Escargot Schneckengericht Essen - © Foto: iStock/LauriPatterson

Paleodiät: Gourmets der Steinzeit

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Die Paleodiät ist im Visier der Forschung – und zählt mittlerweile auch zu den aktuellen Ernährungstrends: Sie setzt auf Bioqualität und orientiert sich an den Essgewohnheiten der urzeitlichen Jäger und Sammler. Was ist davon zu halten?

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Die Paleodiät ist im Visier der Forschung – und zählt mittlerweile auch zu den aktuellen Ernährungstrends: Sie setzt auf Bioqualität und orientiert sich an den Essgewohnheiten der urzeitlichen Jäger und Sammler. Was ist davon zu halten?

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Wer als kulinarisch abenteuerlustiger Mensch in Frankreich war, hat dort vielleicht schon einmal Landschnecken probiert. Diese gibt es typischerweise gekocht und mit Knoblauchbutter: So gelten sie als große Delikatesse. Wie lange gibt es diese Spezialität schon? Wie es scheint, schon seit 170.000 Jahren (!). Das Schneckenessen stammt auch nicht ursprünglich aus Frankreich. In einer aktuellen Studie beschreiben Marine Wojcieszak und ihre Kollegen von der Universität Witwatersrand in Südafrika, wie sie die Überreste von Landschnecken gefunden haben, die in der Jungsteinzeit gekocht wurden.

Man kann getrost annehmen, dass den Menschen der Altsteinzeit der Geschmack ihres Abendessens ein genauso großes Anliegen war wie den modernen Feinschmeckern.

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Die „Border Cave“, in der diese Schneckenreste gefunden wurden, liegt im Nordosten von Südafrika, Richtung Mozambique, auf einer Meereshöhe von 600 Metern. Dort wird seit Jahrzehnten intensiv archäologisch geforscht, und die Wissenschafter haben u. a. eine große Anzahl von Schneckenschalenfragmenten gefunden. Wie weiß man aber, ob diese Schnecken von den Steinzeitmenschen gekocht wurden oder ob sie dort nur hingekrochen sind, um sich eventuell an den Essensresten der Höhlenbewohner satt zu fressen? Da kommt die Experimentelle Archäologie ins Spiel: Die Forscher(innen) haben ausprobiert, was mit den Schalen passiert, wenn man Schnecken kocht. Zuerst einmal verfärben sich diese – genau so, wie das bei den steinzeitlichen Schneckenschalen beobachtet wurde.

Hilfe beim Abnehmen

Die Forscher(innen) verwendeten auch Infrarot- und Raman-Spektroskopie sowie Elektronenmikroskopie, um ihre erhitzten Schneckenschalen mit den steinzeitlichen zu vergleichen. Diese Schalen bestehen aus Kalziumcarbonat, welches in unterschiedlichen Kristallstrukturen vorkommen kann: Aragonit und Kalzit. Die Schalen lebender Schnecken bestehen aus Aragonit, das sich aber bei großer Hitze in Kalzit umwandelt. Auch in den Schneckenschalen im steinzeitlichen Abfall fanden die Forscher Kalzit: ein weiterer Hinweis darauf, dass diese gekocht wurden.

Ähnliche Schnecken werden auch heute noch im südlichen Afrika gegessen. Interessantes Detail am Rande: Genauso wie die Menschheit haben es einige Arten der Landschnecken (achatinidae), die damals im Süden Afrikas gekocht wurden, geschafft, sich weltweit auszubreiten.

Die Erkenntnis, dass Menschen schon seit 170.000 Jahren solch exotisch anmutende Spezialitäten verspeisen, ist im Zusammenhang mit der beliebten Paleodiät interessant. Das Prinzip dieser Diät ist es, nur Nahrungsmittel zu essen, die schon in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum, verspeist wurden. So soll sichergestellt werden, dass wir uns artgerecht ernähren. Somit vermeiden die Anhänger der Paleodiät nicht nur prozessierte Lebensmittel wie etwa Tiefkühlpizza, sondern auch jede Art von landwirtschaftlich angebauten Pflanzen wie Weizen, Mais oder Hülsenfrüchte. Denn die Landwirtschaft wurde ja auch erst in der Jungsteinzeit erfunden.

Was ist davon zu halten? Zunächst ist es sympathisch, dass hier eine evolutionäre Sichtweise in das Alltagsleben einfließt. Sinnvoll ist auch, über die eigene Ernährung zu reflektieren. Eine Reduktion von prozessierten Kohlehydraten wie Zucker und Mehl kann im Rahmen einer solchen Paleodiät sicher gesund sein und beim Abnehmen helfen. Allerdings sollte der oder die „Paleoesser(in)“ zwei Dinge nicht vergessen: Die altsteinzeitlichen Schneckenreste zeigen einmal mehr, wie divers die Ernährung in der Altsteinzeit war. Menschen waren immer schon flexibel und abenteuerlustig, besonders wenn es um kulinarische Genüsse geht. Die einstigen Bewohner der „Border Cave“ waren anatomisch moderne Menschen, die – im Falle, sie hätten T-Shirt und Jogginghosen an – nicht von Zeitgenossen im 21. Jahrhundert zu unterscheiden wären. Man kann also getrost annehmen, dass ihnen der interessante Geschmack ihres Abendessens genauso ein Anliegen war wie den französischen Gourmets im Jahre 2023. Auch angesichts der großen Bandbreite der in der Natur verfügbaren essbaren Pflanzen und Tiere war die Paleodiät alles andere als „monolithisch“.

Wandel der Enzyme

Andererseits ist die menschliche Evolution seit der Altsteinzeit nicht stehengeblieben. Die letzten 10.000 Jahre hat ein großer Teil der Menschheit landwirtschaftliche Produkte konsumiert, und im Jahre 2023 lebt nur ein verschwindend kleiner Teil der Menschheit als Jäger und Sammler in entlegenen Urwaldregionen. Die meisten Menschen konsumieren Getreide und Milchprodukte. In Europa, Afrika und Ostasien sind mehrmals und unabhängig voneinander Mutationen im menschlichen Erbmaterial aufgetreten, die es Erwachsenen erlauben, Milchzucker aus der Kuhmilch zu verdauen. Durch diese Mutationen produzieren wir Enzyme (also Proteine, welche die Laktose verdauen), die es bei Erwachsenen in der Altsteinzeit nicht gab. Warum also sollte man genauso wie ein altsteinzeitlicher Mensch essen, wenn man andere Enzyme im Darm mit sich herumträgt als unsere Vorfahren?

Der Autor ist Biologe, populärwissenschaftlicher Autor und Naturfotograf. Er lebt zurzeit auf den Philippinen.

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