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600 Millionen - protestantische und orthodoxe - Christen repräsentiert der Ökumenische Rat der Kirchen, der in Porto Alegre seine Weltversammlung abhielt.

Es ist eine alte Weisheit, dass nur dasjenige in Erinnerung bleibt und zum Antrieb verändernden Handelns wird, was nicht aufhört, weh zu tun. Das gilt auch für die Ökumene, wie es der Zentralausschuss-Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen, der armenische Katholikos Aram I., in seiner Grundsatzrede auf der 9. Vollversammlung des Rates in Porto Alegre festhielt, die unlängst zu Ende ging: "Ich glaube, dass jede Form der Ökumene, die nicht von einem inneren Feuer, einer heiligen Unruhe angetrieben wird, keine Ökumene ist."

Porto Alegre, Kirche, Ökumene? Bei den meisten ruft Porto Alegre eher die Erinnerung an Globalisierungsgegner und attac-Aktivisten beim Weltsozialforum 2005 wach als die Bilder einer Tagung von Kirchenvertretern aus aller Welt. Und doch, entgegen aller medialer Zurückhaltung und Verschwiegenheit: die Tagung der Weltorganisation von protestantischen, orthodoxen und altorientalischen Kirchen (die katholische Kirche hat Beobachterstatus), fand statt - vom 14. bis 23. Februar.

Verhaltenes Medienecho

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was das verhaltene Medienecho auslöste; ob es am wenig reißerischen Titel der Tagung, "In deiner Gnade, Gott, verwandle die Welt", lag, ob es die unprätentiöse Art war, in der große Themen behandelt wurden, ob es die wenig griffige, als Gebet formulierte Schlussbotschaft war, oder ob die Angst mitspielte, angesichts des Karrikaturenstreits durch die Publizität eines christlichen Großereignisses erneut Öl in die weiterhin schwelende Glut zu gießen.

Entscheidend ist vielmehr die Tatsache, dass im brasilianischen Porto Alegre ein Kirche-Sein erprobt wurde, welches hierzulande im gemütlich eingerichteten Nebeneinander der Religionsgemeinschaften, in der "Ökumene der Profile", wie es Bert Groen, Grazer Liturgiewissenschafter und katholischer Beobachter in Porto Alegre, kritisiert, längst stillgestellt scheint; es ist dies ein Kirche-sein für andere aus dem Wissen heraus, dass die weltweit dramatischen Entwicklungen im Umwelt-, Sozial-und Wirtschaftssektor zu neuer Form von Ökumene zwingen: einer Ökumene der Tat, getrieben vom inneren Schmerz der Trennung ebenso wie vom äußeren Handlungsdruck.

Erst unter dieser Perspektive werden auch die Verbindungslinien sichtbar, welche die auf den ersten Blick gegenläufig wirkenden thematischen Säulen zusammenhalten und auf denen die Vollversammlung in diesen zwei Wochen ruhte. Es sind dies: das klassisch-ökumenische Thema der Ekklesiologie, d.h. die Frage nach dem Kirchenverständnis, das Thema Spiritualität und christliche Identität, sowie der große Komplex der sozialen Fragestellungen.

Dass etwas Großes im Gange war, dass "nicht einfach auf Reformen, sondern auf fundamentale Veränderungen" gesetzt wurde, wie es die andere katholische Beobachterin aus Österreich, Studienpräfektin des Internationalen Priesterseminars der Jesuiten in Innsbruck, Brigitte Proksch, attestierte, wurde gleich zu Beginn in den beiden Grundsatzreferate des Vorsitzenden des Rates, Aram I., und seines Generalsekretärs Samuel Kobia deutlich.

So stellte Kobia fest: "Wir können nicht länger Ethik und Ekklesiologie, die Suche nach der Einheit der Kirche und die Einheit der Menschheit voneinander trennen." Es müsse ein "neues Paradigma von Kirchesein füreinander" gesucht werden, "damit die Kirchen fähig werden, der Welt zu helfen." Und Aram I. fügte hinzu, dass die Kirche "nach draußen gehen" müsse, dass sie "keine Festung bleiben" darf und sich von einem "reaktiven hin zum proaktiven Engagement" entwickeln muss.

Neuer Begriff von Ökumene

Was das mit Ökumene zu tun hat? Alles! Es ging in Porto Alegre um nichts geringeres als um die Umsetzung der Erkenntnis, dass Ökumene mehr darstellt als Gemeinschaft, dass Ökumene in die Frage nach der christlichen Identität ebenso hineinreicht, wie in die Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, nach Gewalt und nach dem Sprachverlust der indigenen Völker. Kurz: Es ging um einen neuen Begriff von Ökumene.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es war trotz der beeindruckenden Zahl von über 4000 Teilnehmern und 700 Delegierten aus 348 Mitgliedskirchen kein "Event", kein spirituelles Muskelspiel wie der Weltjugendtag. Es wurde zugehört - meist "säkularen" Experten -, es wurden realpolitische Themen diskutiert, ohne bereits vollmundig vermeintliche Lösungen präsentieren zu können; es wurde miteinander gefeiert und Ökumene als Praxis ausprobiert - auf der Bühne der Plenarsitzungen, wie im Kreis zahlreicher Bibelrunden und Liturgien.

Wurde die letzte Weltkirchen-Versammlung in Harare zum ökumenischen Desaster, insofern der schwelende Konflikt der Orthodoxie mit dem (liberalen) Protestantismus zum Ausbruch kam, so war Porto Alegre - darin sind sich Groen und Proksch einig - von neuem Aufbruchsmut beseelt. Dazu habe sowohl das Konsensprinzip bei Abstimmungen beigetragen, welches die Orthodoxie diskursiv ins Boot holt, als auch ein behutsamerer Umgang mit den unterschiedlichen Vorstellungen von einer gemeinsamen Liturgie.

"Antiliberale" Orthodoxie?

Dass dennoch mit dem Wiener russisch-orthodoxen Bischof Hilarion in Porto Alegre eine kritische Stimme laut wurde, die in einer Stellungnahme zu einer "strategischen Allianz zwischen Orthodoxen und Katholiken" gegen eine "weitere Liberalisierung der protestantischen Kirchen des Nordens" aufrief, hält Groen "für sehr gefährlich" und kontraproduktiv: "Ökumene kann nie in Form einer Koalition gegen einen anderen funktionieren. Sie zielt auf wahre Gemeinschaft und nicht auf strategische Bündnisse."

Freilich, blickt man auf die zunächst wenig griffige Abschlussbotschaft und das für eine Tagung dieser Größe relativ überschaubare Textmaterial, so könnte man - wie es eine deutsche Wochenzeitung getan hat - darin das Zeichen einer "fortbestehenden Krise" erkennen; ebenso kann man die erklärten Arbeitsziele bis zur nächsten Vollversammlung 2013 - ein gemeinsamer Ostertermin, die gegenseitige Anerkennung der Taufe und ein gemeinsames Abendmahl - als Luftschlösser betrachten - allein: diese Einschätzungen verfehlen die Absicht der Versammlung.

So will Porto Alegre nicht als Antwort, sondern als Einladungen zum Weiterarbeiten verstanden werden, als Aufruf, die Augen zu öffnen. Der eigentliche Ertrag wird daher erst sichtbar, wenn die Anschlusskommunikation gelingt und die jeweiligen Landeskirchen diesen Funken einer neuen Ökumene wahr-und aufnehmen und so den oft schulterklopfend-selbstgefälligen und dadurch erlahmenden ökumenischen Umgang neu beflügeln - auch in Österreich.

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