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Gegen die Übertreibungsaszeten

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Der Primat der Liebe. Von August Adam. 6. Auflage. Verlag Butzon und Bercker, Kevelaer.

228 Seiten. Preis 7.60 DM

Ein Buch, von dem nicht viel gelärmt wurde, das aber mit seiner ersten Auflage vielerorts eine erlösende Wirkung brachte. Seine Aufgabe ist durchaus weiter aktuell. — Der Verfasser, Bruder Karl Adams, empfand durchaus- nicht allein ein Arges. Aber er fand auch einen Ausweg, den selbstverständlichsten und nüchternsten, den es für einen Theologen geben kann: im Rückgriff auf den heiligen Thomas. Das Buch wendet sich (und das ohne viel Polemik) mit handfesten, positiven Vorschlägen gegen eine tatsächliche, das heißt wirksame Ueber-treibung des geschlechtlich Sittlichen wie Unsittlichen, die, gut gemeint, die sittliche Erziehung verwirrt. Sprachlich verrät sich die Uebertreibung, daß sie Sittlichkeit mit Keuschheit gleichsetzt. Der Verfasser durchstöberte die aszetische und die Predigtliteratur und kam darauf, daß sich dieses Synonym erst (?) in den letzten Jahrzehnten eingenistet hat. — Die Rettung sieht er in der neuentdeckten (wenn man so sagen darf) Tugendhierarchie des heiligen Thomas. Dieser entspricht dann die parallele Axiologie der Sünde und des Lasters: Je höher eine Tugend steht, desto schwerer ist die ihr entgegengesetzte Sünde. In dieser Ordnung erhält die Keuschheit den ihr zustehenden Rang. Gegen eine Uebertreibungsaszetik, die mit der elementaren Wucht des Geschlechtstriebes die Schwere der Unzuchtssünden begründete, stellt der Verfasser die in jeder Moraltheologie vorfindbaren subjektiven Be-

urteilungsgrundlagen nach dem heiligen Thomas fest. Ein nicht überwundener Manichäismus ist die latente Wurzel dieser Wertung. (Der Verfasser geht diesem Problem auch geschichtlich nach.) „Tatsächlich ist festzustellen, daß trotz aller kirchenamtlichen Entscheidungen gewisse Tendenzen, die einer reinen Vergeistigung das Wort reden und so zu einer Minderwertung des Sinnlichen führen, auch innerhalb der Kirche immer vorhanden sind“ (S. 78), die sich aus gutgemeinten erzieherischen Gründen für die probatere und darum kirchlichere Deutung verstehen.

Daß die Aufklärung im Sinne der klassischen Theologie heute noch mit einem Bedarf rechnen kann, zeigt die hohe Auflage des Buches. Es ist eines der theologischen Gewissenserforschung für Priester, Prediger, Erzieher, Beichtväter und ein echtes Aufklärungsbuch für jeden Laien. Mancher mag staunen, was er hier, schlicht vorgebracht, entdeckt, und am Ende auch heilsam erschrecken, wenn er seine Praxis damit vergleicht.

Univ.-Prof. Dr. Michael P fliegler *

Die Natur des Menschen. Das Bild vom menschlichen Wesen als Grundlage seiner Heilbehandlung. Von Georg S i e g m u n d. Echter Verlag, Würzburg. 167 Seiten.

In einem knappen, aber ungemein inhaltsreichen

Büchlein gibt der Verfasser ein wirkliches „Weltbild der Medizin“ als Grundlage praktischen ärztlichen Handelns. Er geht aus von der Kernfrage nach dem menschlichen Wesen, dem „unbekannten Wesen“ (Carrel), die eine rein positivistische Wissenschaft nicht zu lösen vermag. Die moderne Psychotherapie hat gegenüber dem Positivismus des vergangenen Jahrhunderts die Frage nach Wesen und Sein des Menschen neu aufgeworfen, aber weder Freud noch Jung haben sie „bewältigt“ (p. 54 s.). Eine „Ganz-heits“-Medizin, die nicht mehr als Modeschlagwort ist, die an den Evolutionismus oder Existentialismus gebunden ist, der es an einem klaren Geist-Seele-Begriff fehlt, wird mit diesen Problemen niemals fertig werden und nur an der Peripherie bleiben.

Sie wird nur „meristisch“ vom Teilaspekt erfolgloi zum Ganzen zu streben suchen, wenn sie nicht zu wirklich „holistischer“ Betrachtung gelangt. — Verfasser zeigt die Richtigkeit dieser Gedankengänge an einigen aktuellen Beispielen: Am Kinsey-Report mit seiner rein zoologischen Betrachtung des Menschen, an den Sexualproblemen unserer Zeit und an einer natürlichen Lösung der Eheprobleme, für die er als Beispiel die unverdorbenen Sitten des Hunsa-Volkes in Zentralasien zeigt. Der Verfasser, Professor der Philosophie in Fulda — von Haus aus Theologe, später Biologe und Mediziner —. hat sich bereits durch einige Bücher zur ärztlichen Ethik einen sehr bedeutenden Namen gemacht.

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