6574016-1950_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Gesetz und Ordnung

Werbung
Werbung
Werbung

D e rn p f unterscheidet sieben Epochen, die sich aus seiner sozialphilosophischen Untersuchung der Weltgeschichte ergeben (aus deren Einsichten heraus er den „neuen Mythos eines heranbrechenden vierten Weltzeitalters“, der von Schelling beeinflußt ist, ablehnt). Gottesbild, Menschenbild und Gesellschaftsbild stehen geistesgeschichtlich in enger Relation zueinander. Um ihre gegenseitige Klärung, Abgrenzung und Zuordnung geht der Kampf seit den Zeiten der henodeistischen Hochkultur bis auf unsere Tage, in denen er in ein entscheidendes Stadium getreten ist. Wir blicken zurück auf die Bedrohungen der religio naturalis durch den falschen Zeitgeist, der sich in der griechischen Aternisie-rung des Menschen zeigt, oder durch den illegitimen Anspruch einer politischen oder fabulosen .Theologie“. Es ist der Kampf der Kulturgeschichte gegen die Reichsgeschichte, die nach dem absoluten Wendepunkt der Weltgeschichte, nach der Epiphanie des Gottmenschen, der aus eigener Autorität das neue Gesetz im Namen des Vaters der ganzen Menschheit verkündet, abgelöst wird vom Kampf zwischen dem heilsgeschichtlichen und dem Reichsbewußtsein: die Theologie der Lex Aeterna faßt im thomistischen System die Hierarchie aller Rechte und Lebensmächte in einer großartigen Schau zusammen. Im Humanismus beobachten wir das Absinken der „philosophia christiana“ zu einer fast rein menschlichen Philosophie, der Luther mit seiner Sola-fides-Lehre die theologia ciucis entgegenstellt; in der Zeit der großen Religionskonflikte die neue Her-aufkunft einer politischen „Theologie“, in der sich der Staat'die Entscheidungsmacht im Kampf der in Konfessionen zerspaltenen Christenheit anmaßt, die sich in der Perversion des „Cuius regio, eius religio manifestiert. Die Aufklärung brjngt einen weiteren Schritt. Der Landesfürst arrogiert sich, der etati-stischen „Theologie“ des absolutistischen Reichsbewußtseins folgend, den Titel eines „summus episcopus“. Schließlich sehen wir im Deismus die Ablösung des Logos der natürlichen Ordnung der Sitten und Rechte von der göttlichen Autorität, die das Weltgeschehen sich selbst überläßt, eine Auffassung, die geistesgeschichtlich den Absturz in den politischen Atheismus zur Folge hat. Mit dieser deistischen Isolierung der Weltmoral — und damit auch der Staatsmoral — von der religio und die damit gegebene Atheisierung des staatlichen Bereiches, war der Weg zum dialektischen Materialismus freigegeben, der auch die Idee des Rechtsstaates nur mehr als einen ideologischen Uberbau des ökonomisch-materialistisch bestimmten Gesellschaftsgeschehens zu betrachten vermochte. In Theorie und Praxis des öffentlichen Lebens wurde allein die Gültigkeit des positiven, des gesatzten Rechts anerkannt, ohne den Rekurs auf eine natürliche, auch dem Staat vorgegebene, dem Menschen als ens sociale zustehende und auferlegte Rechtsordnung, an der das positive Recht orientiert werden muß, soweit es inhaltlich darauf bezogen ist.

Die Konsequenzen dieser Entwicklung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit wies, den Sozialphilosophen ergänzend, der Sozial- und Staatswissenschafter auf. Anton Tautscher (Graz) schilderte eindrucksvoll die Situation des Staates der Gegenwart, der, ein moderner Levia-ihan, eine unheimliche Antinomie des Gigantismus offenbare: nicht mehr das personale Wesen 'des Menschen, nicht mehr Sinn und Zweck der Gemein-schaftsgebilde in ihren vollen Lebenszusammenhängen erkennend, inhaltlich entleert — steuert er dennoch, sich zunehmend von der Bescheidung auf seine subsidiär ergänzenden Funktionen entfernend, unaufhaltsam darauf zu, alles tun zu wollen, zur Massenorganisationsmaschine zu werden. Tautscher sieht in diesem Zustand das Ergebnis soziologischer Summenlehren des 19. und 20. Jahrhunderts, jener Beziehungslehren, Sozialpsychologien und Sozialwissenschaften, welche die Fiktion einer apörsona-len, naturalen Gesetzlichkeit, welche die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft bestimme, an die Stelle jener Naturgesetzlichkeit gesetzt haben, deren Forderung der Mensch als bewußtes und freie Wesen zu beantworten hat.

Aber dieses gefährliche Stadium ist, zumindest ideologisch, bereits überwunden. Es ist jetzt nicht mehr fünf Minuten vor zwölf, es ist bereits drei Uhr früh. Die Anthropologie muß die Grundlage für die modernen Sozialwissenschaften werden. Ein neues Gemeinschaftsprinzip ist im Entstehen. Echte Gemeinschaften bauen sich wieder auf. Es wird wieder erkannt, daß die dichteste und alle anderen Gemeinschaften formende die von Gott, und Mensch ist, daß im menschlichen Bereich die dichteste die der Ehe, der Familie ist. Der Staat hingegen erkennt, daß er seine Möglichkeiten überschritten hat. Er muß wieder Kompetenzen abgeben. Ebenso hat die Wirtschaft ihre dynamische Gewalt verloren. Das neue Weltbild zielt auf eine neue Synthese hin. Nationalrat Josef Scherrer (St. Gallen) faßte den katholischen Beitrag dazu In einem Vortrag über die „Grundzüge eines christlichen Sozialprogramms“ zusammen, dessen Vorzug vor allem darin lag, daß seine Gedanken von einer langen sozialpolitischen Erfahrung bewährt und bestätigt sind.

Wenn Tautscher am Ende seiner Vorlesungen betonte, daß die neuen Synthesen nur dann erkannt werden können, wenn eine seelische Bereitschaft dazu da sei, daß sie immer auch erlitten werden und daß wir aus dem Leid der Gegenwart uns zu dieser Bereitschaft durchringen müssen, dann stand den Hörern der Hochschulwochen in Friedrich Dessauer (Fribourg), dem bekannten Naturforscher und Naturphilosophen, ein einprägsames Beispiel dafür vor Augen. Er hielt zwei Vorträge: „Der Weg der Naturwissenschaft zum Christentum“ und „Quantenbiologie — eine neue Wissenschaft“. Die Genese des Erkenntnisvorgangs in der Naturforschung ist ein Aufsieigen von der Wahrnehmung des sinnlich faßbaren Gegenstands über die Energie (als deren Sonderfall die Stofflichkeit gilt), die Naturkräfte und die Gesetze: ein Aufstieg also zu einer immer geistigeren Erkenntnis, der die Askese des Forschers bedingt. Das unerbittliche Korrektiv der Wirklichkeit zwingt ihn, jegliche Vorliebe, Neigung, Laune, Schwäche, Geltungssucht abzustreifen. Ganz schweigsam, ganz spähend, ganz lauschend muß seine ganze Intention auf ein übernehmen, ein Empfangen gerichtet sein. Er muß auf jegliches persönliches Gestaltenwollen verzichten, in der demütigen Hingegebenheit an das Wirkliche liegt seine einzige Chance. Es ist eine Haltung, die der Schau ähnlich ist und der sich die unveränderlich gültigen Gesetze des Kosmos in ihrer Tiefe enthüllen. Das Forschungserlebnis ist die Begegnung mit einem unendlich größeren Geist in einem Land, das noch keines Menschen Geist betreten hat, und wo sich plötzlich, nach unermeßlichem Bemühen, ein Vorhandenes offenbart — es ist ein religiöses Erlebnis. Nur aus der Unveränderlichkeit der Naturgesetze quillt die Berufssicherheit des Naturforschers, und wer die Jugend zu dieser Sicherheit, diesem Getragensein von der Nomik Gottes hinführt, der bringt sie zur seinsmäßig begründeten Versöhnung ihrer Wissenschaft mit dem Schöpfer.

In Anschluß an die eindrucksvollen Vorträge Dessauers — der zweite demonstrierte seine philosophischen Einsichten am Beispiel der Quantenbiologie, an deren Begründung er selbst mitbeteiligt war — fand eine fesselnde Diskussion zwischen ihm, Söhngen, Gabriel und Schubert-Soldern statt, welche den Begriff der Offenbarung aus der Naturerkenntnis zum Gegenstand hatte. Es war die zweite disputatio der Hochschulwochen, eine wertvolle Neuerung, über die noch berichtet werden soll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung