"Viele junge Christen verlassen den Libanon"

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Seit der Zeit Christi gibt es im Libanon Christen. Heute fühlen sie sich durch eine wachsende Islamisierung des von Syrien kontrollierten Landes stark an den Rand gedrängt. Das begünstigt jedoch das ökumenische Miteinander der Orthodoxen und der mit Rom verbundenen Christen in einer weltweit vorbildlichen Art. Gespräch mit einem Bischof der Syrisch-katholischen Kirche.

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Seit der Zeit Christi gibt es im Libanon Christen. Heute fühlen sie sich durch eine wachsende Islamisierung des von Syrien kontrollierten Landes stark an den Rand gedrängt. Das begünstigt jedoch das ökumenische Miteinander der Orthodoxen und der mit Rom verbundenen Christen in einer weltweit vorbildlichen Art. Gespräch mit einem Bischof der Syrisch-katholischen Kirche.

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Die Furche: Herr Bischof, wie frei sind die Christen im Libanon?

Bischof Joseph Flavien Melki: Das National-Abkommen, das Christen und Moslems kurz nach dem Bürgerkrieg 1990 geschlossen haben, garantiert eine gleichberechtigte Teilhabe an der staatlichen Macht. Sowohl die religiöse Überzeugung als auch die Glaubenspraxis sind frei. Durch diese religiöse Freiheit unterscheidet sich der Libanon von allen arabischen Ländern. Deshalb sagte Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch im Libanon im September 1998: "Der Libanon ist mehr als ein Land, er ist eine Botschaft und ein Beispiel für den Orient wie für den Okzident."

Die Furche: Prägt die Verfassung auch den Alltag?

Melki: Die beiden religiösen Gruppen konzentrieren sich in je eigenen Regionen. In den großen Städten vermischen sie sich, leben aber in guter Nachbarschaft zusammen. Bei der Arbeit und im Geschäftsleben kommt man meist gut miteinander aus. Zu den wichtigsten religiösen Festen macht man sich gegenseitige Höflichkeitsbesuche, wobei man klugerweise religiöse Fragen ausklammert. Dennoch werden die politischen Beziehungen zwischen den Religionen immer gespannter, weil die Moslems, wenn sie als Gruppe auftreten, mit allen Mitteln versuchen, das öffentliche Leben zu islamisieren.

Die Furche: Gibt es Beispiele dafür?

Melki: Fünfmal an jedem Tag ertönen die Lautsprecher mit dem islamischen Gebetsruf in immer größerer Lautstärke, wobei die Dauer dem Gutdünken des Muezzins überlassen ist. Auch auf der Straße findet Islamisierung statt, durch das Anbringen von Spruchbändern und Transparenten, durch Plakate mit Parolen, durch überdimensionale Portraits der moslemischen Religionsführer ... Das läuft alles ohne Autorisierung. An wichtigen Plätzen der Stadt werden Moscheen und Koranschulen errichtet. All das wird von den Öl produzierenden arabischen Ländern finanziert.

Die Furche: Wie verhält sich der libanesische Staat zu alldem?

Melki: Die Behörden verschließen vor dieser Islamisierung die Augen, um Schlimmeres zu verhüten. Aber die Moslems drängen sich auch in verschiedene Sektoren der Verwaltung und ziehen den einen oder anderem Bereich an sich - zum Nachteil der Christen. Ich möchte besonders auf die Islamisierungs-Programme in den Schulen aufmerksam machen, auf die Islamisierung der Medien.

Die Furche: Wie sehen die Christen angesichts dieser Entwicklung ihre Zukunft im Libanon?

Melki: Die libanesischen Christen sind beunruhigt. Neben der geschilderten De-Facto-Islamisierung gibt es nämlich auch eine massive Einbürgerung ausländischer moslemischer Bevölkerung. So entstand ein enormes demographisches Ungleichgewicht zugunsten der Moslems, die heute 55 Prozent der Bevölkerung stellen. Manche Christen sind deshalb schon ausgewandert und andere befürchten, daß sie durch diese Auswanderung bald in einem nichtchristlichen Milieu leben müssen und verkaufen ihren Grundbesitz notgedrungen an Moslems. Unsere Kirche würde gerne einen Fonds gründen, um diese Grundstücke zu kaufen. Aber wir haben nicht genug Geld.

Die Furche: Nimmt diese Auswanderung ein bedrohliches Ausmaß an?

Melki: Die Auswanderung droht, das Christentum im Vorderen Orient auszulöschen. Man schätzt die Zahl der Christen, die zwischen 1975 und 1995 das Land verlassen haben auf 850.000, die der Moslems auf 500.000. Verursacht ist dieses Übel durch die Unsicherheit im Land, die Schwäche der Zentralgewalt und die Faszination, die Amerika bei vielen Christen genießt. Das Erstarken eines extremen und kämpferischen Islams drängt gerade junge Christen, das Land zu verlassen. Wenn Sie jetzt noch bedenken, daß die Geburtenrate der Moslems viermal höher ist als die der Christen, dann sehen sie die schwere Wunde, die die Auswanderung schlägt.

Die Furche: Was wären die Folgen?

Melki: Wenn die Wiege des Christentums sich leeren würde, wäre der Verlust irreparabel. Die christliche Anwesenheit, besonders im Libanon, hat dazu beigetragen, aus diesem Land ein Beispiel des Zusammenlebens, der intellektuellen Ausstrahlung und der menschlichen Entwicklung zu machen.

Die Furche: Gibt es so etwas wie einen christlich-islamischen Dialog?

Melki: Ein richtiger Dialog, mit dem Ziel, die Vorurteile abzubauen, das Unverständnis zu beseitigen und die Glaubensauffassung des anderen zu respektieren, begann gerade erst vor 30 Jahren. Papst Johannes Paul II. hat das christlich-islamische Gespräch immer unterstützt. Man muß aber zugeben, daß der theologische Dialog auf eine Elite beschränkt ist, und daß die Masse des moslemischen Volkes oft durch Religionsführer gelenkt wird, die sich mehr in die Politik einmischen als in theologischem Denken heimisch zu sein. Wir sind mit den Moslems einig im Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, in einer gewissen Auffassung von Gott als Schöpfer, als Allmächtiger und Barmherziger, aber nicht in der Auffassung von Gott als Vater und Gott als Liebe. Wir teilen mit ihnen gewisse grundsätzliche Wertauffassungen wie etwa die Hochachtung vor dem menschlichen Leben und die Wertschätzung der Familie, den Sinn für soziale Gerechtigkeit. Allerdings sind die Unterschiede der Lehre über die Göttlichkeit der Person Christi und seinen Erlösungstod unüberbrückbar. Die Moslems leugnen die Authentizität der Evangelien, die Tatsache der Kreuzigung Christi und die Geheimnisse der christlichen Dogmen. Was den christlich-islamischen Dialog so schwer macht, sind aber nicht nur unterschiedliche Meinungen zu religiösen Fragen, sondern einige unter Moslems weit verbreitete Irrtümer wie zum Beispiel die Gleichsetzung von politischer Macht und Religion. Die Zukunft aller orientalischen Christen hängt vor allem davon ab, was aus dem Libanon wird.

Die Furche: Dieses Bewußtsein hat zu einer Annäherung Ihrer Syrisch-katholischen Kirche mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche geführt, die weit über das hinausgeht, was sonst zwischen Katholiken und Orthodoxen die Regel ist ...

Melki: Wir sehen die Syrisch-katholische und die Syrisch-orthodoxe Kirche als denselben Baum mit zwei Zweigen. Die Syrisch-antiochenische Kirche hatte sich nach dem Konzil von Chalkedon, 451, von Rom getrennt, weil sie die Lehre des Konzils, wonach in Jesus zwei Naturen sind, eine göttliche und eine menschliche, nicht anerkannt hat. Sie ließ nur eine göttliche Natur gelten. Im Jahr 1662 hat sich ein Teil der Kirche der Lehre Roms angeschlossen und den Papst anerkannt. Seitdem heißt sie "syrisch-katholisch". Der andere Teil der Syrisch-antiochenischen Kirche nennt sich nun "syrisch-orthodox".

Die Furche: Jetzt haben beide Kirchen ein Abkommen geschlossen, das als vorbildlich für die katholisch-orthodoxe Ökumene gilt. Wie war das möglich?

Melki: Vor diesem Abkommen, das nach einer Konferenz aller katholischen und orthodoxen Patriarchen geschlossen wurde, konnte man keine Person heiraten, die der anderen Kirche angehört, keine Sakramente in der anderen Kirche empfangen, nicht einmal dort zur Messe gehen. Machen Sie sich klar, was das bedeutet! Wir leben ja zusammen, Katholiken und Orthodoxe in denselben Dörfern. Wenn etwa ein katholisches Mädchen keinen katholischen Ehepartner findet und sie findet einen orthodoxen Mann - wie können die Eltern das verhindern? Am Ende stimmen die Eltern zu, weil eine andere, viel größere Gefahr besteht: Wir leben ja auch mit den Moslems zusammen. Moslemische Männer kommen und nehmen sich eine Frau mit Gewalt und verschleppen sie. Darum akzeptieren wir heute eine Mischehe, auch wenn sie bei den Orthodoxen zelebriert wird. Wir stellen auch keine Bedingungen mehr dafür. Da im Libanon auch in staatlichen Schulen Religion unterrichtet werden kann, haben die katholischen und orthodoxen Patriarchen versucht, einen gemeinsamen Katechismus herauszugeben.

Die Furche: Wollen Sie da weiter gehen?

Melki: Das würden wir gerne. Nach unserer letzten Synode im Mai hat mich der Patriarch beauftragt, einen Brief zu verfassen. Wir haben darin festgehalten, daß wir denselben Traditionen und Frömmigkeitsformen folgen. Wir sollen zusammenarbeiten und gemeinsam überlegen, was wir in Zukunft für die Einheit tun können. Ich selbst bin mit dem Brief nach Damaskus gefahren und habe den syrisch-orthodoxen Patriarchen getroffen. Er sagte, er sei schon beim Papst gewesen und wir seien uns in allen theologischen Fragen einig. Er wolle aber unserem Ersuchen nur zustimmen, wenn auch der Patriarch der Kopten zustimmt. Das ist aber bis jetzt nicht geschehen.

Das Gespräch führte Michael Ragg.

ZUR PERSON Vertreter des Patriarchen Joseph Flavien Melki wurde 1931 geboren und 1954 zum Priester geweiht. Nach Studien an der Universität Löwen in Belgien promovierte er zum Doktor der Theologie. 15 Jahre hindurch war er Professor am Priesterseminar in Charfet, dessen Rektor er danach wurde. Viele Jahre hindurch nahm er auch die Funktion eines Sekretärs des Heiligen Synods wahr. 1995 wurde er zum Bischof, mit dem Titel "Titularbischof von Dara", geweiht und Kanzler der Kurie des Patriarchen von Antiochien. Seine Aufgabe ist die Leitung der Kurie und die Vertretung des Patriarchen.

Heute gehören im Libanon rund 15.000 Katholiken zur Syrischen Kirche. Sie leben in sechs Pfarren, die von 13 Priestern versorgt werden. Außerdem unterhält die Kirche zwei Gymnasien, von denen eines von Dominikanerinnen des syrischen Ritus geleitet wird.

Bedingt durch die massive Auswanderung aus dem Nahen Osten gibt es weltweit kleine Syrisch-Katholische Gemeinden. Insgesamt unterstehen dem Patriarchat von Antiochien weltweit 150.000 Katholiken des syrischen Ritus.

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