in vielen Punkten noch zu unklar oder zu umstritten. Das liegt nicht am Generalsekretär, sondern am Widerspruch der zahllosen Interessen, die sich in der uno bündeln.
Die Furche: Kernpunkt von Annans Reformvorschlag ist eine Änderung in der Zusammensetzung des Sicherheitsrates, dazu hat er zwei Modelle vorgelegt - welches Modell halten Sie für das bessere und warum?
Waldheim: Zunächst: Seit Gründung hat sich die Zahl der uno-Mitglieder vervierfacht und die Machtbalance wesentlich verändert. Die Suche nach einem neuen regionalen Ausgleich durch Erhöhung der Zahl der Sicherheitsrats-Mitglieder von 15 auf 24 ist also sicher vernünftig und notwendig. Gleichzeitig halten beide Vorschläge am Veto-Recht der fünf permanenten Ratsmitglieder (usa, Russland, China, Großbritannien, Frankreich) fest - natürlich im Wissen, dass jede Änderung dieses Privilegs undurchsetzbar ist. Das aber bedeutet, dass jeder dieser fünf Staaten weiterhin das internationale Recht - und damit die Effizienz der uno - wie eine Lampe ein- und ausschalten kann. Angesichts dieser Schwäche scheinen mir die Unterschiede der beiden vorgelegten Varianten doch weit marginaler. Im übrigen: Allein das Zusammenwachsen der eu zeigt, wie sehr die beabsichtigte Reform (etwa durch die Einbeziehung Deutschlands in den Sicherheitsrat) schon wieder diskutierbar ist: Die eu-Staaten Großbritannien und Frankreich mit Veto-Recht, Deutschland ohne? Und warum nicht eine gemeinsame eu-Vertretung?
Die Furche: In jedem Fall wird es in Zukunft eine Drei-KlassenGesellschaft im Rat geben - sehen Sie darin ein Problem?
Waldheim: Natürlich sehe ich darin ein Problem. Aber dieses Problem der machtpolitischen "Klassen-Gesellschaft" entspricht ja auf ebenso realistische wie bedauernswerte Weise dem weltpolitischen Ist-Zustand.
Die Furche: Wird eine nach Annans Modell reformierte uno bei zukünftigen Herausforderungen - so wie der Irak-Krieg oder die Krise in Darfur - besser reagieren können?
Waldheim: Kofi Annans Modell ist ein Modell, das sich jetzt erst dem Test der Realpolitik stellen muss. Als Optimist hoffe ich, dass die Welt an einer effizienteren Weltorganisation ein enormes Interesse haben sollte. Als Praktiker aber weiß ich, dass Mächtige sich nie freiwillig ihrer Macht entäußern. Das galt in einer Welt zweier Supermächte - und das gilt nicht minder in der Phase eines enormen Machtzuwachses der einzig verbliebenen Supermacht.
Die Fragen stellte Wolfgang Machreich.
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