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U THANT / NEUTRALIST OHNE SCHLECHTES GEWISSEN

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Nach dem tragischen Sterben Dag Hammarskjölds, den viele Beobachter für den letzten Europäer im Amt des UNO-Generalsekretärs halten, setzte ein viele Wochen lang dauerndes Interregnum ein. Auch der jetzige Generalsekretär, dessen Besuch in Österreich demnächst erwartet wird, führt sein Amt der Form nach zunächst nur interimistisch bis zum Auslaufen der Amtsperiode seines ermordeten Vorgängers. Aber es erschien zumindest noch vor kurzer Zeit so gut wie ausgemacht, daß U T h a n t auch dann wieder mit dieser kompliziertesten Aufgabe der modernen Diplomatie betraut werden würde. Erst die allerjüngsten Ereignisse — der einer brutalen Vertreibung ähnliche Rückzug der Holländer aus Westneuguinea Und der Versuch des Generalsekretärs, die Kongo-Kaanga-Spannung durch direkte Intervention zugunsten der Zentralregierung zu losen — haben oppositionelle Stimmen gegen seine Amtsführung wieder aufleben lassen, die sich zuvor bereits an diesen stillen buddhistischen Lehrer aus Burma gewöhnt hatten.

U Thant ist, ähnlich wie sein politischer Mentor, der ehemalige burmesische Ministerpräsident U Nu, ein Neutralist. Er faßt dieses, in der polltischen Nomenklatur unserer Breiten mit einer abschätzigen Nebenbedeutung verbundene Wort bestimmt nicht als eine Beleidigung auf. Sein Neutralismus besteht darin, daß er sämtliche Mitgliedstaaten der UNO zunächst einmal als gleichberechtigte Streit- oder Verhandlungspartner ansieht, zwischen denen er kraft seines Amtes ScMichtungsfunktionen auszuüben hat. Die Ursachen der Streitigkeiten interessieren ihn dabei nur sekundär und er lehnt es freundlich aber unmißverständlich ab, den einen Standpunkt von vornherein als gerecht und legitim, den anderen als von Grund auf böse anzusehen. Am deutlichsten hat er seine politische Weltsicht in einer Rede ausgedrückt, die er anläßlich eines Besuches am 25. Mai in Ottawa hielt. Für ihn liegt die letzte Ursache des globalen Ost-West-Konfliktes in der gegenseitigen Angst, die zum alles beherrschenden Trauma geworden ist. Die Sowjets fürchten die Einkreisung und die Amerikaner fürchten den Überfall nach der Art Pearl Harbours.

Eine solche Sehensweise, die ohne weiteres den Kabinettskriegen vergangener Jahrhunderte, ja sogar noch dem Katastrophenbeginn von1914 gerecht werden kann, hat kein Wahrnehmungsfeld für den totalen Ideologiecharakter der gegenwärtigen Politik. Pur den Generalsekretär der UNO gibt es den Mitgliedstaat Sowjetunion, ein abgegrenztes, in seinen Interessen berechenbares Territorium. Aber es gibt den Kommunismus mit seinem Missionsanspruch ebensowenig wie die selbstgewählte Aufgabe der Rechts- und Freiheitsverteidigung, die die Angelsachsen einst den Krieg gegen Hitler führen ließ und die den eigentlichen Impuls der NATO darstellt. Diesem sehr gebildeten und belesenen Gelehrten aus Burma sind Namen wie Hegel, Marx, Lenin wahrscheinlich ebenso geläufig wie die der Ideologen der westlichen Welt. Aber was soll ihm ihr Weltbild, ihre spezifische Art, mit westlicher Aktivität zu handeln, zu gestalten, zu kämpfen, zu organisieren?

U Thant weiß sich geborgen in einer eigenen, jahrtausendealten Überlieferung, deren wichtigster Grundsatz in der Weisheit liegt, daß am Ende „das Weiche das Harte“ besiegt. Die Kritik, die die Westmächte an seiner Amtsführung üben, ist ihm wahrscheinlich ebenso bekannt wie die Tatsache, daß er in den Augen des Ostblocks alles andere als ein Marxist ist. Aber sind das Richterstühle, vor denen sich dieser diskrete Herr aus Asien zu verantworten gewillt ist? Er hat seine eigene Meinung, seine eigene Auffassung von der Lösung der Weltprobleme. Er hat kaum die Absicht, sie irgend jemandem aufzudrängen, aber er ist ebenso wenig bereit, Maßstäbe anderer Kulturen und Sittenlehren als für sich verpflichtend anzusehen.

Er hat acht Berater ernannt, über deren Befugnisse und Stellvertretungsvollmachten lange und fruchtlos debattiert wurde. Einer von ihnen ist Russe, einer Amerikaner, einer Tscheche, einer Franzose, einer stammt aus Brasilien, ein anderer aus Nigeria. Ein Ägypter und ein Inder vervollständigen dieses Team, das sich seine Geschäftsordnung selbst gibt und keine Mehrheitsbeschlüsse faßt. Der Generalsekretär pflegt mit jedem dieser Herren einzeln zu sprechen, jedem aufmerksam zuzuhören und am Ende seine Schritte behutsam selbst zu setzen. Er wird auch bei seinem Besuch in Wien viel mehr hören als sprechen wollen. Ein Sekretär ist kein Weltkaiser und noch weniger ein Welttribun. Hinter ihm steht die Potenz eines kleinen und nicht eben mächtigen asiatischen Landes. Aber er weiß, daß er einen ganz anderen Hintergrund besitzt: den der heutigen und von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat wachsenden Mitgliedermehrheit der Ver-, einten Nationen, für die er ein Treuhänder ist. Einer kompakten Stimmenmajorität, vor der die eigentlichen Westmächte ebenso wie die Staaten des kommunistischen Ostblocks zu immer kleineren Minderheiten werden. Und mit diesem Prinzip der Stimmengleichheit steht und fällt die UNO. Solange diese Institution, der Österreich als kleines Land mit besonderer Überzeugung angehört, besteht, wird sie sich wohl mehr und mehr in Männern vom Schlage U Thants verkörpern.

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