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Die Erstellung des staatlichen Haushaltplanes ist das ursprünglichste und wichtigste Recht des Parlaments, „Ohne Kreuzer keine Schweizer“ — für jedes Ressort der Staatsverwaltung hängt die Leistungsfähigkeit zum guten, Teil von der Höht der ihm vom Parlament bewilligten Gelder ab. An der angemessenen Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel hat sich das reife volkswirtschaftliche und soziale Verstand- nis einer Volksvertretung zu bewähren.

Von mehr als einem Gesichtspunkt aus mußte es aufschlußreich sein, wie sich die erste Budgetberatung in dem Volkshause der zweiten österreichischen Republik gestalten werde. In dieser Volksvertretung fehlen, bis auf wenige, die alten Routiniers des parlamentarischen Parketts, die erfahrenen Kenner der Staatsverwaltung. Nicht einmal die außerordentliche Umwandlung, die 1907 die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts der Zusammensetzung der Volksvertretung mit dem Einzug vieler „neuer Männer“ gebracht hatte, kann mit jener verglichen werden, die gegenüber seinen Vorgängern das jetzige Parlament aufweist. Im totalitären Staat des Nazismus gab es keine Schule für das öffentliche Leben, nicht einmal eine Presse, die dafür Interesse hätte einflößen können. Der Staatshaushalt war ein streng gehütetes Geheimnis. Offene Aussprache über staatliche Angelegenheiten, auch nur in kleinem Kreise, war' lebensgefährlich. Konnte diese Lücke in der öffentlichen Erziehung ohne Spuren bleiben? Es ist durchaus erklärlich, d;iß die abgeschlossene Budgetberatung, im Plenum von Präsident Kunschak mit bewährtem Geschick gesteuert, mit gewissen Unterschieden bei allen Parteien einen Mangel an gewiegten Sachkennern und Debattefn erkennen ließ. Daran ändern auch die größten Lobsprüche nichts, die einzelne Blätter — selbstverständlich nur an ihren parteipolitischen Freundeskreis — verteilen. Wären die wenigen alten politischen Kapitäne von links und rechts nicht zur Stelle gewesen, so wären die Beratungen arg verflacht. In früheren Zeiten pflegte ein in politischen Vereinigungen und Gewerkschaften geschulter Nachwuchs unter de neuen Abgeordneten sich bemerkbar zu machen — aber auch dafür hatten die Voraussetzungen gefehlt. Um so erfreulicher ist es, daß trotzdem aus der großen Zahl der Neophyter des Parlaments erkennbar einzelne ungewöhnliche Begabungen hervorragen, die zu großen Hoffnungen berechtigen. Mehr Nichtwiener als Wiener, wenn man die Wahrheit feststellen will.

Soweit sich Mängel an politischer Schulung, guter Sachkenntnis und Erfahrung gezeigt haben, wurden sie durch einen zweiten Mißstand zwar zugedeckt, aber eher schlechter als besser gemacht. Vor allem bei der Budgetberatung ist das Staatsvolk zur geistigen Teilnahme und Kontrolle an der parlamentarischen Arbeit aufgerufen. Jede Post des Staatshaushaltes hat enge reale Beziehungen zu den Lebensbedingungen der Bevölkerung. Aber die gegenwärtige Z e i t u n g s-berichterstattung über diesen wichtigen Sektor öffentlicher Interessen ist, gehemmt' durch die Papiernot, keine zureichende Informationsquelle der Bevölkerung. Einzelne Zeitungen helfen sich damit, daß sie zwar die Redner aller der ihrer Parteirichtung angehörende Abgeordneten mehr oder weniger ausführlich wiedergeben, jedoch über die Stellungnahme anderer ihr Schweigen breiter, la nicht einmal die Existenz anderer Redner zur Debatte — und wäre es auch in bedeutungsvollsten Angelegenheiten — verraten. Würde nicht der Raummangel und der verständliche Wunsch, die eigenen Lichter leuchten zu lassen, eine gewisse Entschuldigung bieten, so würde diese Fehlleitung des Urteils und der notwendigen V o 1 k s k o n t r o 11 e gegenüber dem Parlamente eine sehr scharfe Charakteristik berechtigen.

Sei es, wie es sei — der jetzige Zustand taugt für eine gesunde Entwicklung des parlamentärischen Lebens nicht. Das Land ist überschwemmt mit reichlich unwichtigen Presseprodukten. Hier müßte auch oiehr Bewegungsraum für eine Presse übrig sein, deren die österreichische Demokratie zu ihrer Sinnerfüllung bedarf. Solange dies nicht möglich sein sollte, wäre zu wünschen, daß vor der Bedeutung wichtiger Parla-nientsberatüngen und dem Erfordernis einer ausreichenden Berichterstattung andere Gebiete zurücktreten.

Ein Parlament ohne lebendige Fühlung mit dem Volke und seiner freien Meinungsbildung ist ein demokratisches Unding.

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