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Herr Jedermann tritt auf den Plan

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Bislang hatten der Zonenbefehlshaber oder seine ihm unterstellten Kommandanten auf Grund des Potsdamer Abkommens dekretiert, das heißt numerierte Direktiven erlassen, die automatisch Gesetzeskraft erhielten und im wesentlichen imeingeschränkt durch die Besatzungsmacht verantwortet wurden. Es kann vfestgestellt werden, daß diese harten, zuweilen aber auch durchaus überlegten und sozial gerechten Maßnahmen vom überwiegenden Teil der Bevölkerung als Kriegs recht stumm hin- geoommen wurden. Die drei in der Zone zugelassenen Parteien: die in der Sozialistischen Einheitspartei vereinigten Sozialdemokraten und Kommunisten, die national-liberal eingestellte bürgerliche Liberal-Demokratische Partei und die Christlich-Demokratische Union (die beiden letzteren in engem oder loserem Kontakt mit den Schwesterparteien in Westdeutschland, der damaligen „Trizone“) hatten sich ein Jahr zuvor in für die noch immer chaotischen Nachkriegsverhältnisse relativ freien und demokratischen Wahlen der Bevölkerung für Gemeinde- und Landtagssitze empfohlen. Das Stimmenverhältnis in den einzelnen Ländern der heutigen DDR (wir sehen in dieser Darstellung zunächst völlig von den ganz anders gelagerten Verhältnissen in der Viersektorenstadt Berlin ab) war nicht einheitlich. Im allgemeinen kann man sagen, daß die Sozialistische Einheitspartei, zu der wenige Wochen vorher erst die frischgebackenen Neuwähler aus den alten, bewährten Kadern der mitteldeutschen Sozialdemokratie gestoßen waren, zusammen mit irgendwelchen abstrusen Stimmenfanglisten (Kulturbund, Frauenbund, Gewerkschaftsliste usw.), etwas über vierzig Prozent der Stimmen erhalten konnte. In den Rest, also die beiden schwachen Drittel, teilten sich nahezu zu gleichen Teilen (die in manchen Großstädten eine kompakte Mehrheit ausmachten) die beiden bürgerlichen Parteien.

Das war, wie gesagt, 1946 gewesen. Zur Debatte standen damals gemeindliche und landtagsmäßige Verwaltungsfragen, die im engen Rahmen der Besatzungsrichtlinien auch korrekt und mit zuweilen durchaus sachlich geführten freien Debatten , zwischen den sogenannten „Blockpartnern (diese Parteien ohne eine zugelassene Opposition bildeten keine Koalition, sondern einen „Block") abgehandelt wurden. Es wurde bei sämtlichen Maßnahmen und Gesetzen streng darauf geachtet, das Provisorium dieser Versammlungen zu betonen und grundsätzlich von der bald bevorstehenden Wiedervereinigung Deutschlands auf Grund des Potsdamer Abkommens auszugehen.

Schon zu Ende 1947 aber waren sich die maßgebenden kommunistischen Führer darüber klar geworden, daß die Mehrheitsverhältnisse von 1946 unter keinen Umständen, und schon gar nicht auf Zonen- oder gesamtdeutscher Ebene, auch nur annähernd wieder erreicht wer- den konnten. Man wußte zudem, daß einte ausstrahlende Wirkung auf Westdeutschland trotz der damals trostlosen

Zustände vor der Währungsreform nicht zu erwarten sein würde, sondern daß eine Wiedervereinigung Deutschlands unter Zulassung freier Wahlen allein schon durch das Auftreten der unabhängigen Schumacher-Sozialdemokraten das völlige Debakel der herrschenden kommunistischen Kreise in Mitteldeutschland bedeuten würde. Um das zu ermitteln, brauchte man gar nicht allzu viele Spitzel zu bemühen, die Bevölkerung hatte bei verschiedenen Gelegenheiten ziemlich offenherzig ihrer Ablehnung dem in der Zone langsam, aber sicher zur Vorherrschaft strebenden Kommunismus gegenüber Ausdruck gegeben. Die Stimmung gegenüber den Sowjets und ihren Truppen, die sich nach den Wirren der ersten Umsturzmonate, die in Vergessenheit gerieten, zurückhaltend und sachlich benahmen, war trotz der lastenden Reparationsentnahmen aus der laufenden Produktion und der damit zusammenhängenden angespanten Versorgungslage durchaus ruhig und neutral.

Das aber war ohne Zweifel für weiter reichende Pläne zu wenig ...

Es war klar, daß schon von den jetzigen Parlamenten und Gemeinderäten nur eine zögernde Initiative zu entscheidenderen „Maßnahmen" zu erwarten war, geschweige denn von neu gewählten, die ja bestimmt noch schlechtere Mehrheitsverhältnisse aufweisen würden. Zudem lag der verfassungsmäßige Wahltermin ja noch in weiter Ferne.

Also trat Herr Jedermann auf den Plan, diese Personifizierung dessen, was Herr Rousseau in einer seiner verhängnisvollsten und fatalsten Schriften die „volonte generale genannt hat, jenen Allgemeinwillen, der sich durchaus nicht mit dem zahlenmäßigen Mehrheitswillen zu decken braucht. Herr Jedermann, der hinfort die entscheidendste Figur auf dem politischen Schachbrett wurde, hat tausend Gesichter und keine Individualität. Er erscheint in der Gestalt von Resolutionen. Sie sind unterzeichnet von Volksschülern und Hochschulprofessoren, fortschrittlichen städtischen Reinigungsangestellten und Operettenberatem, Neubauern und Altbauern, ehemaligen Nationalsozialisten und ehemaligen KZ-Häftlingen — Herr Jedermann kann und konnte von jedem an irgendeiner kleinen Schlüsselstellung der Betriebsgewerkschaftsleitung (Be triebsräte sind seit Jahr und Tag als reaktionäre Einrichtung abgeschafft) aus dem Boden gestampft werden.

Herr Jedermann also verlangte im Dezember 1947 einen Volkskongreß.

Keine Verfassung, keine bisher in Deutschland übliche Staatspraxis kannte diese romantische Einrichtung. Es sollten einfach die gewählten Volksvertreter der Landtage zusammen mit irgendwie, irgendwo bestallten oder berufenen Jugendführern, Bildhauern, Traktorenfahrem. .Eisendrehern (an sich sehr ehrenwerten Männern, nur leider ohne jedes verfassungsmäßige

Mandat) zusammen nach Berlin fahren lind dort so etwas wie ein ostdeutsches levėe en masse vorstellen, von dessen Posaunentönen dann vermutlich das westdeutsche Jericho einstürzen sollte. Irgendwelche Privatleute aus Westdeutschland figurierten, oftmals zu ihrer eigenen Verwunderung (vor allem, wenn es sich um Nichtkommunisten handelte), als westdeutsche Delegierte . A So der Plan, den der Parteiführer der SED, Grotewohl, dem „Drängen“ zahlreicher Briefe nachgebend, im Dezember der Öffentlichkeit vorlegte. Er bedurfte außer dem Kopfnicken von ganz oben keiner weiteren Sanktion. Aus propagandistischen Gründen aber erbat man die Zustimmung der beiden bürgerlichen Parteien.

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