Was ist mit der FPÖ los?

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Die Idee eines Zivilvertrags für FPÖ-Abgeordnete ist eine Seifenblase, die an den Rosenstingl-Dornen zerplatzt.

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Die Idee eines Zivilvertrags für FPÖ-Abgeordnete ist eine Seifenblase, die an den Rosenstingl-Dornen zerplatzt.

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Nicht nur schrumpfen tut den Parteien weh. Schmilzt der Wahlerfolg hinweg, wird regelmäßig die Frage virulent, ob man sich stärker den Stammwählern oder den Wechsel-/Rand-/Gelegenheits-Wählern zuwenden soll. Offensichtlich haben aber auch bei Wahlen erfolgreiche Parteien ihre Wachstumsschmerzen mit anschließenden Identitätskrisen. Diese kommen nicht zuletzt dadurch zustande, daß die Ausfüllung der klassischen Parteienfunktionen Schwierigkeiten bereitet.

Zu diesen zählt unter anderem die Entwicklung einer Parteiprogrammatik, die den inneren Zusammenhalt gewährleisten soll. Diesbezügliche Probleme waren bei der FPÖ im Ansatz an zwei Punkten festzumachen: bei der Mutation von der Pro-EU-Partei zur populistisch opportunen Anti-EU-/Anti-Euro-Partei, und bei der Kehrtwendung von einer Partei, die aus historisch bedingtem antiklerikalem Engagement große Distanz zur katholischen Kirche gezeigt hat, zur Partei, die sich mit Teilen des streitbaren Krenn-Flügels identifizieren wollte. Ersteres führte zur Abspaltung des LIF, letzteres zu innerparteilichen Diskussionen, die freilich von einer breiteren Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden.

Eine zweite klassische Parteifunktion ist die Vertretung von Wählern in Gemeinderäten, Landtagen, Nationalrat. Dabei besteht für eine stark wachsende Partei eine massive Rekrutierungsproblematik. Mandatare können nicht langsam heranwachsen, sich profilieren (positiv ausgedrückt) oder sich bei der - nicht nur von Jörg Haider - verachteten "Ochsentour" bewähren. Sie müssen im wahrsten Sinn des Jägerlateins durch Head-Hunting - statt durch Personality-Finding - ausgewählt werden, werden vom Parteiführer als Trophäe in den Schoß der Partei gebracht, wenn sie zufällig einen erfolgreichen TV-Auftritt absolviert haben (wie die Staatsanwältin Liane Höbinger-Lehrer), vom Wirtshaustisch rekrutiert (dort wurde Peter Rosenstingl entdeckt), oder für einen vom Parteiführer kalkulierten Paukenschlag - mit recht kurzfristigem Medieninteresse im Gefolge - "erfunden" (nach dem Motto "da sage uns noch einmal jemand antisemitische Tendenzen nach, wir kandidieren doch Peter Sichrovsky"). Solche aus dem Hut gezauberten - statt auf der Hut beobachteten - Überraschungskandidaten halten sich oft nicht lang und verabschieden sich still oder lautstark zurück ins mandatslose Leben.

Maßstab seiner Rösselsprung-Überlegungen über die eigene Partei war für Jörg Haider immer das, was er an den "Altparteien" perhorresziert hat: Vor drei Jahren mündete die Negativ-Entdeckung der zuwenig auf Führerwink biegbaren Strukturen der "Alten" und der eigenen Partei in die Umgründung der FPÖ in die F-Bewegung. Das nützte der Anti-Altparteien-Stimmung, war chic, modern und - einfach Jörg. Aber weder das mit Info-Cards (statt Parteibuch) erkaufte Wahlrecht bei der Kür von Bewegungs-Kandidaten, noch die einschlägigen offenen Wahlkonvente hielten, was sie dem Erfinder versprochen hatten: die einfachere Absegnung seines Personal-Willens. Still und leise wurde die FPÖ eineinhalb Jahre später wiedereingeführt - allerdings ohne daß das zu festeren Parteistrukturen geführt hätte. Die Absprünge in Innsbruck (Federspiel), die kurzfristig aufflammenden Debatten im Stammland Kärnten (nicht nur um Alt-Mutter Kriemhild Trattnig, sondern auch jüngst um Karl Grasser), zuletzt die Absetzung von 700 Funktionären und deren anschließende Begnadigung nach vollzogener Selbstkritik sowjetischen Musters in Salzburg legen beredtes Zeugnis von innerparteilichen Turbulenzen ab, die bei allen anderen Parteien als Manifestationen der Selbstauflösung gewertet worden wären.

Der letzte Pendelschlag dieser Gegenbewegung zur Alt-Altpartei besteht im Vorschlag, die Funktionäre per Zivilvertrag an Parteiversprechen vor Wahlen oder eine imaginäre Parteilinie zu binden (näheres wird laut Drittem Nationalratspräsidenten der Vertragstext lehren). Freiheitliche Funktionäre - falls diese wirklich das Risiko eingehen, einen solchen Vertrag zu unterschreiben - würden dann am klügsten daran tun, überhaupt nichts mehr zu sagen. Und bei jeder Äußerung, die ihnen von der Öffentlichkeit abverlangt wird, wäre ihr einzig möglicher Ausweg der schlichte Verweis, sie müßten erst auf die Versprechen oder Versprecher des Parteiführers warten, der immer recht hat. Er ist die Linie, für deren Nachziehen selbst ein Kurvenlineal nicht mehr ausreicht.

Welche Implikationen das für die Zukunft hat, ist schwer abzuschätzen - wie alles, was man über die Zukunft sagt. Realistisch anzunehmen sind nur einige Details: * Auf die Wählermeinung - das deuten bereits erste Daten an - wird die geplante Radikalkur zum Abführen schwer im Parteimagen liegender Skandale keine unmittelbaren Auswirkungen haben. Zu erwarten ist da eher ein langsamer, viel Interpretationsspielraum lassender Sickerprozeß.

* Für die Haider-Partei läßt sich sagen, daß der Meinungspluralismus, der schon bisher in diesem Lager nicht gerade stark ausgeprägt war, weiter abnehmen wird. Menschen auch nur mit ansatzweise fester eigener Meinung werden sich weniger leicht als Funktionäre der F finden lassen.

* Abkommen, die irgendwelche anderen Parteien schließen - ob auf Länderebene oder in Teilorganisationen - werden ohne Zustimmung des F-Parteiobmannes ziemlich sinnlos sein, und daher wird niemand mehr diesen Versuch unternehmen.

* Die Spekulationsfrage, ob die F ohne Jörg Haider mitregierungsfähig sei, wird ihren schon bisher kaum vorhandenen Sinn vollständig verlieren. Das heißt, daß die üblichen Vorwahl-Diskussionen einen fixen Spiel-Bestandteil verlieren.

* Die FPÖ als Gesamtpartei nimmt sich, wenn sie diesen Weg geht, aus dem politischen Spiel wieder ein wenig mehr heraus.

* Daß mit dieser verkrampften Vertragslösung Phänomene wie Rosenstingl nicht an der Wurzel bekämpft werden können, ist auch klar. Der Nationalratsabgeordnete Peter Rosenstingl würde sich ja, selbst wenn er einen einschlägigen Vertrag unterschrieben hätte, nicht freiwillig bei der Partei melden, um ein Pönale zu zahlen wegen Verletzung des Wahlversprechens, sauber, tüchtig, ordentlich zu sein.

In Wirklichkeit ist das ganze doch nur ein Ablenkungsmanöver mit durchaus ernsten Konsequenzen. Die Frage, ob Jörg Haider selbst einen solchen Vertrag unterschreibt, ist noch offen, weil ja jemand auf die Idee kommen könnte, die Durchsichtigkeit der Partei gläsern einzuklagen. Es ist recht deutlich, daß das Feigenblatt, das man auf den Rosenstingl heften wollte, nur eine Seifenblase war, die platzen mußte, weil - wie schon Pamina in Mozarts "Zaubherflöte" weiß - "Rosen(stingl) stets bei Dornen sein".

Der Autor ist Leiter des Marktforschungsinstituts Fessel-GfK.

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