6942881-1983_34_05.jpg
Digital In Arbeit

250 Aktenkisten und eine Vision

19451960198020002020

Wenn morgen Bundesprä-sidentenwahlen wären, hieße der ÖVP-Kandidat Kurt Waldheim, ließ Parteiobmann Mock durchblicken. Aber würde Waldheim da mitspielen?

19451960198020002020

Wenn morgen Bundesprä-sidentenwahlen wären, hieße der ÖVP-Kandidat Kurt Waldheim, ließ Parteiobmann Mock durchblicken. Aber würde Waldheim da mitspielen?

Werbung
Werbung
Werbung

Ja, es ist richtig, der Trend zu bilateraler Diplomatie nimmt seit längerem zu - aber das müßte nicht auf Kosten der Vereinten Nationen gehen. Auch US-Außenminister Henry Kissinger hat bilaterale Politik betrieben - aber als er sah, wie sehr die rasch zusammengestellte UN-Sicherheitstruppe für Sinai und die Golan-höhen diese Politik förderte, hat er immer wieder die Vereinten Nationen einbezogen.

Ja, die UNO ist immer noch besser als jede Alternative, auch wenn der Zug zu nationalen Entscheidungen leider immer stärker wird und eine der Grundvoraussetzungen bei der UN-Gründung — die Annahme, daß die Alliierten des Zweiten Weltkriegs zumindest in Krisensituationen immer Einvernehmen herstellen würden - unrealistisch war: quasi der Strukturfehler der UNO...

Kurt Waldheim, Jahrgang 1918, geistig wie körperlich jünglingsfit, redet sich mit Feuer in hundert Erinnerungen hinein. Das soll ein Pensionist sein? Keine Spur davon ist zu merken, wenn er die Schwächen und Stärken der Organisation erörtert, der er zehn Jahre lang als Generalsekretär vorstand. Also Wehmut und Nostalgie?

„Das eigentlich nicht. Ich denke mit Befriedigung an diese zehn Jahre zurück, die tough waren wie keine anderen, und spüre eher ein Gefühl des relief, der Erleichterung. .."

Tough. Relief. Waldheim würzt seine Darstellungen mit vielen englischen Vokabeln. Auch das zeigt, wie mitten drin er noch immer in seiner früheren Arbeit steckt, die ohnehin eigentlich nicht ganz eine frühere ist: Als Gastprofessor der Georgetown University in Washington kann er auch einen Recherchierstab zur Materialsammlung für sein Buch einsetzen, das im Frühjahr 1984 erscheinen soll — in Englisch, bald darauf (bei Econ) auch in Deutsch.

Es sollen „nicht eigentlich Memoiren werden, sondern eine Darstellung der wichtigsten Weltprobleme zwischen 1972 und 1982". Waldheim diktiert (einmal direkt, einmal via Diktafon, weil er Nachtarbeiter ist) in Englisch, „weil das ganze Archivmaterial englisch abgefaßt ist". 250 Kisten Aktenmaterial, das ihm persönlich gehört, stehen als Gedächtnisstützen zur Verfügung, ehe diese der Osterreichischen Nationalbibliothek vermacht werden.

Warum ist dieser Mann nicht für eine dritte Periode bestellt worden? Womit hat er die Chinesen zu einem Dauerveto gereizt? „Daß das Veto nicht meiner Person galt, hat mich die chinesische Regierung sofort wissen lassen", erinnert sich Waldheim. „Als ich im Mai vergangenen Jahres den Unfall mit der Straßenbahn in Wien hatte, kamen die ersten Blumen ins Spital vom chinesischen Außenminister..."

China wollte nur zum Ausdruck bringen, daß jetzt wieder ein Vertreter der Dritten Welt den „unmöglichsten Job auf Erden" haben sollte. „Freilich hätten sie mir das gleich von Anfang an sagen können. Und außerdem wurde ich gerade von Ländern der Dritten Welt wegen einer Wiederkandidatur bestürmt..."

Auch jetzt hat Kurt Waldheim visionär wieder die Dritte Welt ins Auge gefaßt. Seit einigen Monaten ist er Vorsitzender des „Aktionsrates ehemaliger Regierungschefs für internationale Zusammenarbeit", der eben in der Wiener Canovagasse ein Büro eröffnet hat.

„Wir möchten nicht Berichte schreiben, die in Schreibtischladen verkümmern, sondern aktionsorientiert vorgehen." Das sagen alle. Aber wie?

„Unser Ziel ist es, uns auf vielleicht ein halbes Dutzend brennender Probleme zu konzentrieren und dafür wirklich fundierte Lösungsvorschläge anzubieten" -etwa Verschuldung der Dritten Welt, Währungsreform, Abrüstung, Technologietransfer.

Jeweils einer oder mehrere einstige Regierungschefs, die in dem betreffenden Land besonderes Ansehen genießen, sollen dorthin reisen und Vorschläge überbringen. Klingt gut. Aber warum sollen Ex-Ministerpräsidenten mehr erreichen als die jeweiligen Amtsinhaber? Werden sich diese von den „Ehemaligen" ins Handwerk pfuschen lassen?

„Die Frage liegt nahe. Was für. unsere Überlegungen spricht, ist einfach die Tatsache, daß nichtaktive Politiker die Zeit haben, über die amtierende Regierungschefs nicht verfügen, um ein Problem wirklich gründlich zu studieren und fundierte Vorschläge auszuarbeiten..."

Wenn's g'scheit sind, spielen s' mit. Aber ob ... ? Die (derzeit 25) Aktionswilligen bauen auf große Namen: Helmut Schmidt, Callag-han, Fukuda, Andreotti, Senghor, Manescu: Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten, Ostblock-Leute. Auf der Liste der Eingeladenen, die sich einen Beitritt noch überlegen: Giscard d'Estaing, Bruno Kreisky.

Viele Besuche, Termine Eben zieht ein Attersee-Touristendampfer nahe am Ufer vorbei. Die Passagiere werden erkennbar auf das Landhaus der Waldheims in Nußdorf-Parschal-len aufmerksam gemacht, wo auch im Sommer ein reges Kommen und Gehen von Diplomaten, Politikern, Wirtschaftsmanagern, Familienfreunden herrscht: auch heute, am 39. Hochzeitstag von Kurt und Sissy Waldheim, die trotz gelegentlich einfließender Seufzer („Schon wieder ein Auto vorgefahren?") wohl kaum für ein Trappistenkloster geeignet wären.

Also wieder Präsidentschaftskandidatur 1986? Wer wäre denn als Gegenkandidat mehr willkommen: Minister Kurt Steyrer oder Bürgermeister Leopold Gratz?

„Diese Frage stellt sich nicht, da wir erstens einen ausgezeichneten Bundespräsidenten noch für drei Jahre haben und ich mich außerdem noch nicht entschieden habe, obwohl Mocks Vorschlag mich sehr ehrt..."

Kurt Waldheim, der Diplomat. Aber wenn er so bei Kuchen und Kaffee angeregt davon plaudert, daß man sicher „aus den Erfahrungen der Wahlwerbung 1971 lernen muß und nicht jedes Stamperl, das eine Marketenderin anbietet, trinken darf..."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung