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Brüderlein und Schwesterlein

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Auf dem österreichischen Markt befinden sich seit längerem zwįi Fahrzeuge, die sich fast in der gleichen Preislage bewegen, in ihrem „Charakter” aber dennoch grundlegend voneinander unterscheiden: die französische Renault-Dauphine und der aus Ostdeutschland stammende IFA-Wartburg. Wir können mit Sicherheit annehmen, daß die meisten Leser unserer Motorseite diese beiden Fahrzeuge zumindest vom Sehen her kennen und vielleicht auch schon verschiedenes über diese Fahrzeuge hören konnten. Die Renault-Dauphine ist ein beliebter und erfolgreicher größerer Kleinwagen für vier Personen, der mit einem Vierzylinder-Viertaktmotor ausgerüstet ist, dessen Hubraum 850 ccm beträgt. Die im Heck angeordnete Maschine leistet 27 PS, der Antrieb erfolgt bei diesem • Fahrzeug über die Hinterräder. Der Wartburg hingegen ist raummäßig ein größerer Mittelklassewagen, obwohl er nur fünfsitzig ist. Der Antrieb erfolgt hier durch einen Dreizylinder- Zweitaktmotor bei 37 PS Leistung auf die Vorderräder. Die Dauphine besitzt in der Autowelt einen sehr guten Ruf, während man dies vom Wartburg bisher eigentlich nicht behaupten konnte. Wir hatten erst vor kurzem Gelegenheit, einige tausend Kilometer mit dem französischen Wagen zu fahren, und konnten uns ein sehr klares Bild über diesen sehr gern gekauften und beliebten französischen Wagen machen. Auf der anderen Seite hatten wir vor einigen Jahren aber auch die Möglichkeit, einen Wartburg über 17.000 km, das darauffolgende Modell über 7000 km zu testen, so daß wir auch über dieses Fahrzeug noch vor seiner Verbesserung genau orientiert sind.

Die Renault-Dauphine ist eine temperamentvolle französische Konstruktion, . die ihren Käufer zufriedenstellt. Sie ist ausgereift, und man merkt die Ueberlegung, die bei der Schaffung dieses Fahrzeuges aufgewendet wurde.’ Sicher gibt es wenige Fahrzeuge mit Heckmotor, die über einen wirklich zufriedenstellenden Kofferraum verfügen. Die Dauphine jedoch besitzt einen Gepäcksraum, der für das Reisegepäck von vier Insassen absolut ausreicht. Trotz ihres Heckmotors ist sie aber auch in Straßenlage und Kurvenhaltung gut und weist bei normaler Fahrweise keine augenfällige Ten1 denz zur Uebersteuerung auf. Der relativ kleine 850-ccm-Motor mit seinen 27 PS verleiht dem Fahrzeug ein Temperament, das zu sportlicher Fahrweise geradezu verführt. Wenn die Spitzengeschwindigkeit, die bei etwa 115 km zu suchen ist, auch nicht überwältigend hoch liegt, so ist dies hier nicht so sehr entscheidend, denn die Beschleunigungsfreudigkeit des Motors sowie seine Elastizität bringen auf Ueberlandstrecken sehr schöne Durchschnittswerte, und darauf kommt es ja schließlich bei jeder Autoreise an. Trotz ihrer äußeren optischen Kleinheit finden in der Dauphine bequem vier Erwachsene Platz.

Die vier Türen ermöglichen einen raschen Fahrgastwechsel. Die Instrumentierung des Fahrzeuges ist absolut ausreichend. Außer dem üblichen Kilometerzähler und Geschwindigkeitsmesser weist die Dauphine neben den üblichen Kontrollichtern ein Kühlwasserfernthermometer und eine elektrische Benzinuhr auf. Die Heizung entspricht voll und schafft im Fahrzeuginneren angenehmes Klima in der kalten Jahreszeit.

Was die Fahrleistungen dieser Konstruktion anbelangt, haben wir uns besonders schwierige Strecken ausgesucht, um sie zu erproben. Die größte österreichische Steigung innerhalb einer Straße weist bekanntlich die Turracher Höhe auf. Die Dauphine schafft diese Steigungen von der steileren Kärntner Seite bei voller Besetzung mit vier Personen noch immer mit einer Kraftreserve, und das selbst dann, wenn der Boden durch das Tauwetter aufgeweicht ist, was natürlich einen zusätzlichen Fahrwiderstand bietet. Der Katschberg bot demgemäß überhaupt keine Schwierigkeiten, und Steigungen, wie sie die Radstädter Tauern von beiden Seiten aufweisen, können mit der Dauphine bei voller Besetzung größtenteils mit dem zweiten Gang gefahren werden. Dies, obwohl dieses Fahrzeug ja nur über drei Gänge verfügt (2. und 3. Gang synchronisiert). Die Uebersetzung ist jedoch so ausgelegt, daß sie den vierten Gang nicht vermissen läßt, wenn er auch an sich wünschenswert wäre. Der erste Gang reicht von Null bis etwa 40 km, der zweite Gang bis 80 km und der dritte Gang bis zur erwähnten Spitze von zirka 115 km. Es ist also möglich, mit dem zweiten Gang auch Ueberholmanöver durchzuführen.

Nicht nur im Gebirge zeichnet sich die Dauphine aus. In der Ebene fallen vor allem die Elastizität des Motors und seine Beschleunigungsfreudigkeit angenehm auf. Außerdem weist sie einen niedrigen Verbrauch auf und verträgt noch dazu Normalbenzin, ohne in irgendwelcher Weise darauf zu reagieren. Wir konnten den Verbrauch der Dauphine im Ueberlandverkehr über eine Strecke von Wien—Salzburg, also etwa 300 km, mit 6,5 Liter auf 100 km ermitteln, während er auf Bergstraßen, wie etwa beim Befahren der Radstädter Tauern, der Turracher Höhe und des Katschberges durchschnittlich 7,5 Liter auf 100 km beträgt. Der Stadtverbrauch bewegt sich zwischen 8,5 bis 9 Liter.

Die Dauphine ist also ein Fahrzeug, das sich nicht nur bereits einen großen Freundeskreis schaffen konnte, wie die Produktionszahlen beweisen, sondern sicherlich auch immer wieder neue Freunde gewinnen wird.

Wie steht es nun mit dem IFA-Wartburg? Rein optisch ist das Fahrzeug sehr ansprechend, die Innenraumverhältnisse sind sehr günstig und der Preis niedrig, alles Eigenschaften, die ein Fahrzeug von vornherein interessant machen. Dazu kommt noch eine gewisse Verwandtschaft mit dem an sich sehr beliebten DKW, und zwar bezüglich des 900-ccm-Dreizylinder-Zweitakt- motors mit Frontantrieb.

Nun, wir fuhren, wie erwähnt, zwei Wartburg im Testbetrieb, aber es fiel uns nicht leicht, hier ein Urteil zu fällen, denn auf der einen Seite wies diese Konstruktion ausgesprochene Vorzüge auf, auf der anderen Seite aber erwies sie sich in einigen Details noch un- ausgereift und entsprach nicht dem, was man von einem modernen Wagen erwarten muß, auch wenn er sich durch niedrigen Preis auszeichnet. Der wichtigste Grund, weshalb wir dieses Fahrzeug damals nicht herzhaft bejahen konnten, waren die für heutige Begriffe zu gering dimensionierten Bremsen. Ein weiterer, wenn auch harmloser Mangel war die auf die Dauer Kraft erfordernde Bedienung des Fahrzeuges, das heißt relativ schwer gängige Lenkung und Kupplung. Außerdem war die Geräuschentwicklung des Fahrzeuges nicht ganz so, wie sie wünschenswert gewesen wäre, und bezüglich des Finish störten die nicht allzu gute Lackierung und ähnliches.

Ein Fahrzeug, das grundsätzlich schlecht ist, kann einfach abgelehnt werden, und damit ist die Sache für den Tester abgetan. Der Wartburg jedoch war niemals ein schlechtes Fahrzeug. Er hatte sogar ausgezeichnete Eigenschaften, wie vorzügliche Straßenlage und Kurvenfestigkeit, große Bergfreudigkeit, Temperament und Robustheit. Die sorgfältige Ausstattung sowie die gute Zugänglichkeit des Motors und aller Aggregate waren weitere Vorzüge. Die serienmäßige Beleuchtung des beachtenswert großen Motor- und Kofferraums, besonders günstige Sitz- und Platzverhältnisse, echte Viertürigkeit und gute Sichtverhältnisse waren weitere positive Merkmale dieses an sich etwas zwiespältigen Wagens. Auf der anderen Seite war die serienmäßig vorgesehene Heizung im Sommer leider nie restlos auszuschalten, so daß mitunter eine zusätzliche leichte Erwärmung des Fahrgastraumes stattfand. Hier kann der Tester nur schweigen, will er eine zu Hoffnungen berechtigende Konstruktion nicht von vornherein in ihrer Entwicklung hemmen. Er kann seine Bedenken höchstens dort laut werden lassen, wo die Möglichkeit einer eventuellen Verbesserung aller Nachteile eines Fahrzeuges gegeben war.

Vor kurzer Zeit wurden nun die Generalvertretung sowie das Service des IFA-Wartburg einer Tochtergesellschaft der Firma Graf & Stift übertragen, und scheinbar geschah das nicht durch Zufall, denn das letzte Modell des Wartburg hat sich, wie verlautet, in allen jenen Punkten, die wir seinerzeit als änderungsbedürftig verzeichneten, geändert. Die Bremsen sind neu konstruiert und wesentlich größer geworden. Heute passen sie sicher zur Größe des Wagens und werden damit den Verkehrsbedingungen gerecht. Das Vierganggetriebe ist nunmehr synchronisiert, obwohl dies von uns nie als erforderlich empfunden wurde, denn der Wartburg ließ sich stets angenehm schalten. Einige konstruktive Verbesserungen in der Kraftübertragung sind weitere Merkmale des neuen Wartburg-Modells. Aber auch die Details haben seither Verbesserungen erfahren. So weist das Fahrzeug heute einen einwandfreien Lack auf, der ebenso gut ist wie der aller anderen auf dem Markt befindlichen Automobile. Die Bedienungseinrichtungen wurden leichtgängiger. Damit stellt sich der Wartburg heute als ein preisgünstiger Wagen dar, der trotz des 900-ccm-Motors zur Mittelklasse gezählt werden muß. Auf Grund der uns zur Verfügung stehenden Unterlagen ist zu erkennen, daß dieser einst problematische Wagen heute seine Kinderkrankheiten überwunden haben dürfte, dessen gute Eigenschaften, die immer schon vorhanden waren, durch die verbesserungsbedürftigen Mängel nicht mehr überschattet werden. Aller Voraussicht nach wird es uns in absehbarer Zeit möglich sein, uns von der Verkehrstüchtigkeit des letzten Wartburg-Modells persönlich zu überzeugen, worauf wir nicht versäumen werden, an dieser Stelle über unsere Eindrücke zu berichten.

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